Flut

Eine Frage der Gerechtigkeit: Warum Klimaanpassung eine sozialpolitische Aufgabe ist

Die Anpassung an den Klimawandel wird meist als technologische und finanzielle Herausforderung behandelt: Steigt der Meeresspiegel, müssen höhere Deiche gebaut werden. Leiden die Städte unter Hitzewellen, müssen mehr Klimaanlagen installiert und Bäume gepflanzt werden. Mangelt es aufgrund von Dürreperioden an Wasser, braucht es effizientere Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft.

In vielen Bereichen entwickeln sich die technischen Möglichkeiten kontinuierlich weiter und doch stoßen sie auch jetzt schon teilweise an ihre Grenzen. Die ersten Inselstaaten im Südpazifik sind nicht mehr zu halten und die Umsiedlung der betroffenen Bevölkerung zeigt deutlich, dass Klimaanpassung nicht beim Bau von Infrastruktur aufhört. Wie wird eine solche Umsiedlung organisiert? Wer nimmt die Betroffenen auf? Und wie gelingt es ihnen, mit dem Verlust ihres Landes zurechtzukommen und sich andernorts zu integrieren? Auch wenn die Situation der südpazifischen Inselstaaten sehr spezifisch ist, so weist sie auf die sozialen, emotionalen und kulturellen Dimensionen von Klimaanpassung hin, die zwar immer sichtbarer werden, aber häufig wenig Beachtung finden – weil sie schwerer zu adressieren erscheinen als technische Herausforderungen und auch, weil sie an grundlegenden Fragen von Ungleichheit und Gerechtigkeit rühren

Klimaanpassung als Treiber sozialer Segregation

Infrastrukturelle Anpassungsmaßnahmen sind teuer. Der Bau der künstlichen Insel Lynetteholmen zum Schutz von Kopenhagen wird auf 3 Milliarden geschätzt, das Sturmflutsperrwerk MOSE in Venedig hat etwa 6 Milliarden Euro gekostet und für den Küstenschutzplan für Nord-Jakarta werden bis zu 80 Milliarden US-Dollar veranschlagt.

Diese immensen Summen werden in der Regel durch Privatisierung von Land, Immobilienverkäufe oder Steuereinnahmen gegenfinanziert. In Jakarta bedeutet das, dass ärmere Bevölkerungsgruppen zwangsumgesiedelt werden, um Staumauern und künstliche Inseln mit Luxusappartments inklusive privater Yachthäfen zu bauen. In Alexandria werden die ehemals offen zugänglichen Strände befestigt und mit Shopping-Malls, hochpreisigen Appartment-Komplexen und Cafés bebaut, die zum Teil ausschließlich für Angehörige der Militärmacht zugänglich sind. Und das auf Lynetteholmen geplante Business-Viertel, das bereits als Europas Green Silicon Valley bezeichnet wurde, soll vor allem IT-Unternehmen anlocken, aber keinen Wohnraum schaffen. 

Zudem müssen häufig Prioritäten gesetzt werden. Wenn nicht die gesamte Küste geschützt werden kann, werden nur bestimmte wirtschaftlich und infrastrukturell wichtige Teile ausgewählt. Klimaanpassungsmaßnahmen verursachen somit hohe Kosten für die Allgemeinheit, aber sind häufig nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen ein Gewinn, was Segregationsprozesse fördert und zu sozialen Konflikten führt.

Soziale Vulnerabilität

Der Blick auf soziale und gerechtigskeitsbezogene Aspekte von Klimaanpassung impliziert die Berücksichtigung von sozialstrukturellen Ursachen von Verwundbarkeit. Dabei wird schnell deutlich, dass nicht unbedingt diejenigen am schwersten vom Klimawandel betroffen sind, die ein Haus an der Küste haben – sondern häufig diejenigen, die über ein geringes Einkommen verfügen, die körperlich eingeschränkt sind, die einen unklaren rechtlichen Status haben oder die in einem Berufsfeld wie der Fischerei tätig sind, das stark von bestimmten Umweltbedingungen abhängig ist.

Neben biophysischen Aspekten wie dem lokalen Überflutungsrisiko spielen also ganz andere/soziale Faktoren eine wesentliche Rolle. Dazu gehören finanzielle Ressourcen, aber auch spezifische lokale Wissens-, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie der ungleiche Zugang zu Entscheidungsprozessen und Macht.

Bei Klimaanpassung geht es um enorme Investitionen und damit um Verteilungsfragen: Wer wird geschützt und um welchen Preis? Hier ist ein starkes sozialpolitisches Engagement nötig, um der Tendenz entgegenzuwirken, gerade vulnerable Gruppen am wenigsten zu schützen und so bestehende Ungleichheiten zu verschärfen.

Eine Frage der Perspektive: Verhandlung und Gestaltung

Bei Fragen der Klimaanpassung gibt es in der Regel nicht den einen richtigen Ansatz. Vielmehr gibt es sowohl auf technologischer als auch auf verhaltensbezogener, auf kollektiver wie auch auf individueller Ebene unterschiedliche Möglichkeiten. Und diese Möglichkeiten haben jeweils Vor- und Nachteile. Dieses Möglichkeitsspektrum wird häufig gar nicht mehr wahrgenommen, wenn sich der Diskurs ausschließlich auf bestimmte technische Maßnahmen fokussiert.

In Jakarta und auch an der Küste Ägyptens wehren sich Bewohner gegen Zwangsräumungen, weil sie lieber mit regelmäßigen Überflutungen leben, als ins Hinterland umgesiedelt zu werden. Die Gründe dafür sind sozialer und emotionaler Art und haben mit dem Verlust der gewohnten Umgebung zu tun, aber auch mit ökonomischen Gründen wie der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Meer als Einkommensquelle. 

In Bremen hat eine geplante Deicherhöhung für heftigen Widerstand in der Bevölkerung geführt, da dafür eine Vielzahl von alten Platanen gefällt werden soll, für die von widerständigen Anwohnern mittlerweile Baumpatenschaften übernommen werden und in Dänemark wehren sich Umweltaktivisten gegen den Bau von Lynetteholmen. Solche Konflikte werden zukünftig vermehrt auftreten und – zumindest in demokratischen Gesellschaften – die Gestaltung von Partizipations- und Dialogprozessen erfordern.

Integrierte Strategien und neue Akteure

Derzeit dominieren in Anpassungsstrategien technische Ansätze, was auch auf die sektororientierte Herangehensweise zurückzuführen ist, in der Anpassung differenziert je nach politischem Aufgabenbereich bearbeitet wird. Um hier den Blick zu weiten und Maßnahmen nicht nur inkrementell zu entwickeln, braucht es eine starke sektorübergreifende Zusammenarbeit und die Integration von Anpassungsmaßnahmen in den sozialökologischen Umbau der Gesellschaft.

Dabei soziale Fragen kontinuierlich mitzudenken, hat auch das Potenzial, die Akzeptanz für Anpassungsmaßnahmen zu erhöhen. Um sozial sensible und gerechtere Strategien zu finden, müssen zivilgesellschaftliche Akteure einbezogen werden, die lokal- und gruppenspezifische Vulnerabilitäten und auch Ressourcen erkennen und beurteilen können.

Unsere Untersuchung zu kulturellem Erbe als Ressource für Klimaanpassung zeigt auch, dass der Fokus auf kulturell verankerte Ressourcen und Strategien ein hilfreicher Ansatz sein kann, um auf lokaler Ebene unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zu adressieren und den Blick für häufig übersehene Maßnahmen zu weiten. Idealerweise werden dabei Strategien entwickelt, die nicht nur die vorhandenen Ressourcen nutzen, sondern auch die Bedürfnisse strukturell benachteiligter Gruppen berücksichtigen und zur kulturellen Identität der lokalen Bevölkerung passen.

Klimaanpassung wird dennoch zukünftig vermehrt für Konflikte sorgen, weil es um Verteilungsfragen und auch um die Priorisierung von Werten und Zielen geht. Wer in welchem Maß geschützt werden soll und auch, welche kulturellen Ressourcen bewahrt werden sollen, bleiben kontroverse Fragen. Eine sozial sensible und gerechtigkeitsorientierte Politik, die auf sektorübergreifender Zusammenarbeit basiert, kann aber dafür sorgen, dass bestehende Ungleichheiten nicht reproduziert und verschärft werden.

Das mag herausfordernd oder gar illusorisch klingen, doch es bleibt im Gegensatz zur Emissionsminderung ein Trost: Klimaanpassung wird lokal umgesetzt und so ist jede Anpassungsstrategie eine neue Chance.

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