Wandel vor Ort: Wie die Transformationskapazität von Kommunen gestärkt werden kann

Johanna SiebertProgressives Zentrum

Transformation findet auf lokaler Ebene statt. Es gilt, Rahmenbedingungen zu schaffen, um Kommunen und Regionen in ihrer Transformationskapazität zu stärken. Doch die Herausforderungen sind groß: Bis 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral wirtschaften. Dafür muss der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix fast verdoppelt werden.

Diese Zielsetzung fällt in eine Zeit, in der Bürger:innen aufgrund des Ukraine-Kriegs eine stabile Energieversorgung fordern. Gleichzeitig führt die Energiewende in Regionen und Kommunen zu Konflikten: Wer wird durch den Bau eines Windparks betroffen, wer hat Einfluss auf die Rahmenbedingungen, und wer profitiert von den Renditen? Zudem wächst die politische Unzufriedenheit, was im Zuspruch zu rechtspopulistischen Parteien sichtbar wird.

Faktoren für Transformationskapazität

Für die Transformation auf lokaler Ebene spielen mindestens vier Faktoren eine Rolle:

  • Die Transformation muss in Prozess und Ergebnis gerecht gestaltet sein.
  • Transformation muss den Anspruch verfolgen, ambitionierten Klimaschutz zu betreiben (Ökologie), aber gleichermaßen Wirtschaftlichkeit (Ökonomie) und soziale Teilhabe (Soziales) sicherzustellen.
  • Transformation braucht ein Mehr an Kommunikation und Beteiligung.
  • Positive Begleiterscheinungen der Transformation müssen stärker in den Mittelpunkt rücken und können den konkreten Mehrwert für Bürger:innen nachvollziehbar machen.

Wie dies mit Blick auf die Energiewende gelingt, darum geht es in der gemeinsamen Studie des Progressiven Zentrums (DPZ) und des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS): Unsere Energiewende? Wie Beteiligung vor Ort die Transformation gestaltbar macht.“

Im Fokus stehen drei Beispiele für Beteiligung in der Energiewende, anhand derer Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in Ansätzen der finanziellen Beteiligung sowie in dialogischen und konfliktsensiblen Beteiligungsformaten herausgearbeitet werden.

Beispiele

Windpark Hoort 2, Mecklenburg-Vorpommern

Der Windpark Hoort wurde nach fast zehn Jahren Planung und Bau 2021 eröffnet und umfasst 16 Anlagen, von denen vier zu einem Gemeinde- und Bürgerwindpark (Windpark Hoort 2) gehören.

Windpark Hoort 2 ermöglicht den Bürger:innen sowohl die direkte finanzielle Teilhabe am Windpark über zu kaufende Anteile als auch eine indirekte finanzielle Teilhabe über die Gemeinde.

Die Gemeinde kann aus den Renditen des Windparks Investitionen in die kommunale Infrastruktur tätigen, von der alle Einwohner:innen profitieren. Beispiele hierfür sind die Renovierung des örtlichen Kindergartens und die Anschaffung eines neuen Feuerwehrfahrzeugs. Auch die indirekte finanzielle Beteiligung über vergünstigte Strompreis-Tarife ist möglich und wird seitens Expert:innen empfohlen.

Auf Nachfrage waren sich sowohl die Einwohner:innen als auch die lokalen Behörden einig, dass Modelle der finanziellen Beteiligung, bei denen die einzelnen Haushalte indirekt über die Anteile der Gemeinde profitieren, gerechter sind.

Forum Energiedialog (FED), Baden-Württemberg

Das Forum Energiedialog (FED) ist ein Programm des Landes Baden-Württemberg zur dialogischen Aushandlung von Energiewendekonflikten und wurde 2016 ins Leben gerufen. Inzwischen wird das FED in der dritten Legislaturperiode gefördert und hat über 100 Kommunen begleitet.

Die große Besonderheit des FEDs besteht darin, dass es eine Verantwortungsgemeinschaft zwischen Land und Kommunen stiftet, indem das Land eine finanzielle und politische Unterstützungsstruktur zur Aushandlung von Transformationskonflikten bietet.

Prozessoffenheit und Allparteilichkeit sind dabei Gütekriterien des FEDs, denn hierüber wird die Berücksichtigung aller im Konflikt vorhandenen Perspektiven sichergestellt und damit die Legitimität des Entscheidungsfindungsprozesses vor Ort gestärkt.

Mit Blick auf die lange Planungs- und Bauzeit bei Energiewendevorhaben ist es problematisch, dass das FED die Kommunen aus förderpolitischen Gründen nur in der Planungsphase begleiten darf, zahlreiche Konflikte jedoch erst mit Baubeginn entstehen.

Die Analyse verdeutlicht, dass mit Transformationsprozessen in Richtung Nachhaltigkeit Konflikte einhergehen können und diese ein Seismograph für gesellschaftliche Stimmungen sind. Damit wird konfliktsensible Beteiligung zu einer zentralen Gelingensbedingung für eine gerechte Transformation. Dies ist jedoch nicht ohne personelle und finanzielle Kapazitäten in der Prozessbegleitung und Verwaltung realisierbar.

Bürgerdialoge im Strukturentwicklungsprogramm, Sachsen-Anhalt

Die Bürgerdialoge im Rahmen des Strukturentwicklungsprogramms in Sachsen-Anhalt sind ein Online-Dialogformat zur Beteiligung von Bürger:innen an der Identifikation von Investitionsschwerpunkten für Landesmittel im Strukturwandel und wurde 2021 von der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt initiiert.

Die Bürgerdialoge haben eine politische Sichtbarkeit und Nahbarkeit in einem schwierigen regionalen Umbruchprozess gestiftet und wurden seitens der Bürger:innen geschätzt. Mit dem Format wurde das Ziel verfolgt, die Region für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen und Strukturwandel als Chance zu vermitteln.

Die Analyse zeigt jedoch auch, dass die strukturpolitischen Fragestellungen für viele Bürger:innen abstrakt waren und sie vielmehr konkrete politische Anliegen aus ihrem kommunalen und regionalen Umfeld eingebracht haben. Das erschwert es der Landesverwaltung, die Ergebnisse der Bürgerdialoge mit landespolitischen Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass Beteiligung für eine gerechte Transformation Formate mit Lebensweltbezug braucht, für die seitens der Verwaltungen auch langfristig Kapazitäten bereitgestellt werden.

Erkenntnisse und Empfehlungen

Schlüsselrolle der Kommune

Aus der Analyse und den Interviews mit Verwaltungsmitarbeiter:innen fast aller Bundesländer wird deutlich, dass Kommunen und Regionen eine Schlüsselrolle in der Transformation innehaben. Sie sind sowohl mit der technischen Umsetzung der Energiewende als auch mit der demokratischen Verhandlung lokaler Fragen und Konflikte konfrontiert.

Diese Aufgaben erfordern ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen. Eine langfristige Finanzierung von Transformationsprozessen kann durch die Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen sichergestellt werden, beispielsweise durch die Aufnahme von Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen als neue Gemeinschaftsaufgabe in in Art. 91a Abs.1 des Grundgesetz.

Wir empfehlen daher, Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen als neue Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz aufzunehmen.

Auch  die materielle Beteiligung von Kommunen am Ausbau der erneuerbaren Energien können die Akzeptanz und den Gestaltungswillen vor Ort fördern.

Wir empfehlen daher ein „Unsere Energiewende“-Gesetz.

Gemeint ist die verpflichtende finanzielle Beteiligung der Kommunen beim Ausbau erneuerbarer Energien. Dies sollte an eine gemeinwohlorientierte kommunale Investitionsstrategie der Gewinne gekoppelt werden.

Geteilte Verantwortung zwischen Land und Kommune

Kommunen sollten jedoch auch unabhängig von ihrem kommunalen Haushalt selbst Vorhabenträgerin eines Energiewende-Projektes werden können. Ein niedrigschwelliger Fördertopf aus Landes- und/oder Bundesmitteln, der Kommunen durch günstige Kreditvergabe und Risikoabsicherung ein solches Projekt ermöglicht, kann die kommunale Beteiligungsaktivität stärken.

Wir empfehlen daher einen Transformationsbeteiligungsfonds.

Also die Einrichtung eines Fonds für die Unterstützung von kommunaler Teilhabe und Mitgestaltung an der Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen.

Mehr Beteiligung trotz fehlender Verwaltungskapazitäten

Um Transformationsprozesse wie die Energiewende angesichts des wachsenden Zuspruchs für rechtspopulistische Positionen demokratisch zu verhandeln, sind mehr Dialog, Konfliktbearbeitung und Beteiligung erforderlich.

Das erfordert die Bereitstellung passender Verwaltungskapazitäten, um die Ergebnisse aus Beteiligungsprozessen sinnvoll in Verwaltungshandeln integrieren zu können. Bestehende Organisationen wie die Landesenergieagenturen einzubinden, kann zusätzliche Kapazitäten schaffen.

Wir empfehlen Landestransformationspat:innen.

Gemeint ist die Schaffung von dauerhaft finanzierten Stellen für kommunale Prozessbegleiter:innen mit Expertise in den Bereichen der finanziellen Beteiligung sowie der konfliktsensiblen dialogischen Beteiligung in den Landesenergieagenturen.

Doch auch auf Landesebene müssen die verschiedenen Beteiligungsformate im Land besser koordiniert werden, um aus den verschiedenen Prozessen zu lernen und Synergien zu schaffen. Hierfür ist eine zentrale Koordinierungsstelle zur Bündelung und ressortübergreifenden Abstimmung sowie der Evaluation von Beteiligungsmaßnahmen in Transformationsprozessen auf Länder- und kommunaler Ebene sinnvoll.

Wir empfehlen daher, die Transformationsbeteiligung ressortübergreifend steuern.

Zum Beispiel über die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle für Beteiligung in den Landesverwaltungen, an die sich Verwaltungsmitarbeiter:innen fachlich wenden können. Die Koordinierungsstelle behält zudem einen Überblick über die verschiedenen Beteiligungsmaßnahmen auf Länder- und kommunaler Ebene.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Wie der Umstieg aufs E-Auto wirklich zum Klimavorteil wird von Kathrin Graulich, Öko-Institut

Sind die Bürger:innen die Motoren der Energiewende in der EU? von Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer und Dr. Ariane Debourdeau, TU Berlin

Energetische Vor-Ort-Versorgung: Die Energiewende aus Bürgerhand voranbringen von Arne Surmann und Kolleg:innen, Fraunhofer-Institute



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