Deutschland muss Stickstoff-Überschüsse in der Landwirtschaft dringend abbauen
Ohne Stickstoff kein Pflanzenwachstum – doch erhebliche Mengen aus der Landwirtschaft schädigen ganze Ökosysteme und tragen als Lachgas massiv zum Klimawandel bei. Eine nachhaltige Landwirtschaft gehört entsprechend zu den wichtigsten Zielen der UN-Biodiversitäts-Konvention vom Dezember letzten Jahres.
Deutschland überschreitet die EU-Grenzwerte für Nitrat im Grundwasser seit Jahren. Auf jedem Hektar landwirtschaftlicher Fläche fallen jährlich 92 Kilogramm Stickstoff-Überschuss an. Insgesamt sind es in unserem Land rund 1,5 Millionen Tonnen Stickstoff, die in die Atmosphäre und den Wasserkreislauf gelangen.
Umwelt-Folgen von Stickstoff-Mengen sind fatal
Die Umwelt-Folgen sind fatal.
- So gibt es in Nord- und Ostsee aufgrund der stickstoffreichen Süßwasser-Zuflüsse seit vielen Jahren eine übermäßige Eutrophierung und ein verstärktes Algenwachstum.
- Stickstoff als Treibhausgas in der Atmosphäre ist 298-mal so wirksam wie CO2 und macht daher einen auf die Menge bezogen überproportionalen Teil des anthropogenen Treibhauseffektes aus.
- Zudem beeinträchtigen Stickstoffüberschüsse die Biodiversität.
Die Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft in die Umwelt verursachen dadurch gesellschaftliche Kosten in geschätzter Höhe von 30 bis 70 Milliarden Euro pro Jahr.
Prof. Dr. Thomas Scholten
Die Bundesregierung hat Stickstoff entsprechend zu einer Kenngröße ihrer Nachhaltigkeitsstrategie gemacht. Bis 2030 sollen die Stickstoff-Überschüsse auf höchstens 70 Kilogramm Stickstoff je Hektar landwirtschaftlicher Fläche sinken. Doch dieser Zielwert reicht nicht, um den drängendsten Umweltproblemen entgegenzuwirken.
Was fehlt, ist eine konsistente Strategie, wie im Zusammenspiel von Landwirtschaft, Politik und Forschung die Stickstoffemissionen wirksam und nachhaltig sinken. Es ist an der Zeit, den Weg in eine nachhaltige Stickstoffwirtschaft zu ebnen.
Dazu müssen viele Teilbereiche der Landwirtschaft zusammenwirken. Wie genau das funktionieren kann, zeige ich entlang der gesamten Wertschöpfungskette gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten in einem kürzlich von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften veröffentlichten Positionspapier.
Ökologischen Landbau ausweiten, konventionellen Landbau nachhaltiger gestalten
Zunächst einmal müssen nach unserem Dafürhalten durch nachhaltige Bewirtschaftungsstrukturen in weitgehend geschlossenen Kreisläufen die Stickstoffüberschüsse insbesondere im konventionellen Landbau gesenkt werden.
Um das zu erreichen, sollten verschiedene Ansätze kombiniert und mit Forschung weiterentwickelt werden: Landwirte können sich zum Beispiel für artenreiche Fruchtfolgen mit Leguminosen und Zwischenfrüchten entscheiden und gleichzeitig ihren Einsatz von Mineraldünger gezielt reduzieren.
Zudem ist es wichtig, ökologische Landwirtschaft auszuweiten, wo keine chemisch-synthetischen Stickstoffdünger eingesetzt werden. Bei Getreide bringt der Ökolandbau geringere Erträge als der konventionelle Anbau. Deshalb ist auch der Flächenbedarf im Verhältnis zum Ertrag größer. Ertragslücken im Ökolandbau zu schließen, ist eine dringliche Forschungsaufgabe.
Regionale Überkonzentration der Nutztierhaltung verringern
In einigen Regionen Deutschlands sorgen die geballt angesiedelte Nutztierhaltung und daraus anfallender Wirtschaftsdünger für sehr hohe Stickstoffüberschüsse. Die Politik muss die Rahmenbedingungen für den Umbau der Nutztierhaltung so setzen, dass Tierwohl und verringerte Stickstoffüberschüsse Hand in Hand gehen. Dazu trägt auch eine stärkere Vernetzung von Tierhaltungs- und Marktfruchtbetrieben bei.
Stickstoff bepreisen, Düngeverordnung schärfen
Die Politik muss Stickstoff-Sparen durch ökonomische und rechtliche Rahmenbedingungen belohnen. In der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) sollten Prämien für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen flächengebundene Direktzahlungen weitgehend ersetzen.
So wie im Klimaschutz der CO2-Preis den Anreiz setzt, Emissionen zu reduzieren, sollten zudem auch Stickstoffüberschüsse bepreist werden, um sie zu verringern. Um dabei die landwirtschaftlichen Betriebe nicht übermäßig zu belasten, muss das Aufkommen der Bepreisung wieder in die Landwirtschaft zurückgehen, etwa in der Förderung nachhaltiger, stickstoffsparender Bewirtschaftung. Die Düngeverordnung schreibt bereits eine bodennahe Ausbringung von Wirtschaftsdünger auf Äckern und ab 2025 auch auf Grünland vor.
Doch das reicht noch nicht. Auch auf unbestellten Ackerflächen sollte Wirtschaftsdünger verpflichtend bodennah ausgebracht werden.
Precision Farming und Precision Feeding nutzen
Moderne Landtechnik und Sensortechnologien verbunden mit Datenmanagementsystemen, KI und Modellierungen machen es möglich, lokale Gegebenheiten, auch innerhalb eines Feldes, bei der Düngung zu berücksichtigen.
Mit „Precision Farming“ lassen sich so gezielt die Teilflächen düngen, für die dies nachhaltig sinnvoll und nutzenbringend ist. Analog zu Precision Farming bietet sich auch Precision Feeding an, also stickstoffminimierte und bedarfsgerechte Tierfütterung.
Weniger Fleisch essen, weniger Lebensmittel wegwerfen
Verhaltensänderungen bei Konsumenten und Händlern sind ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt. Wenn wir weniger Lebensmittel wegwerfen, müssen wir weniger Lebensmittel produzieren, was wiederum die Umwelt schont. Auf Industrieebene kann das zum Beispiel durch angepasste Handelsnormen angestoßen werden.
Darüber hinaus sollten Konsumentinnen und Konsumenten dazu animiert werden, sich gesund und umweltfreundlich zu ernähren – also zum Beispiel weniger Fleisch zu essen und stärker auf die nachhaltige Erzeugung und Herkunft zu achten.
Prof. Dr. Thomas Scholten
Der Staat könne mit gutem Beispiel vorangehen, indem er Beschaffungsvorgaben staatlicher Stellen für Lebensmittel oder Catering anpasst, sodass mehr Biolebensmittel und weniger tierische Produkte auf den Kantinenteller kommen. Solche Maßnahmen wirken über alle Teile der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette zurück und leisten somit mittelbar einen Beitrag zur nachhaltigen Stickstoffnutzung in der Agrarwirtschaft.
Transparenz über den ökologischen Fußabdruck landwirtschaftlicher Produkte erfordert eine nachvollziehbare und vertrauenswürdige Kennzeichnung. Ein Vertrauenslabel sollte demnach Stickstoffeinträge und andere bedeutende Umwelteffekte wie den CO2-Fußabdruck und den Wasserverbrauch umfassen.
Dafür muss eine entsprechende Datenbank geschaffen und fortlaufend weiterentwickelt werden. Eine staatlich vorgegebene Kennzeichnung gewährleiste Einheitlichkeit und Vertrauen von Konsumentenseite.
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