Emissionshandel nützt auch der Gesundheit
Die Luftqualität in Europa hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert. Dennoch sind nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur immer noch mehr als 95 Prozent der städtischen Bevölkerung einer Feinstaubbelastung ausgesetzt, die langfristig gesundheitsschädlich ist. Für das Jahr 2020 wird geschätzt, dass 238.000 vorzeitige Todesfälle in der EU allein auf Feinstaub – einen von vielen gesundheitsschädlichen Luftschadstoffen – zurückzuführen sind.
Eine Transformation der Wirtschaft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erfordert daher neben der Eindämmung des Klimawandels und des Schutzes der Biodiversität auch die Reduzierung gesundheitsschädlicher Emissionen.
Emissionshandel und Luftschadstoffe
Eine wirksame Klimapolitik, die den CO2-Ausstoß reduziert, kann als positiven Nebeneffekt auch die Luftqualität verbessern: Sowohl das Treibhausgas CO2 als auch Luftschadstoffe wie Feinstaub entstehen vor allem bei der Verbrennung fossiler Energieträger. Unsere aktuelle Studie untersucht, wie das europäische Emissionshandelssystem (EU ETS), das Herzstück der europäischen Klimapolitik, die Emissionen der Luftschadstoffe Feinstaub, Schwefeldioxid und Stickoxide zwischen 2005 und 2021 beeinflusst haben könnte.
Der europäische Emissionshandel reguliert seit 2005 die Gesamtmenge an Treibhausgasemissionen wie CO2 in größeren Energie- und Industrieanlagen, überlässt es aber den Unternehmen durch den Handel mit Zertifikaten, wo und wie Emissionen eingespart werden. Nach fast zwei Jahrzehnten Erfahrung kommt eine Reihe von wissenschaftlichen Studien zu dem Schluss, dass der Emissionshandel erfolgreich CO2-Emissionen reduziert und damit zum Schutz des Klimas insbesondere für zukünftige Generationen beigetragen hat.
Deutlich weniger gut erforscht sind die Auswirkungen des Emissionshandels auf den Ausstoß von Luftschadstoffen wie Feinstaub, Schwefeldioxid und Stickoxiden, obwohl diese die Gesundheit der Menschen hier und heute direkt beeinflussen.
Eine Welt ohne Emissionshandel?
Neben dem Emissionshandel gibt es eine Vielzahl von Einflussfaktoren, die den Ausstoß von Emissionen und damit auch von Luftschadstoffen bestimmen. Dazu gehören beispielsweise die Höhe der wirtschaftlichen Aktivität, der technologische Fortschritt oder andere Regulierungen wie die europäischen Emissionsstandards für Luftschadstoffe.
Daher ist es schwierig, die Wirkung des Emissionshandels auf die Luftschadstoffbelastung exakt von anderen Einflüssen zu trennen: Wir haben keinen Einblick in eine Parallelwelt, in der alles gleich ist, nur der Emissionshandel nicht eingeführt wurde. Auch der wissenschaftliche Goldstandard, die zufällige Zuteilung der Intervention – in unserem Fall des Emissionshandels – und der anschließende Vergleich mit einer in allen anderen Aspekten identischen Kontrollgruppe ist nicht möglich. Denn die regulierten Sektoren bzw. Unternehmen wurden nicht zufällig ausgewählt und unterscheiden sich stark von den nicht regulierten.
Um dem oben beschriebenen idealen Experiment möglichst nahe zu kommen, verwenden wir in unserer Studie die so genannte generalisierte synthetische Kontrollmethode. Mit dieser Methode schätzen wir, wie sich die Luftschadstoffemissionen seit 2005 ohne weitere Eingriffe — wie insbesondere dem EU ETS, aber auch anderen veränderten Politikmaßnahmen wie EU-weite Emissionsstandards— entwickelt hätten. Dazu vergleichen wir mit statistischen Methoden die Emissionen der nicht vom Emissionshandel erfassten Sektoren wie Verkehr und Gebäude mit den Emissionen der regulierten Sektoren wie Industrie und Energieerzeugung.
Der Emissionshandel hat die Luftschadstoffemissionen wahrscheinlich deutlich reduziert
Die Abbildung stellt die Ergebnisse unserer Studie dar. Die schwarzen Linien in den oberen Grafiken (a) zeigen deskriptiv, wie sich die Emissionen der drei oben beschriebenen Luftschadstoffe in den vom Emissionshandel erfassten Sektoren („behandelte“ Sektoren) im Durchschnitt von 25 europäischen Ländern zwischen 1990 und 2021 entwickelt haben.
Die orangefarbenen Linien stellen dagegen unsere Schätzungen dar, wie sich die kontrafaktischen Emissionen in einem Szenario ohne Emissionshandel (und ohne verschärfte EU-weite Emissionsstandards) entwickelt hätten. Es wird deutlich, dass die beobachteten Emissionen zwischen 2005 und 2021 deutlich niedriger sind als im geschätzten kontrafaktischen Szenario.
Die unteren Grafiken (b) veranschaulichen diesen Unterschied für den durchschnittlichen Behandlungseffekt und das 95-prozentige Konfidenzintervall (schattierter Bereich): Für Schwefeldioxid schätzen wir beispielsweise, dass die Emissionen zwischen 2005 und 2021 um durchschnittlich 39 Prozent reduziert wurden.
Im nächsten Schritt rechnen wir die geschätzten relativen prozentualen Reduktionen in absolute Emissionsmengen in Tonnen pro Luftschadstoff um. Diese multiplizieren wir mit den offiziellen Schadenskostensätzen des Umweltbundesamtes für die drei Schadstoffe, die die Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung in Geldäquivalenten angeben.
Die geschätzten Emissionsminderungen entsprechen einem gesellschaftlichen Nutzen von mehr als 300 Milliarden Euro für die 25 europäischen Länder im Zeitraum 2005 bis 2021.
Auch Emissionsstandards verschärft
Seit 2005 wurde nicht nur der Emissionshandel eingeführt, sondern auch die europäischen Emissionsstandards für große Industrieanlagen verschärft, wie die gestrichelten vertikalen Linien in Abbildung 1 zeigen.
Insofern spiegeln die orangefarbenen Linien in den obigen Grafiken ein Szenario ohne Emissionshandel und ohne veränderte Emissionsstandards wider. Da dies unsere Schätzung der Wirkung des Emissionshandels verzerren könnte, versuchen wir in einem nächsten Schritt, den Einfluss der Emissionsstandards herauszurechnen.
Dazu ziehen wir die geschätzten Emissionsminderungen von Wärmekraftwerken, die sowohl dem Emissionshandel als auch Emissionsstandards unterliegen, von unseren Ergebnissen ab. In diesem Gedankenexperiment gehen wir von der unplausiblen Annahme aus, dass der Emissionshandel keinen Einfluss auf die Luftschadstoffminderung dieser Anlagen hatte.
Trotz dieses sehr konservativen Ansatzes beläuft sich der monetarisierte Gesundheitsnutzen des Emissionshandels auf über 100 Milliarden Euro.
Gesundheitliche Vorteile entscheidend für Verteilungswirkung der Klimapolitik
Jede Bewertung des europäischen Emissionshandels und der Klimapolitik im Allgemeinen sollte die sozialen Kosten und Nutzen möglichst umfassend berücksichtigen. In unserer Studie zeigen wir, dass es falsch wäre, sich nur auf die Reduktion von CO2-Emissionen zu konzentrieren, da dies die erheblichen gesundheitlichen Vorteile des Emissionshandels vernachlässigen würde.
Im Gegensatz zu CO2-Reduktionen, von denen die Menschen global und über viele Generationen hinweg profitieren, kommt eine verbesserte Luftqualität den Menschen hier und heute unmittelbar zugute. Das Wissen um die gesundheitlichen Vorteile des Emissionshandels könnte daher auch die Popularität einer stringenteren Klimapolitik im Rahmen des europäischen Emissionshandels erhöhen, wenn den Menschen neben den unmittelbaren Kosten des Emissionshandels auch die unmittelbaren Vorteile bewusst werden.
Die Verbesserung der Luftqualität könnte den Emissionshandel auch sozial gerechter machen, da es häufig Haushalte mit niedrigem Einkommen sind, die in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung leben und daher am meisten von Emissionsminderungen profitieren könnten.
Forschung nötig: Wer im Einzelnen gewinnt und wer verliert, ist offen
In unserer Studie schätzen wir den Einfluss des Emissionshandels und strengerer Emissionsstandards auf gesundheitsschädliche Emissionen auf hoch aggregierter sektoraler Ebene und finden substanzielle gesundheitsfördernde Effekte des Emissionshandels. Da sich Luftschadstoffemissionen jedoch im Gegensatz zu CO2 und anderen Treibhausgasen nicht gleichmäßig in der Atmosphäre verteilen, ist es von großer Bedeutung zu analysieren, wo genau Emissionsminderungen stattfinden und welche Bevölkerungsgruppen tatsächlich besonders davon profitieren.
In diesem Zusammenhang sollten auch verbesserte offizielle Schadenskostensätze für das Umweltbundesamt entwickelt werden, die berücksichtigen, dass Feinstaub und andere Schadstoffe je nach Ort und Zeit ihrer Emission unterschiedliche Schäden verursachen.
Während wir in unserer Studie eine erste, grobe Schätzung der Größenordnung der Emissionsminderungen und des gesellschaftlichen Nutzens liefern, sollten weitere Studien daher die Verteilungseffekte genauer untersuchen.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Transformation: Der Blick auf CO2 allein genügt nicht von Dr. Dominik Stolzenburg, Technische Universität Wien
Die CO2-Bepreisung wirkt – und hat Nebenwirkungen von Sara Holzmann und Dr. Thieß Petersen, Bertelsmann Stiftung
CO2 einfangen und speichern – fünf Technologien von Martin Cames et al.
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