Wie Klimaschutzverträge funktionieren – und vor welchen Herausforderungen Deutschland noch steht
Klimaschutzverträge gelten als Schlüsselinstrument, um die Industrie auf den Weg zur Klimaneutralität zu bringen, weil sie hohe Investitionskosten und unsichere CO₂-Preise ausgleichen. Im Interview erklärt Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik am DIW Berlin, wie dieses Instrument funktioniert – und warum es fast zwanzig Jahre gebraucht hat, bis es in Deutschland umgesetzt wurde.
Herr Neuhoff, was genau sind Klimaschutzverträge und wie funktionieren sie?
Ausgangspunkt für die Klimaschutzverträge ist, dass ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen bei der Herstellung von Grundstoffen wie Stahl, Zement und Plastik entstehen. Diese Produktionsprozesse können auf klimaneutrale Prozesse umgestellt werden. Diese Produktionsprozesse sind aber teurer als die konventionellen. Es treten also für die Unternehmen zusätzliche Kosten auf, wenn sie klimaneutral produzieren wollen.
Grundsätzlich können sich Einsparungen beim CO2-Ausstoß lohnen, weil ja diese eingesparten Emissionen zu geringeren Kosten im Emissionshandel führen. Das Problem dabei ist aber, dass der CO2-Preis nicht sicher ist. Ein Unternehmen tätigt die hohen Investitionen, die notwendig sind, um den Prozess auf klimaneutrale Energieträger umzustellen aber nur, wenn es sicher sein kann, dass sich das auch rechnet.
Mit den Klimaschutzverträgen bekommt ein Unternehmen diese Sicherheit, in dem der Staat ihnen einen bestimmten CO2-Preis zusichert, den es für die eingesparten Emissionen bekommen wird. Wenn der dann gängige Preis auf dem Markt diesen Preis nicht erreicht, zahlt der Staat die Differenz. Liegt der dann gängige CO2-Preis allerdings noch über dem vereinbarten CO2-Preis, zahlt das Unternehmen die Differenz an den Staat. Das ist ein fairer Deal für beide Seiten.
Der Ursprung der Idee liegt fast 20 Jahre zurück. Wie verlief die Diskussion um Klimaschutzverträge seitdem?
Es gab schon 2005 fachliche Diskussionen darüber, wie man CO2-Preise absichern könnte. Ich war zu der Zeit des Aufsatzes, der zu der Idee geführt hat, in Cambridge und habe dort die Diskussionen mitverfolgt. Ab 2013 haben wir uns das am DIW Berlin dann sehr intensiv angeschaut, in dem wir analysiert haben, was sich im Stahl- und Zementsektor in den letzten Jahren verändert hat. Wir wollten schauen, wie erfolgreich die europäische Klimapolitik war. Die Ergebnisse haben uns überrascht.
Es war einiges passiert, es gab tatsächlich Verbesserungen im CO2-Ausstoß, aber diese hatten nichts mit der Klimapolitik zu tun. Was eben nicht erfolgreich war, war der europäische Emissionshandel. Und da haben wir uns angeschaut, wie dieser reformiert werden müsste.
Eine Erkenntnis war, dass wir die Unsicherheiten in den CO2-Preisen auflösen müssten, damit Unternehmen in saubere Produktionsprozesse investieren würden. Das haben wir dann auch im europäischen Forschungsnetzwerk diskutiert. Wir haben mit mehreren Forschungsinstituten daran gearbeitet. Aber ich war damals schon und bin heute noch der festen Überzeugung, dass man Lösungen mit allen Beteiligten finden muss. Deshalb haben wir auch Unternehmen in die Diskussion geholt, um alle Seiten zu berücksichtigen.
Unsere Erfahrung ist, dass es hilfreicher ist, gemeinsam mit allen Parteien nach umsetzbaren Lösungen zu suchen und dass das dann oft auch gelingt. Aber es war ein langer Weg.
Es hat fast 20 Jahre gebraucht, bis die ersten Klimaschutzverträge in Deutschland unterzeichnet wurden. Warum hat das so lange gedauert?
Ich glaube, das liegt daran, dass Ökonomen grundsätzlich sagen, dass Unsicherheiten per se kein Problem seien, da diese über den Markt privatwirtschaftlich abgesichert werden können. Aber gegenüber längerfristigen Verträgen, um solche Risiken zu minimieren, gibt es seit jeher eine Skepsis. Bei den Klimaschutzverträgen reden wir von einer Laufzeit von über 15 Jahren plus drei Jahre Bauzeit. Es gibt sehr gute Gründe für Klimaschutzverträge, aber die Zweifel waren sehr groß.
Gab es eine gesellschaftliche Entwicklung, die dabei geholfen hat?
Es hat sich etwas geändert in der öffentlichen Wahrnehmung, als Fridays for Future entstanden ist. Bis dahin diskutierte man, wie man die klimaschädlichen Emissionen etwas mindern könnte. Fridays for Future sagte aber laut und deutlich: „Spinnt ihr?! Wir müssen klimaneutral werden, wenn wir noch eine Zukunft haben wollen.“ Gleichzeitig gab es wichtige Studien, die belegt haben, dass das möglich ist.
Es fand eine Art Paradigmenwechsel statt, dahin, dass vielen Akteurinnen und Akteuren bewusst wurde, dass wir wirklich klimaneutral werden müssen. Das kam auch im Industriebereich an und es wurde klar, dass man nicht mehr den Standpunkt vertreten kann, dass 20 bis 30 Prozent der Emissionen eben nicht zu reduzieren seien. Allen Beteiligten war außerdem klar, dass man Klimaneutralität nicht aus der Portokasse bezahlen kann.
Wie ging es dann weiter auf dem Weg zu den Klimaschutzverträgen?
Etwa 2020 hat das Bundesumweltministerium Unternehmen eingeladen, ihre Projekte für die Umstellung auf Klimaneutralität darzustellen. Es stand im Raum, dass es Mittel dafür geben würde. Es entstand eine Art Aufbruchstimmung. Trotzdem war die Frage nach den Unsicherheiten im CO2-Preis nicht geklärt.
Ich habe in diesem Prozess mit Unternehmern gesprochen, die berichtet haben, wie sie von ihrer Bank einen Kredit für den Bau einer klimaneutralen Anlage bekommen wollten, aber abgelehnt worden sind, weil sie ja nicht nachweisen konnten, dass diese klimaneutrale Stahlproduktion wirtschaftlich ist. Es war ein riesiger Schritt, als es 2021 gelungen ist, Klimaschutzverträge im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung zu verankern.
Sie haben das Wirtschaftsministerium bei der Entwicklung der Klimaschutzverträge beraten. Wie funktioniert solch eine Beratung?
Solche Klimaschutzverträge beinhalten sehr unterschiedliche Aspekte, die auch aus wissenschaftlicher Perspektive sehr spannend sind. Unsere Aufgabe in der Politikberatung bestand darin, uns diese Details noch einmal genau anzuschauen.
Wir haben untersucht, wer sich überhaupt für solch einen Vertrag auf Seiten der Unternehmen qualifiziert, was entsprechende Technologien erreichen müssen – beispielsweise die Frage, ob wir von einer 100-prozentigen Minderung der Emissionen sprechen oder ob auch 90 Prozent reichen. Bis wann muss das erreicht werden? Was gibt es bei den verschiedenen Technologien zu berücksichtigen?
Wir haben auch geschaut, ob eine Absicherung des CO2-Preises ausreichend ist, oder ob es auch andere Faktoren gibt, die berücksichtigt werden müssen, wie beispielsweise Schwankungen des Preises für grünen Wasserstoff. Auch solche Aspekte können in Klimaschutzverträgen abgebildet werden.
Was sind die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die Sie sich berufen, wenn Sie sich für Klimaschutzverträge aussprechen?
Wir haben uns in einer Studie angeschaut, wie sich die Unsicherheiten in den CO2-Preisen auf Finanzierungskosten von klimaneutralen Industrieanlagen auswirken. Ebenso haben wir untersucht, um wie viel teurer die Umstellung auf die klimaneutrale Produktion wird, wenn wir diese regulatorischen Risiken nicht adressieren. Eine andere Studie hat sich damit beschäftigt, wie hoch der Mehrwert für einen Stahlhersteller wirklich ist, wenn er auf eine klimaneutrale Produktion umstellt.
Wenn wir auf den internationalen Kontext schauen: Wo gibt es Klimaschutzverträge schon?
Es gibt ähnliche Ansätze in anderen europäischen Ländern. In den Niederlanden wurden Differenzverträge zur Absicherung der Investitionen in erneuerbare Energien genutzt und so weiterentwickelt, dass sie jetzt auch in der Industrie zum Einsatz kommen. In einigen Details unterscheidet sich die Umsetzung, aber letztendlich hat das auch dazu geführt, dass Investitionen in klimaneutrale Industrieprozesse abgesichert sind.
In Frankreich werden Ausschreibungen für etwas abgewandelte Klimaschutzverträge vorbereitet. Auch auf europäischer Ebene tut sich etwas. In der ganz konkreten Ausgestaltung und Einführung von Klimaschutzverträgen ist Deutschland aber Vorreiter.
Dieses Interview erschien in ähnlicher Form zunächst auf DIW.de.
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