21,9 Mrd. $ – so viel könnte die deutsche Automobilindustrie durch eine vollständige Abschottung des US-Marktes verlieren
Während die direkten Zulieferbeziehungen zwischen zwei Ländern einigermaßen gut nachvollzogen werden können, bleiben die Wertschöpfungsbeiträge in- und ausländischer Zulieferer häufig im Verborgenen. Wir betrachten dies am Beispiel der deutschen Automobilindustrie.
Um den wirtschaftlichen Beitrag des Auslands an der Produktion Deutschlands zu messen, werden normalerweise die sogenannten Vorleistungen betrachtet, die Deutschland aus dem Rest der Welt bezieht. Damit werden die Wertschöpfungsbeiträge des Landes, aus dem die Vorleistungen bezogen werden, jedoch nicht korrekt erfasst. Wenn beispielsweise Deutschlands Automobilindustrie ein Motorenteil im Wert von 140 US-Dollar aus Italien bezieht und dann weiterverarbeitet, sind in diesem Vorleistungsimport oft auch ökonomische Leistungen (im Folgenden: Wertschöpfung) aus anderen Ländern enthalten:
Werden lediglich die aus Italien bezogenen Vorleistungen berücksichtigt, bleiben die zuvor in China und Polen erbrachten Beiträge zur Herstellung eines deutschen PKWs unberücksichtigt, während der Beitrag Italiens überschätzt wird. Um die tatsächlichen Wertschöpfungsbeiträge aller Länder korrekt abzubilden, müssen also auch die vorgelagerten Zulieferer und deren Wertschöpfungsleistungen erfasst werden.
Die Wertschöpfungsimporte der deutschen Automobilindustrie
Im Jahr 2014 stellte die deutsche Automobilindustrie Güter im Wert von 445 Milliarden US-Dollar her. 270 Milliarden US-Dollar entfielen dabei auf Produkte, die in Deutschland oder im Ausland verkauft wurden (im Folgenden: Endnachfrage). Die verbleibenden Güter im Wert von 175 Milliarden US-Dollar waren Vorleistungen, die die deutschen Automobilunternehmen ebenfalls im In- und Ausland verkauften.
Wenn wir die Wertschöpfungsbeiträge aller berücksichtigten Länder betrachten, erhalten wir damit zunächst Auskunft über den Anteil der deutschen Wertschöpfung an der für die Endnachfrage hergestellten Güter des Automobilsektors in Deutschland: Mit rund 70 Prozent wird der größte Teil dieser Wertschöpfung in Deutschland erbracht:
Bei der Bedeutung des Auslands für die Wertschöpfung der deutschen Automobilindustrie ergeben sich zum Teil erhebliche Unterschiede bezüglich der einzelnen Länder als Vorleistungs- und Wertschöpfungslieferanten:
So ist beispielsweise Ungarn der sechstgrößte Vorleistungslieferant für die Endnachfrage der deutschen Automobilindustrie. Sie bezieht Vorleistungsimporte in Höhe von rund 6,6 Milliarden US-Dollar. Mit einem Wertschöpfungsbeitrag von lediglich 1,9 Milliarden US-Dollar belegt Ungarn bei der Rangliste der wichtigsten Wertschöpfungslieferanten hingegen nur den 16. Rang. Diese Differenz ist darauf zurückzuführen, dass Ungarn viele Vorleistungen aus anderen Ländern bezieht und diese dann mit einer relativ geringen eigenen Wertschöpfung weiterverarbeitet.
Umgekehrt stellt sich die Situation für Länder wie z. B. die USA und China dar: Der Wertschöpfungsbeitrag dieser Länder zu den hergestellten und verkauften Gütern der deutschen Automobilindustrie ist größer als der Wert der Vorleistungen, die diese Länder liefern. Dies bedeutet, dass die USA und China Vorleistungen erbringen, die nicht direkt nach Deutschland exportiert werden, sondern von anderen Ländern importiert, dort weiterverarbeitet und schließlich nach Deutschland exportiert werden. Die größte Differenz aller hier untersuchten Länder zwischen dem Wertschöpfungsbeitrag und dem Wert der direkt importierten Vorleistungen ergibt sich für die USA: Der Wert der direkt aus den USA importierten Vorleistungen lag 2014 bei rund 2,9 Milliarden US-Dollar. Der von den USA erbrachte Wertschöpfungsbeitrag war hingegen mit rund 5,2 Milliarden Euro wesentlich größer.
Wer verliert eigentlich bei einer Abschottung des US-Marktes gegenüber deutschen Autos?
Auf der Basis dieser Wertschöpfungsanteile lässt sich abschätzen, wie groß der potenzielle wirtschaftliche Schaden für einzelne Länder ist, wenn in einem Land die Produktion zurückgeht. Exemplarisch lässt sich dies am Beispiel einer vollständigen Abschottung des amerikanischen Marktes gegenüber Produkten der deutschen Automobilindustrie zeigen. Auch wenn eine solche radikale Entwicklung selbst im Fall 25-prozentiger Importzölle auf deutsche Autos in den USA wenig wahrscheinlich ist, verdeutlicht dieses Gedankenexperiment, welche Wertschöpfung in den einzelnen Ländern auf dem Spiel steht.
Wie weiter oben erwähnt, verkauften die deutschen Automobilhersteller 2014 weltweit Produkte im Wert von rund 270 Milliarden US-Dollar. Die regionale Verteilung dieser Umsätze ist in der nachstehenden Tabelle ausgewiesen:
Sollte es nun zu einem vollständigen Einbruch der deutschen Automobilexporte in die USA kommen, würde die Produktion der Automobilindustrie in Deutschland um rund 31,5 Milliarden US-Dollar bzw. 11,6 Prozent der Endnachfrage sinken. Entsprechend ihrer Wertschöpfungsbeiträge ginge auch die Wertschöpfung in den übrigen Ländern zurück. Die Verringerung der wirtschaftlichen Wertschöpfung – also der Produktion – in Deutschland und im Ausland ist in Tabelle 2 dargestellt. Da rund 70 Prozent der Wertschöpfung der für die Endnachfrage bestimmten Produktion in Deutschland selbst stattfindet, würde Deutschland am stärksten unter dem Ausfall der Exporte in die USA leiden. Allerdings liegen die Produktionseinbußen in europäischen Ländern wie Polen, China, Frankreich und Italien bei 600 bis 750 Millionen US-Dollar, was ebenfalls spürbare wirtschaftliche Einbußen bedeuten würde. Auch in den USA ginge die Wertschöpfung um rund 600 Millionen US-Dollar zurück. Der Blick auf die reinen Vorleistungsexporte der USA an die deutsche Automobilindustrie unterschätzt diesen wirtschaftlichen Schaden:
- Die Vorleistungsexporte der USA an die deutsche Automobilindustrie beliefen sich 2014 auf rund 2,9 Milliarden US-Dollar. Wird der Rückgang der deutschen Automobilproduktion um 11,6 Prozent auf diese Vorleistungen angewendet, sinken die US-Exporte nach Deutschland um rund 336 Millionen US-Dollar.
- Die tatsächlichen Wertschöpfungsverluste der USA fallen jedoch mit rund 600 Millionen US-Dollar wesentlich höher aus.
Wertschöpfung und internationale Wettbewerbsfähigkeit
Die Unterscheidung zwischen Vorleistungsimporten und Wertschöpfungsimporten ist auch wichtig für die Bewertung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Werden die Vorleistungsimporte betrachtet, waren Polen und die Tschechische Republik 2014 die beiden wichtigsten Zulieferer für die deutsche Automobilindustrie (siehe Abbildung 3). Man könnte daraus schließen, dass beide Länder in diesem Bereich eine hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit besitzen. Der alleinige Blick auf die Vorleistungsimporte überschätzt jedoch die Bedeutung dieser beiden Länder für die deutsche Automobilindustrie. Das gilt auch für Ungarn und Österreich. Alle vier Länder sind relativ gesehen eher Transitländer für Wertschöpfung, was tendenziell auf eine eher geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit schließen lässt. Gleichzeitig unterschätzt der Blick auf die Vorleistungsimporte die Rolle der USA und Chinas für die deutsche Automobilindustrie – und damit möglicherweise auch deren internationale Wettbewerbsfähigkeit und die ihr zugrundeliegende Produktivität.
Literatur
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Wertschöpfungsnetzwerke am Beispiel der deutschen Automobilindustrie, Gütersloh 2019 [Link].
Hinweis: Weiteres Material zu diesem Thema finden Sie auf dem GED Blog [Link].
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