„Aus dem Labor heraus kann man nur begrenzt innovativ sein“

Roland BentPhoenix Contact

Ein Großteil der deutschen Wirtschaft ist bisher wenig innovativ. Das zeigt auch eine kürzlich von der Bertelsmann Stiftung veröffentliche Studie. Darunter leidet auch die gesamtgesellschaftliche Produktivität, die in Deutschland seit Jahren stagniert. Woran liegt es, dass gerade in KMU zu wenig investiert und innoviert wird? Was könnte die Politik tun, um die Rahmenbedingungen zu verbessern? Diesen Fragen wollen wir im Rahmen unserer Serie „Produktivität aus Unternehmenssicht“ nachgehen. Zu Wort kommen dabei Vertreterinnen und Vertreter von mittelständischen Unternehmen, die sich im Prozess der Automatisierung und Digitalisierung befinden. Im ersten Teil unserer Serie heute: Roland Bent, CTO von Phoenix Contact, einem Hidden Champion aus Ostwestfalen-Lippe, der Lösungen für die Elektrifizierung, Digitalisierung und Automatisierung in Unternehmen entwickelt.

Ben Schröder: Herr Bent, Sie arbeiten seit 1984 bei Phoenix Contact, sind in diesem Jahr also genau 35 Jahre im Unternehmen. Ich hoffe, Sie haben Ihr Jubiläum gebührend gefeiert …
Roland Bent: Ehrlich gesagt habe ich das gar nicht registriert, erst Sie machen mich jetzt darauf aufmerksam. Sicher kann ich auf für mich fünfunddreißig hochinteressante und erfolgreiche Jahre bei Phoenix Contact zurückblicken, die rasant vergangen sind.

Hätten Sie als junger Ingenieur gedacht, dass Sie so lange bei Phoenix Contact bleiben würden?
Sicher nicht. Wenn man frisch von der Universität kommt, denkt man eher kurzfristig. Mir war vor allem wichtig, eine interessante Aufgabe zu finden. Die habe ich dann als Entwicklungsingenieur bei Phoenix Contact gefunden. Ehrlich gesagt kannte ich das Unternehmen vor meiner Jobsuche gar nicht, vor fünfunddreißig Jahren war hier alles noch viel kleiner. Heute würde man sagen: Die Arbeit bei Phoenix Contact hatte Start-Up-Charakter.

Wie sah Ihr Arbeitsalltag als junger Entwicklungsingenieur aus?
Ich habe sehr detailliert zum Thema industrielle Kommunikationssysteme gearbeitet. Ein Bereich, der damals im Zuge der dritten industriellen Revolution – der Automatisierung der Fertigung – erst so richtig aufkam. Ich habe in einem kleinen Team mit Hands-On-Mentalität gearbeitet: einfach mal machen, einfach mal ausprobieren, Misserfolge erleben, Erfolge erleben. Als Entwicklungsingenieur ging es auch darum, das Produkt beim Kunden zu erleben, zu sehen, was funktioniert und was nicht funktioniert. Dass auch Entwickler rausgehen und ihre Produkte erleben, halte ich übrigens bis heute für ganz wichtig für die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens. Aus der Werkstatt oder dem Labor heraus kann man nur begrenzt innovativ sein. Innovation definiert sich immer auch über den Erfolg am Markt.

Seit 2001 sind Sie als Chief Technical Officer (CTO) Mitglied der Geschäftsführung von Phoenix Contact. Wie haben sich Ihre Aufgaben im Vergleich zu Ihrer Anfangszeit seitdem verändert?
Heute geht es für mich in erster Linie darum, Strategien zu entwickeln. Es geht darum, Unternehmensstrukturen zugestalten und neu zu denken. Ich denke heute also eher global. Auch das ist hochinteressant. Trotzdem vermisse ich durchaus auch manchmal, ganz tief im Detail bei der Entwicklung neuer Lösungen dabei zu sein. Ich versuche aber, das so gut es geht zu erhalten. Auch als Führungskraft muss man verstehen, woran die Menschen im Unternehmen arbeiten. Wir sind ein Unternehmen, das sich auch in der Führungsebene über Produkte und Technologien definiert und nicht ausschließlich über Kennzahlen.

Phoenix Contact gilt als sogenannter Hidden Champion. Den meisten Menschen wird das Unternehmen vermutlich kein Begriff sein. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern erklären, welche Produkte Phoenix Contact entwickelt und herstellt?
Wir entwickeln Lösungen für die Elektrifizierung, Digitalisierung und Automatisierung in Unternehmen und Infrastruktur. Alles was wir machen, hat damit zu tun, dass Strom fließen kann, dass Signale transportiert und Informationen übertragen und verarbeitet werden können. Unsere Produkte werden zum Beispiel überall dort eingesetzt, wo industrielle Prozesse automatisiert ablaufen. Außerdem unterstützen wir Unternehmen dabei, Informationen aus Prozessen digital auszuwerten und daraus Optimierungspotenziale abzuleiten. Der Begriff Hidden Champion passt deshalb selbst für uns als Global Player noch ganz gut – unsere Produkte sind auf den ersten Blick nicht erkennbar, sie laufen immer unter dem Blech.

© Phoenix Contact

Wie zu Beginn unseres Gesprächs angesprochen, sind Sie seit 1984 bei Phoenix Contact. In diesem Jahr brachte Apple mit dem „Macintosh 128k“ einen der ersten Computer der Welt auf den Markt. Seitdem ist unsere Welt eine andere. Wie haben Sie die Entwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte erlebt?
Sie sagen es richtig: Die Welt hat sich seit 1984 völlig verändert. Als besonders faszinierend empfinde ich die Geschwindigkeit und Unmittelbarkeit mit der Kommunikation heute abläuft. Als ich bei Phoenix Contact anfing hat man beispielsweise noch Briefe geschrieben, um Termine auszumachen. Es hat dann entsprechend lange gedauert bis der Termin endlich feststand. Heute werde ich schon fast nervös, wenn ich eine SMS schreibe und mein Gegenüber nach 24 Stunden noch nicht geantwortet hat. Hinzu kommt: Wir erleben heute die vierte industrielle Revolution – und das innerhalb kürzester Zeit. Große Umbrüche, die früher einhundert oder zweihundert Jahre gedauert haben, passieren heute innerhalb einer Generation. Das ist eine Herausforderung.

Sie sprechen es an: Innovationszyklen haben sich extrem beschleunigt. Wie schafft es ein Unternehmen wie Phoenix Contact, sich permanent an Veränderungen der Umwelt anzupassen?
Ich denke, die Notwendigkeit, neue Themen zu adaptieren, ist heute viel stärker. In jedem Jahr gibt es neue Innovationen, die neue Mehrwerte mit sich bringen. Bei vielen Technologien wissen wir auch noch gar nicht so genau, was wir einmal damit machen können. Denken Sie an das Thema Blockchaining. Da begreifen wir erst gerade so langsam, wie sich das Ganze auf industrielle Prozesse auswirken könnte.

Der Lebenszyklus unserer Produkte ist zum Glück noch ein anderer als auf dem Konsumgütermarkt. Wenn Sie heute ein Smartphone auf den Markt bringen, dann müssen Sie bei der Veröffentlichung eigentlich schon die nächste Generation parat haben. Ganz so schlimm ist das bei unseren Produkten zum Glück nicht. Trotzdem stellt die gestiegene Geschwindigkeit schon eine große Herausforderung dar – auch für uns. Vor allem in Hinblick auf die Strukturen in einem Unternehmen: organisatorisch und menschlich.

In der kürzlich veröffentlichten Studie „Innovative Milieus. Die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen“ hat die Bertelsmann Stiftung Unternehmen unter anderem gefragt, wie deren Beziehung in der Wertschöpfungskette zu Kunden und Zulieferern ist und welche Bedeutung diese Beziehung für den Innovationsprozess hat. Wie schätzen Sie das ein?
Das Feedback unserer Kunden ist sicher ein wichtiger Teil unseres Innovationsprozesses. Dass auch ein Entwicklungsingenieur seine Produkte beim Kunden erlebt, halte ich wie eben bereits angeschnitten für elementar. Zugegebenermaßen wird der Austausch von Entwicklern mit Kunden aber immer weniger, vor allem in großen Unternehmen. Da sind die Entwickler manchmal sehr weit weg vom tatsächlichen Markterfolg der eigenen Produkte. Für mittelständische Unternehmen – wie wir es sind – kann es deshalb durchaus ein Qualitätsmerkmal sein, diese Interaktion mit dem Kunden noch leisten zu können.

Phoenix Contact hat seinen Firmensitz in Blomberg, einer kleinen, beschaulichen Stadt im Osten von Nordrhein-Westfalen. Der Slogan der Stadt lautet „Kleine Stadt, die alles hat“. Würden Sie das bestätigen?
Ja. Blomberg ist eine kleine, aber auch schöne Stadt, in der man gut leben kann. Es gibt eine funktionierende Infrastruktur, ein Gymnasium, Sportvereine. Auch die Immobilienpreise sind hier in der Region noch relativ moderat, was vor allem für junge Familien reizvoll ist. Jeder zweite unserer Mitarbeiter lebt in Eigentum. Der Jungingenieur kann sich hier durchaus ein Haus kaufen, was in einer Stadt wie Stuttgart unter normalen Voraussetzungen fast unmöglich ist. Deswegen sind wir sehr zufrieden mit unserem Standort. Das einzige, das uns hier vielleicht fehlt, sind adäquate Unterbringungsmöglichkeiten für Gäste. Vor Kurzem hat eins der besten Hotels hier in der Nähe geschlossen. Das ist schon ein Problem für uns als Unternehmen, das global agiert.

Viele Unternehmen leiden unter dem Fachkräftemangel. In der Studie „Produktivität von kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland“ fordern die Autorinnen und Autoren der Bertelsmann Stiftung und des IfM Bonn deshalb eine bessere Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft. Wie sehen Sie das?
Ich sag das mal vorsichtig: Der Fachkräftemangel trifft uns nicht ganz so hart – zumindest noch nicht. Wir haben hier in der Region eine exzellente Hochschullandschaft, mit der wir gut vernetzt sind. Die Technische Hochschule OWL, die Universitätsstädte Bielefeld und Paderborn sind nicht allzu weit weg. Das generiert einen kräftigen Pool an Nachwuchskräften. Trotzdem betreiben wir natürlich auch Vernetzung mit anderen Hochschulen, tun viel für unser Image als Arbeitgeber. Mittlerweile kommen auch gut ausgebildete Menschen aus anderen Regionen und Hochschulen in Deutschland zu uns nach Blomberg – zum Beispiel von der RWTH Aachen.

Die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft fängt für uns aber schon im Kindergarten an, wo wir versuchen, spielend Begeisterung für Technik zu wecken. Auch an Schulen setzen wir stark an, laden Schüler und Studenten ein, uns auf Messen zu besuchen und sponsern dafür Busse. Vor allem Mädchen gilt es zu begeistern, hier liegt sicher noch viel Potenzial.

Würden Sie sich in diesem Bereich mehr Unterstützung vom Staat wünschen?
Ganz klar: Ja. Die Forschungsförderung muss so gestaltet werden, dass sie auch tatsächlich da ankommt, wo sie gebraucht wird. Das funktioniert an manchen Stellen schon ganz gut. Wir sind in Deutschland zum Beispiel sehr gut darin, Forschung in konkrete Anwendungen umzusetzen. Diese anwendungsorientierte Forschung bedarf aber einer engen Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft, die sowohl von der Industrie als auch vom Staat entsprechend gefördert werden muss.

Gleichzeitig muss der Staat in Bildung investieren. Es kann nicht sein, dass Schulen digital nicht auf der Höhe sind. Schuld daran sind nicht die Laptops, die an den Schulen fehlen. Es fehlt qualifiziertes Lehrpersonal. Verstehen Sie mich nicht falsch: Den Schulen mache ich keinen Vorwurf, die managen den Mangel so gut es geht. Vielmehr ist die Bildungspolitik gefordert, die das Thema Digitalisierung an Schulen zu lange vernachlässigt hat.

Sprechen wir über das schwächelnden Wachstum in Deutschland, von dem zuletzt auch Phoenix Contact nicht verschont blieb: Während Phoenix Contact 2018 noch um 8 Prozent gewachsen war, waren es 2019 nur 3 bis 4 Prozent. Was macht Ihnen momentan besonders schwer zu schaffen?
Die Ursachen sind sicher vielfältig. Wir erleben in Deutschland momentan zwei stark schwächelnde Industriebereiche: die Automobilindustrie und den Maschinenbau. Das schlägt natürlich auch auf unser Geschäft und auf die allgemeine Stimmung. Auch das Thema der eskalierenden Handelskriege bereitet uns Sorgen. Es gibt leider eine grundsätzliche Entwicklung hin zu mehr Protektionismus, Ausgrenzung und Populismus. Das sind alles keine guten Entwicklungen für uns und die deutsche Wirtschaft insgesamt.



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