Wildling

Wildling: Ein faires Spielfeld für wertorientierte Unternehmen

Anna YonaWilding Shoes

In unserer Interview-Reihe sprechen wir mit kleinen und mittleren Unternehmen über das Thema nachhaltige Innovationen – und darüber, welche staatlichen Rahmenbedingungen aus ihrer Perspektive gegeben sein müssen, damit die anstehende Nachhaltigkeitstransformation erfolgreich bewältigt werden kann.

Dieses Mal geht es um den Schuhhersteller Wildling aus dem Bergischen Land. Gründerin Anna Yona erzählte uns unter anderem, warum sie den Gründungsprozess in Deutschland als erstaunlich positiv wahrgenommen hat.

Können Sie uns Ihr Produkt näher erläutern?

Die Schuhe haben wir für unsere eigenen Kinder entwickelt. Da barfuß laufen nicht unbedingt gesellschaftlich akzeptiert ist, wollten wir stattdessen einen Schuh gestalten, mit dem sich die Kinder natürlich und frei bewegen können. Denn genau das ist es, was man von einem Schuh braucht: ein Barfußgefühl. Der Schuh sollte sich der Fußform anpassen oder eine Form haben, die unserer Anatomie entspricht. Das ist bei vielen Modellen allerdings nicht der Fall.

Es gibt zig Dinge an herkömmlichen Schuhen, die man nicht braucht. Die haben wir für unsere Produkte alle entfernt. Es ist ein Minimalschuh. Dementsprechend ist er auch sehr ressourcenschonend. Dennoch kommt der Nachhaltigkeitsgedanke für uns erst im zweiten Schritt.

Im zweiten Schritt?

Ja, denn der erste Schritt muss doch sein, dass man ein Produkt entwickelt, das wirklich sinnvoll ist. Viele unserer Kunden und Kundinnen sagen uns, dass sie durch unsere Schuhe nun weniger Knie- oder Rückenschmerzen haben oder im Job länger stehen können. Würde unser Produkt nicht die Lebensqualität verbessern, könnten wir es noch so nachhaltig produzieren – die eingesetzten Ressourcen wären dennoch verschwendet.

Auf welche Aspekte achten Sie in der Produktion konkret?

Unser Schuh ist ein Minimalschuh. Es kommt also mit wenig Material aus. Das Material, das wir einsetzen, ist zudem langlebig. Und es stammt größtenteils aus regenerativem Anbau. Wir kennen die Lieferkette dabei sehr genau, können sie teilweise bis auf die Faser zurückverfolgen. Denn wir arbeiten sehr eng und schon seit vielen Jahren mit den Landwirten zusammen, die unsere Rohstoffe gewinnen – haben ihnen teilweise sogar den Anstoß dafür gegeben, auf eine regenerative Landwirtschaft umzustellen.

Denn Wildling möchte einen positiven Einfluss auf die Bodenqualität, die Biodiversität und die Zukunftsperspektiven in ländlichen Gebieten haben. Für uns geht es bei dem Thema Nachhaltigkeit nicht nur darum, so wenig Schaden wie möglich anzurichten – wir wollen auch etwas Positives beitragen. Allerdings bedeutet das auch einen großen Aufwand für Widling.

Können Sie das ausführen?

Offen gesagt hatten wir gar nicht vor, ein größeres Unternehmen zu werden. Wir wollten mit unseren Familien davon leben können. Unser bescheidener Plan ist ausgeufert. Dadurch wird man mit anderen Themen konfrontiert. Zum Beispiel damit, dass man als Unternehmen natürlich Verantwortung hat. Denn man hat ab einer gewissen Größe einen größeren Hebel, auch wenn man positive Entscheidungen fällt.

Arbeitskultur ist ein wichtiges Thema bei Wildling. Wir haben einen Rahmen der Zusammenarbeit, der viel Eigenständigkeit, aber auch viel Verständnis füreinander bietet. Das braucht viel Kommunikation, die auch aufwändig ist. Teilweise ist das für Wildling zu einer Art Bildungsauftrag geworden. Es arbeiten viele Menschen für uns, die aus einem System kommen, in dem ihnen wichtige Kompetenzen nicht beigebracht wurden. Das geht von Kommunikation über Selbstreflexion bis hin zum selbstständigen Arbeiten. Und wir nehmen uns wirklich viel Zeit, diese Menschen weiterzubilden, mit ihnen zu sprechen und zuzuhören.

Ein anderer Aspekt dabei ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 70 Prozent unseres Teams sind weiblich, auch in Führungspositionen. Häufig stehen Mitarbeiterinnen vor der Herausforderung, dass sie die berufliche Person von der Person mit dem kleinem Kind trennen sollen. So kann Vereinbarkeit nicht funktionieren.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen?

Faire Rahmenbedingungen. Wertorientierte Unternehmen können es sich eigentlich kaum leisten, wertorientiert zu sein. Das liegt zum Beispiel daran, dass wir Arbeitskraft extrem hoch besteuern. Wenn ich möchte, dass mein Betrieb wirtschaftlich bleibt, muss ich eigentlich das letzte Quäntchen Effizienz noch aus den Mitarbeiter:innen rauspressen. Das beißt sich mit allem, was Wildling leben will. Wir würden es dagegen für sinnvoller halten, wenn zum Beispiel Rohstoffe und Ressourcen stärker besteuert würden. Das würde Unternehmen auch zu mehr Ressourceneffizienz anhalten.

Es wäre ebenfalls nötig, dass die Politik wertorientiertes Handeln belohnt, damit die Betriebe wettbewerbsfähiger werden können. Zum Beispiel durch Steuererleichterungen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Konkurrenten, die externe Kosten verursachen, für diese geradestehen müssten. Denn durch unsere Werte sind unsere Produkte teuer in der Herstellung.

Das fängt schon beim Material an. Wir bauen langjährige Partnerschaften mit unseren Lieferanten, den Landwirten, auf. Das ist aufwendig und kostet. Und wir legen Wert darauf, dass wir mit unseren Zulieferern vernünftig umgehen. Wir geben Abnahmegarantien. Manche unserer Materialien müssen wir zwei Jahre im Voraus bestellen. Das ist auch für uns der Blick in die Glaskugel.

Ein weiterer Punkt ist das Thema Kreislaufwirtschaft. Wir möchten unsere Materialen so weit es geht recyclen. Das ist kompliziert, gerade im Schuhbereich. Dort werden sehr viele Materialien miteinander verbunden – und sind dementsprechend nur aufwändig zu trennen. Das ist ein enormer Zeitaufwand. Wir leisten ihn gerne, aber das kostet alles Geld.

Wie funktioniert Ihr Geschäftsmodell denn dann bislang?

Wir verkaufen unsere Schuhe nicht über Händler, sondern vertreiben sie direkt. Wir hätten gar nicht den Spielraum, noch Händlermargen einzuplanen. Das hat natürlich auf der anderen Seite den Nachteil, dass wir in Läden nicht sichtbar sind. Ein weiterer Punkt ist, dass wir wenig Geld in Marketing investieren müssen. Denn unsere Kund:innen empfehlen uns oft weiter.

Gab es im Gründungsprozess von Wildling ebenfalls politische Hürden?

Die Gründung habe ich als sehr positiv wahrgenommen. Mein Mann und ich haben zuvor ein Fitnessstudio in Israel gegründet, da er Sporttherapeut ist. Dort war der Prozess wesentlich schwieriger. Deshalb war ich sehr begeistert davon, wie viel Unterstützung man als Start-up in Deutschland erhalten kann. Wir haben uns in dieser Phase aber auch um alles beworben, für das man sich bewerben kann: Wettbewerbe, Innovationsworkshops, den Gründerpreis, einen KfW-Kredit. Das hat uns sehr geholfen, auch in puncto Netzwerk.

Natürlich war auch nicht alles rosarot. Nicht jede Beratung ist Gold wert. Aber insgesamt waren die Angebote sehr hilfreich. 

Was brauchen wir generell, um die Bahnen in eine nachhaltigere Wirtschaftsform zu lenken?

Wir müssen die Regeln ändern. Wir brauchen ein faires Spielfeld. Externe Kosten müssen eingepreist werden, zum Beispiel durch einen realistischen CO2-Preis. Rohstoffe sollten besteuert werden. Das würde auch Anreize für Betriebe setzen, anders zu agieren.

Auf dem jetzigen Spielfeld lohnt es sich leider immer noch, der Gesellschaft Kosten zu verursachen, weil man sie hinterher nicht verantworten muss.

Die aktuellen Regeln helfen uns nicht dabei, die richtigen Entscheidungen zu fällen. Natürlich ist mir klar, dass es nicht leicht ist, sie zu ändern. Wenn wir Veränderungen wollen, ist das nur ganz vielschichtig zu erreichen.

Wir sehen zum Beispiel, dass sich Macht und Kraft immer mehr kumulieren. Und es Gruppen gibt, die massiv auf die Politik einwirken – Lobbyverbände, zum Beispiel. Auch die Medien sind Teil dieses Systems und veröffentlichen den vermeintlichen Aufschrei dieser Gruppen.

Der wirtschaftliche Druck wirkt ja auch auf Wildling. Wir können uns auch nicht frei von diese Zwängen machen. 2023 mussten wir Menschen entlassen.

Wir haben eine Gesamtverantwortung, aber ich sehe aktuell nicht, dass Verantwortung übernommen wird. Ich sehe auch keine Vision. Vorschläge werden destruktiv verrissen oder blockiert. Wir brauchen eine Richtung, die wir gemeinsam einschlagen können – und bei der wir es dann auch schaffen, sie miteinander zu gehen.

 Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Wahre Kosten: Wie Klimakosten zu Marktanreizen beitragen von Prof. Dr.-Ing. Matthias Schlipf (Hochschule München), Bastian Striegl und Prof. Dr. Tobias Gaugler (Hochschule Nürnberg)

Eine neue Sprache finden: Warum wir anders über das Klima reden müssen von Bálint Forgács, Freie Universität Berlin

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