Eine neue Sprache finden: Warum wir anders über das Klima reden müssen

Bálint ForgácsFreie Universität Berlin

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Klimaforscher verkünden, dass der Klimawandel ein unumkehrbares Stadium erreicht hat und wir nichts dagegen tun können. Sie fügen hinzu, dass frühere Modelle nicht nur das Tempo und die Schwere des Klimawandels unterschätzt haben, sondern auch, dass der Klimawandel etwas ganz anderes bedeutet, als bisher erklärt wurde: Es handelt sich nicht um einen allmählichen quantitativen Wandel, sondern um einen schnellen qualitativen Wandel in Richtung Treibhaus.

Stellen Sie sich weiter vor, dass in wenigen Jahren der größte Teil der Erdoberfläche für die menschliche Physiologie unerträglich und die Massentierhaltung unhaltbar sein wird. Die Erde wird aber überleben, die Menschheit ebenfalls – nur die technische Zivilisation wird untergehen: keine Krankenhäuser, keine Polizei und keine Feuerwehr, keine Nahrungsmittel und Medikamente. Zusammenbrechende Ökosysteme, ständige Naturkatastrophen und steigende Meeresspiegel sind dann die geringsten Sorgen. Außer vielleicht Todeswolken aus extrem feuchter und heißer Luft.

Stellen Sie sich nun vor, dass diese Welt unsere Welt sein könnte. Denn eine solche Veränderung in ein Treibhaus könnte jederzeit eintreten.

Bálint Forgács

Zeit für neue Fragen

Trotz der lebensbedrohlichen Auswirkungen auf den gesamten Planeten wurde die Klimawissenschaft als eine Angelegenheit mit geringem Risiko behandelt – juristisch, politisch und wirtschaftlich. Alle Kosten wurden und werden in die Zukunft verschoben.

In Debatten und Verhandlungen wurde nicht ernsthaft die Idee in Betracht gezogen, dass unsere natürliche Umwelt eine risikoreiche Angelegenheit sein könnte. Globale Debatten konzentrieren sich auf vielversprechende und hoffnungserweckende Aspekte, anstatt nach Bedrohungen zu suchen. Dabei kann, ähnliche wie in der Medizin, ein einziger Fehler zum Tod führen.

Diese Haltung erinnert stark an die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts: Anstatt nach einem einzigen Beweis zu suchen, der eine Hypothese widerlegt, versuchten politische und wirtschaftliche Führer, einen wünschenswerten Positivismus zu stärken.

Fragt man einen Klimaforscher, ob er beweisen kann, dass die Erde sich in ein Treibhaus verwandelt, wird die Antwort wahrscheinlich „Nein“ lauten: Modelle sind nur Vorhersagen, Beweise können nur im Nachhinein gesammelt werden. Fragt man aber einen Wissenschaftler, ob er garantieren kann, dass 1,5°C die Erde nicht in ein Treibhaus verwandeln, wird die Antwort wieder „nein“ lauten. Vielleicht ist es an der Zeit, neue Fragen zu stellen.

Vokabeln, die es zu streichen gilt

Ein neues Framing des Klimadiskurses könnte die Art und Weise verändern, wie wir den Klimawandel konzeptualisieren und wie wir seine Ursachen regulieren. Das gesamte CO2-Problem wurde durch eine veraltete, auf fossilen Rohstoffen basierende Technologie verursacht. Dabei stehen seit einiger Zeit alternative Technologien zur Verfügung. (Natürlich ist die Zerstörung von Ökosystemen kein zweitrangiges Problem. Es ist durchaus möglich, den Planeten auch ohne Treibhausgase in eine Wüste zu verwandeln.)

Eine lebensbedrohliche Gefahr kann nicht mit einem Konzernjargon aus ökonomisch-technologischen Euphemismen wie net zero, carbon free, eco-friendly oder sustainability diskutiert werden. Auch die wissenschaftliche Sprache ist emotional positiv, passiv im Ton und nichtssagend weich. Die Wärme in globale Erwärmung sowie der Wandel im Klimawandel vermitteln nicht angemessen die unsere verheerenden Aussichten.

In jüngerer Zeit wurden die Begriffe Klimakollaps und Klimakatastrophe eingeführt, die jedoch nach wie vor eine Haltung der Hilflosigkeit gegenüber den blinden Kräften der Natur vermitteln.

Eine direktere und negativere, aber auch aktive Sprache könnte dazu beitragen, die Diskussionen in eine neue Richtung zu lenken. Beispielsweise mit Begriffen wie Klimaselbstmord, globale Überhitzung oder Ofeneffekt.

Bálint Forgács

Ein aktiver Tonfall würde nicht nur die Verantwortung betonen, sondern könnte auch zu echten Maßnahmen führen. Die Bedeutung der Sprache ergibt sich aus der Struktur der verbalen Interaktion. Die Art und Weise, wie wir sprechen, beeinflusst stark, welche Wendungen Diskussionen nehmen und die Art, wie wir diskutieren.

Eine neue Sprechweise ist jedoch nicht allein eine Frage der verwendeten Worte. Folglich kann eine neue Sprache nicht effektiv aufgezwungen werden. Die Verbreitung von Ideen und Ausdrücken unterliegt unbewussten sozialen Kräften (beispielsweise Memetik oder Epidemien). Sprache ist ebenfalls eine Frage von Framing, da es Annahmen von Fakten und gesundem Menschenverstand impliziert.

Wie die Medizin helfen könnte

Stufen wir die Klimazerstörung als Hochrisiko ein, könnte auch ein medizinischer Rahmen dabei helfen, sich auf die Vermeidung von Worst-Case-Szenarien zu konzentrieren, ohne dabei Ängste zu schüren. In hochrisikobehafteten Kontexten ist eine negative Sprache durchaus als informativ zu betrachten und wird von den Beteiligten auch so erwartet. Ein Arzt, der unsere schönen Zähne lobt, ohne uns eine Diagnose mitzuteilen, würde von uns nicht nur als unehrlich, sondern sogar als betrügerisch wahrgenommen.

Des Weiteren löst eine negativ konnotierte Sprache nicht per se Angst aus. Die Klimaangst lässt sich als Resultat einer erlernten Hilflosigkeit begreifen, die durch die Kombination aus jahrzehntelanger politischer Untätigkeit und den kontinuierlichen Warnungen von Expertinnen und Experten vermittelt wurde. Eine klarere Sichtweise auf die eigene Situation könnte durch die Analogie eines Krebspatienten in einer lebensbedrohlichen Situation gewonnen werden, für den es zwar ein Heilmittel gibt, die Hoffnung allerdings nur besteht, wenn der Eingriff sofort erfolgt.

Medizinische Eingriffe werden in der Regel nicht zum Gegenstand öffentlicher Debatten gemacht. Auch das Verbot von FCKW oder bleihaltigen Kraftstoffen wurde nicht als Ende von Kühlschränken und Autos oder Tod durch Haut- oder Lungenkrebs dargestellt. Ein umfassendes und effektives Verbot der CO2-Emissionen stellt wohl aber das drängendste öffentliche Interesse dar.

Das Spiel mit der Handgranate

Ein neues Erdgleichgewicht kann ebenso hartnäckig etabliert werden wie das aktuelle. Eine Überschreitung der 1,5 °C-Marke kann zu einem Kipp-Punkt führen, wodurch eine Rückkehr zum Ausgangszustand für einen Zeitraum von mehreren Jahrtausenden unmöglich wäre. Da Beweise erst im Nachhinein vorliegen werden und wir bis dahin lediglich Vorhersagen treffen können, gleicht das bloße Nachdenken über diese Möglichkeit einem Spiel mit einer Handgranate.

Die Kosten und Verluste sind im Vergleich zu den Schäden eines potentiellen zivilisatorischen Zusammenbruchs gering. Es ist schwer nachzuvollziehen, weshalb Staaten weiterhin Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern, finanzieren und damit den freien Markt verzerren. Diese Interessen führen zu einer Verzerrung der öffentlichen Debatten, indem sie vermeintliche Unvermeidbarkeiten und Notwendigkeiten suggerieren.

Die gravierenden Veränderungen des Lebensstils, die allzeit diskutiert werden, betreffen in erster Linie die konsumfreudigen Oberschichten. In der Realität bieten sie jedoch eine exzeptionelle Möglichkeit zur signifikanten Steigerung der Lebensqualität der einkommensschwachen Bevölkerung, auch in den Industrieländern. Eine Veränderung des Lebensstils wird ohnehin stattfinden, sollten Veränderungen zu spät erfolgen.

Eine lediglich halbherzige Behandlung einer septischen Wunde führt dabei nicht zu einer angemessenen Heilung, sondern zum Tod. Der Preis für einen professionellen und diplomatischen Eindruck kann nicht in einem beschönigenden Wischi-Waschi aus halbherzigen Entschuldigungen und Rechtfertigungen liegen. Der technologisch-wirtschaftliche Wandel hat sich rasch vollzogen. Der einzige Weg nach vorn ist eine gesetzliche Regulierung. In den vergangenen dreißig Jahren hätte dies schrittweise erfolgen können, heute jedoch nicht mehr. Unsere Supermärkte und Drogerien sind noch zu retten.

Literatur

Lenton, T. M. et al. Climate tipping points — too risky to bet against. Nature 575, 592–595 (2019).

Steffen, W. et al. Trajectories of the Earth System in the Anthropocene. Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A. 115, 8252–8259 (2018).

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Armstrong McKay, D. I. et al. Exceeding 1.5°C global warming could trigger multiple climate tipping points. Science (80-. ). 377, eabn7950 (2022).

Forgács, B. A medical language for climate discourse. Front. Clim. 6, 1–5 (2024).

Forgács, B. & Pléh, C. The Fluffy Metaphors of Climate Science. in Metaphors and Analogies in Sciences and Humanities: Words and Worlds (eds. Wuppuluri, S. & Grayling, A. C.) 447–477 (Springer, 2022).

Parry, I., Black, S. & Vernon, N. Still Not Getting Energy Prices Right: A Global and Country Update of Fossil Fuel Subsidies. IMF Working Papers (2021).

Chancel, L. Climate change and the global inequality of carbon emissions, 1990-2020. World Inequality Lab | Paris School of Economics (2021).#

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Der Klimaangst begegnen von Dr. Karen Hamann, Universität Leipzig

Poppers kritischer Rationalismus und seine Bedeutung für die Transformation von Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Deike, Universität Duisburg-Essen

Die Rolle von Narrativen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft von Machteld Simoens, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Dr. Anran Luo, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung



Kommentare

  1. / von Jakob Mierscheid

    Das ist alles sehr präzise und durchdacht und richtig. Ich hatte mir jedoch mehr Vorschläge für diese andere Sprache erhofft, die hier der Autor fordert.

  2. / von Libby

    Ein sehr kluger Beitrag, DANKE!
    Mir persönlich gefallen auch Begriffe wie „Mitwelt“ anstelle von „Umwelt“, Menschheitsschutz, Klimakrankheiten und Einrichtung Ökologischer Stroke-Units im Falle von Natur-Kreislauf-Kollapsen gut.

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