Der Klimaangst begegnen: Motivation für Protest und Engagement

Dr. Karen HamannUniversität Leipzig

Das Thema Klimaangst ist in den letzten Monaten in den Fokus der Aufmerksamkeit von sozialen Medien und Forschung gelangt. Aufrüttelnden Studien zufolge berichteten 59 Prozent der jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren verschiedener Länder, dass sie große bis extreme Sorgen vor dem Klimawandel haben. Mindestens moderate Sorgen gaben sogar 84 Prozent von ihnen an.

Auch eine klinische Betrachtung des Klimawandels wird in der Debatte immer sichtbarer – steigende Zahlen von Menschen leiden zum Beispiel aufgrund des Klimawandels unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Diese Reaktionen scheinen einer Situation angemessen, in der trotz einiger Bemühungen der globale CO2-Ausstoß weiterhin steigt.

Was hilft gegen diese Angst? Eine empirisch gestützte Antwort hierauf ist: kollektives Engagement für den Klimaschutz. Das von Umweltpsycholog:innen aus dem Wandelwerk e.V. verfasste Buch „Klimabewegt“ beschäftigt sich daher mit der Frage, wie Menschen Motivation für Klimaprotest und Engagement entwickeln.

Drei Grundpfeiler der Motivation für Protest und Engagement

Seit dem Aufkommen der Fridays for Future Bewegung im Jahr 2019 ist die Anzahl psychologischer Studien zu Klimaprotesten und –engagement stark gestiegen. Während in den Jahren zuvor vorwiegend privates umweltschützendes Verhalten erforscht wurde und die Frage aufwarf, wie sich Motivation zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks aufbauen lässt, rückt nun ein weiteres Konzept in den Fokus: der sozial-ökologische Handabdruck.

Das Handabdruck-Konzept steht für den positiven Einfluss, den Menschen auf gesellschaftliche Strukturen haben können. Es wird dabei beispielsweise nicht die eigene Mobilitätswahl betrachtet, sondern das Engagement für eine nachhaltige Mobilitätsinfrastruktur am Arbeitsplatz oder in der Kommune. Es geht um Veränderungen im Kollektiv, die nachhaltiges Verhalten für viele einzelne Personen einfacher, zugänglicher und günstiger machen.

Was Menschen über verschiedene Ungerechtigkeitskontexte hinweg zur Vergrößerung ihres Handabdrucks motiviert, zeigte bereits im Jahr 2008 eine Meta-Analyse von Martijn van Zomeren und Kolleg:innen, die 2021 noch einmal repliziert und erweitert wurde. Neueste Studien wurden zudem in verschiedenen Bereichen des Klimaschutzes durchgeführt, zum Beispiel zur Transition Town Bewegung, Fridays for Future, Extinction Rebellion, den Hambacher Forst Protesten und zum Engagement in nachhaltigen Hochschulinitiativen.

Sie untermauern die Kernaussage der Meta-Analyse: Menschen sind eher motiviert, sich kollektiv für den Klimaschutz einzusetzen, wenn

  1. sie sich mit Gruppen identifizieren, die mit Klimaschutz assoziiert sind, also ein „Wir“-Gefühl entwickeln
  2. sie Wirksamkeit erleben, sowohl als Gruppe als auch als Individuum innerhalb der Gruppe
  3. sie durch ihre moralischen Überzeugungen Klimaschutz als unausweichlich ansehen und deshalb Wut über Klimaungerechtigkeiten empfinden.

Während diese Grundpfeiler gute Orientierungshilfen für Klimagruppen und andere Akteur:innen bieten, die zu Klimaprotest und Engagement motivieren wollen, zeigt psychologische Forschung außerdem verschiedene Strategien auf, wie man diese Grundpfeiler fördern kann. Im Folgenden werden Strategien aus „Klimabewegt“ in kondensierter Weise vorgestellt.

Eine Identifikationsbasis schaffen

Die Identifikation mit Klimagruppen ist über Studien hinweg der konsistenteste Motivator für kollektives Klimaengagement. Darüber hinaus zeigte sie sich in ersten Untersuchungen als wichtiger Schutzfaktor vor Aktivismusburnout.

Um die Identifikation mit Klimagruppen zu fördern, ist es sinnvoll, Ähnlichkeiten mit diesen Gruppen aufzuzeigen. Solche Ähnlichkeiten können

  • ein geteiltes Schicksal sein (z.B. als junge Generation)
  • die Überschneidung mit bereits bestehenden Gruppen (z.B. der Gruppe der Lehrer:innen bei den Teachers For Future)
  • oder die Gemeinsamkeiten mit dem prototypischen Gruppenmitglied (z.B. durch eine ähnliche Altersgruppe).

Dabei ist die Wahl von Gruppenrepräsentat:innen entscheidend, da sie bestimmt, was Menschen als das prototypische Gruppenmitglied ansehen.

Doch der Auf- und Ausbau von Gruppenidentitäten geschieht oft nicht von alleine. Deshalb sind Räume unabdingbar, in denen Menschen Ähnlichkeiten entdecken, konstruktiv miteinander in Kontakt treten und Strategien zur gemeinsamen Bewältigung der Klimakrise entwickeln können – von Klimacamps, Diskussionsräumen in Schulen bis hin zu Protesten, bei denen verschiedene Gruppen sowohl positive Erlebnisse als auch potentielle Repressions-Erfahrungen teilen.

In solchen Räumen der Gruppenerfahrung ist es relevant, vier Bedürfnisse von (potentiellen) Mitgliedern im Auge zu behalten: Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Selbstwertgefühl, Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit.

Dr. Karen Hamann

Wirksamkeit hervorrufen durch Ziele und Visionen

Wirksamkeitsüberzeugungen sind der zweite Grundpfeiler von Klimaschutzengagement, der meist in Interviewstudien als erstes zur Sprache kommt. Generell scheint es, dass der eigene Beitrag zu einer Klimagruppe relevanter ist als das Gefühl, dass die Gruppe als Ganzes (im Ernstfall auch ohne eigenes Zutun) wirksam ist.

Wirksamkeitsüberzeugung im Klimaschutz entsteht da, wo man die eigenen Fähigkeiten sieht, das aktive Handeln anderer wahrnehmen kann und wo (unerwarteter) Erfolg erlebt wird. Es ist jedoch auch erstaunlich, wie viele Aktivist:innen in Interviews von Wirksamkeitserfahrungen berichten, selbst wenn ihr Hauptziel (z.B. den Bau einer Straße stoppen) nicht erreicht wurde.

Häufig verlagert sich dann der wahrgenommene Erfolg auf Nebenziele (z.B. neue Unterstützer*innen für eine Mobilitätswende finden), was die Annahme vermuten lässt, dass eine gekonnte Zielsetzung mit einem Sicherheitsnetz aus weiteren Zielen neben dem erklärten Hauptziel einer Aktion wichtig für langfristiges Engagement ist.

Hinter diesen Zielen stecken im besten Fall größere Visionen, die Studien zufolge als besonders motivierend empfunden werden, wenn die Menschen in den Visionen als warmherzig, moralisch und kompetent dargestellt sind und wenn eine Visionsfindung vor einem Realitätscheck stattfindet. Visionen sind ein Beispiel dafür, wie positive Emotionen wie Hoffnung, Enthusiasmus und Stärkegefühle zu mehr Wirksamkeit führen können.

In den letzten Jahren hat die Aussage „Wir müssen mehr mit positiven Emotionen kommunizieren“ glücklicherweise auch in der Klimakommunikation mehr Berücksichtigung gefunden. Jedoch ist ein differenzierter Blick hier entscheidend. Positive Emotionen scheinen vor allem bedeutend für privaten Klimaschutz und in ihrer wirksamkeitsassoziierten Form auch für Klimaprotest und -engagement. Für letzteres kann jedoch auch Wut als aktivierende negative Emotion entscheidend sein.

Moralische Überzeugungen ausleben

Unser moralischer Kompass bestimmt unser kollektives Engagement für den Klimaschutz als dritter Grundpfeiler. Besonders motivierend kann es sein, den Zugang zur eigenen Wut zu finden. Zum Beispiel, indem Schuldige klar benannt werden, und die Wut anderer über Klimaungerechtigkeiten zu erfahren. Gleichzeitig ist Wut auch mit Aktivismusburnout assoziiert und sollte deshalb stets kritisch reflektiert werden.

Erleben Menschen wenig Wirksamkeit bei Klimaprotest und Engagement, kann dies dazu führen, dass sie ihrer Moral folgen und künftig radikalere Aktionsformen wählen. Im Entscheidungsraum zwischen moderaten und radikaleren Aktionen begegnen sie dem Aktivismus-Dilemma. Dieses beschreibt den Balanceakt zwischen dem Erzeugen von Aufmerksamkeit (was eher durch radikalere Aktionen wie einer Straßenblockade gelingt) und dem Gewinnen von Sympathien (was eher durch moderate Aktionen wie einem freundlichen Parking-Day gelingt).

Ein erfolgsversprechender Kompromiss stellt die „konstruktive Disruption“ dar. Sie verbindet eine disruptive radikale Aktionsform wie eine Blockade für den Kohleausstieg mit nach Außen kommunizierten konstruktiven Absichten. Diese werden als konstruktiver wahrgenommen, wenn sie am Ort der Klimaungerechtigkeit stattfinden (z.B. am Tagebau), ihr legitimes Ziel der lebenswerten Zukunft für alle klarstellen (z.B. für nächste Generationen, aber auch Beschäftigten im Kohlebergbau) und beendet werden, sobald die Forderungen der Gruppe erfüllt sind (z.B. ein von der Regierung beschlossener Kohleausstieg bis zum Jahr 2030).

Fazit

Die psychologische Forschung konnte bereits einige Wege aufzeigen, wie die drei Grundpfeiler der Motivation für Protest und Engagement gefördert werden können. Das schnelle Entstehen der Fridays for Future Bewegung lässt sich so teilweise auf die von Greta Thunberg gewählten Narrative zurückführen.

Aus einer lose zusammenhängenden Generation formte Greta das „Wir“ als junge Generation, die das Schicksal der Klimakrise teilt (Identität). In ihrem Buch betont sie, dass niemand zu klein ist, um wirksam zu einer Veränderung beizutragen (Wirksamkeitsüberzeugung). Gleichzeitig macht sie deutlich, dass es legitim ist, wütend zu sein und zieht dafür Regierungen in die Verantwortung (Moralische Überzeugungen).

Es scheint zunächst einfach, die vorgestellten Fördermöglichkeiten umzusetzen. Jedoch ist es oft eine große Herausforderung, funktionierende Klimagruppen wie Fridays for Future aufrechtzuerhalten, insbesondere, da Motivation und Engagementmöglichkeiten von politischen, sozialen und finanziellen Bedingungen abhängen, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen.

In Zeiten, in denen Klimaangst nicht nur als individuelles, sondern als kollektives Phänomen sichtbar wird, ist es daher die Aufgabe von vielfältigen Stakeholdern (NGOs, aber auch Regierungen, Bildungsinstitutionen und Unternehmen), es Menschen zu ermöglichen, sich kollektiv für den Klimaschutz zu engagieren – und so ihren positiven Handabdruck zu hinterlassen.

Der Beitrag beruht auf dem Buch Klimabewegt—Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement, erschienen im oekom Verlag.

Literatur

Agostini, M., & van Zomeren, M. (2021). Toward a comprehensive and potentially cross-cultural model of why people engage in collective action: A quantitative research synthesis of four motivations and structural constraints. Psychological Bulletin, 147(7), 667–700.

Hamann, K., Baumann, A., & Löschinger, D. (2016). Psychologie im Umweltschutz: Handbuch zur Förderung nachhaltigen Handelns. oekom Verlag.

Hickman, C., Marks, E., Pihkala, P., Clayton, S., Lewandowski, R. E., Mayall, E. E., Wray, B., Mellor, C., & Susteren, L. van. (2021). Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: A global survey. The Lancet Planetary Health, 5(12), e863–e873.

Reif, A., & Heitfeld, M. (2015). Wandel mit Hand und Fuß. Mit dem Germanwatch Hand Print den Wandel politisch wirksam gestalten: Hintergrundpapier.

Schwartz, S. E. O., Benoit, L., Clayton, S., Parnes, M. F., Swenson, L., & Lowe, S. R. (2023). Climate change anxiety and mental health: Environmental activism as buffer. Current Psychology, 42(20), 16708–16721.

van Zomeren, M., Postmes, T., & Spears, R. (2008). Toward an integrative social identity model of collective action: A quantitative research synthesis of three socio-psychological perspectives. Psychological Bulletin, 134(4), 504–535.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Konflikte der Transformation: Werden künftige Generationen ignoriert? von Dr. Johann Majer, Universität Hildesheim

Klassenkonflikt um die Transformation: Wenn Meinungen auseinandergehen von Judith Kiss und Dr. Martin Fritz, Universität Jena

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