Strukturen wahren oder Wettbewerb wagen?
Wettbewerb führt zu mehr Produktivität und somit langfristig zu mehr Wohlstand. Bei diesem Prozess gibt es Gewinner und Verlierer, insgesamt wird der Kuchen jedoch größer. So lautet die verkürzte Zusammenfassung des vorherigen Beitrages zum Zusammenhang zwischen Wettbewerb und Produktivität. Und wenn der Kuchen insgesamt größer wird, könnten alle – zumindest theoretisch – auch ein größeres Stück erhalten.
Innovations- und Investitionspolitik vs. Strukturkonservierungspolitik
Die Aufgabe einer guten Wirtschaftspolitik sollte also darin bestehen, die Kräfte des Wettbewerbs zu stärken und dort tätig zu werden, wo dieser durch bestimmte Barrieren behindert wird. Doch es scheint, als wolle die Wirtschaftspolitik nun gerade selbst solche Barrieren errichten. Mit der „Nationalen Industriestrategie 2030“ will Bundeswirtschaftsminister Altmaier gezielt Branchen und sogar ausgewählte Unternehmen fördern und sie zu europäischen Champions formen. Nur so könnten sie im internationalen Wettbewerb, vor allem mit China und den US-amerikanischen Internetplattformen, konkurrenzfähig bleiben. „Size matters“, so das BMWi.
Die zunehmende internationale Konkurrenz wird nun zum Anlass genommen, die eigenen Märkte eben vor solcher Konkurrenz zu beschützen – die nationale und europäische Konkurrenz soll also zugunsten der internationalen Konkurrenzfähigkeit geopfert werden. Dieser Vorschlag hat eine intensive Debatte ausgelöst, die wir hier zusammengefasst haben. Die Mehrheit der Ökonomen lehnt die Vorschläge mit Verweis auf die positiven Kräfte des Wettbewerbs vehement ab. Anderen Ökonomen greift eine pauschale Ablehnung jeglicher Industriepolitik zu kurz.
Der Blick auf die Praxis zeigt, dass viele Innovationen in Deutschland nach wie vor von „hidden champions“ hervorgebracht werden, die eben nicht durch Größe, sondern durch Spezialisierung und Flexibilität punkten. Und Innovationen sind ein entscheidender Punkt. Neue und innovative Produkte und Dienste drängen in die Märkte und rütteln an etablierten Strukturen. Die Wirtschaftspolitik sollte Antworten darauf finden und Rahmenbedingungen setzen, in denen die etablierten Unternehmen selbst (wieder) innovativ werden können. Eine gute Industriepolitik ist somit eine Innovations- und Investitionspolitik. Investitionen in Digitalisierung, Technologie und Infrastruktur sollten auf der Agenda stehen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen wieder zu stärken. Doch scheint derzeit eher der Ansatz zu sein, etablierte Strukturen zu konservieren und vor allzu Neuem zu bewahren.
Taxi- und Handwerksbranche – brauchen wir Reformen?
Zwei Beispiele: Dem US-Fahrdienstanbieter Uber ist es in Deutschland – und auch in anderen Ländern, z.B. Frankreich – de facto verboten, kostenpflichtige Fahrten an Personen zu vermitteln. Warum? Es werden diverse Argumente angeführt. Eines ist die unklare Stellung der Fahrer. Sind die Fahrer Angestellte oder Selbstständige? Anstatt sich die Mühe zu machen dieses zu klären, schwingt die Politik den Holzhammer des Verbotes. Ein anderes Argument ist eine befürchtete Verwässerung der Qualität im Fahrdienstgewerbe, wenn Anbieter ohne Taxilizenz in den Markt drängen. Die Taxilizenzen sind allerdings kaum noch am Markt erhältlich und erhalten restriktive Anforderungen, wie z.B. eine Ortskundeprüfung – in Zeiten von Google Maps wohl doch etwas überholt, wie auch die Wettbewerbsökonomen Heimeshoff und Haucap feststellen.
Ein weiteres Beispiel: Der Bundesrat hat sich in seiner Sitzung am 15. Februar 2019 für eine Wiedereinführung der Meisterpflicht in vielen Handwerksberufen ausgesprochen. Die Länderkammer stimmte einem entsprechenden Antrag Bayerns zu. Für bestimmte Berufe, von denen nach Auffassung des Gesetzgebers keine Gefahren für Leib und Leben ausgehen, wie z.B. Raumausstatter, Fotografen oder Textilreiniger, ist seit der Reform der Handwerksordnung im Jahr 2004 keine spezielle Berufsqualifikation mehr notwendig. Infolge dessen ist die Anzahl der eingetragenen Betriebe im diesem deregulierten Handwerksbereich nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) von 74.940 auf 244.273 gestiegen, während die Anzahl der Betriebe in den weiterhin zulassungspflichtigen Handwerksberufen im gleichen Zeitraum von 587.762 auf 574.086 zurückgegangen ist.
Beides klare Indizien dafür, dass der Abbau von Marktzutrittsschranken den Wettbewerb belebt. Das Rad soll nun aber wieder zurückgedreht werden. Die Argumente sind ähnlich denen des Taxigewerbes: Auch befürchtet man eine etwaige Qualitätsverschlechterung durch den intensiveren Wettbewerb. Doch auch aus Sicht der Monopolkommission ist der Meisterzwang kein geeignetes Instrument zur Sicherung der Qualität, da er zunächst nur formal zur Führung eines Betriebes berechtigt. Zudem kann der Meistertitel nach wie vor freiwillig erworben werden und dem Kunden als Signal guter Qualität dienen. Natürlich muss eine gewisse Qualität gewährleistet werden, doch gibt es hier für andere Mittel als den Marktzutritt künstlich zu erschweren.
Der Nirvana-Ansatz
Der Ökonom Harald Demsetz hat eine derartige Wirtschaftspolitik bereits 1969 als sogenannten „Nirvana approach“ bezeichnet. Die Politik vergleicht tendenziell neue und noch unsichere Marktsituationen mit einem Idealbild eines Marktes. Gegenüber einem idealen Markt weist eine neue Marktsituation natürlich Schwächen auf – somit findet man immer Gründe zu intervenieren. Der relevante Vergleichsmaßstab sollte aber nicht der ideale Markt, sondern ein real existierender Markt sein. Und dieser weist in aller Regel selbst Marktunvollkommenheiten auf.
Wie unvollkommen ein Markt sein kann, zeigt ein Gutachten zum Berliner Taximarkt im Auftrag des Berliner Senats. 77 Prozent der Taxibetriebe in Berlin gehörten zu den „irregulär arbeitenden Betrieben.“ In München, Köln oder Stuttgart seien es 40 Prozent. Systematisch würden Steuern und Sozialabgaben hinterzogen, so das Gutachten. Welche Qualitätsstandards Uber hier noch verwässern sollte, bleibt schleierhaft.
Gewinner und Verlierer
Warum werden bestehende Strukturen so vehement verteidigt? Weil es, wie eingangs erwähnt, Gewinner und Verlierer gibt. Die Verlierer sind eindeutig festzumachen (Taxiunternehmer oder alt eingesessene Handwerksbetriebe) und können sich bereits heute organisieren und ihre Interessen gegenüber der Politik durchsetzen. Die Gewinner des Wettbewerbs, oft die Verbraucher, profitieren erst in der Zukunft, sind weit verstreut und somit schlechter organisiert.
Wie sollte die Politik also damit umgehen? Sie sollte Marktzutrittsschranken in Form von überholter Regulierung abbauen und die Potenziale des Wettbewerbs heben. Dies kommt letztlich den Verbrauchern durch größere Auswahlmöglichkeiten und günstigere Preise zugute. Der intensivere Wettbewerb übt naturgemäß Druck auf die Gewinne der etablierten Unternehmen aus. Manche etablierten Handwerksbetriebe haben vielleicht die Preisschraube zu sehr nach oben gedreht und sehen ihre komfortable Situation nun durch neue Wettbewerber bedroht.
Doch auch neue eintretende Betriebe stehen unmittelbar einem intensiveren Preiswettbewerb gegenüber. Sind sie nicht produktiv genug, scheiden sie nach kurzer Zeit wieder aus dem Markt aus. So ist im Handwerk nach Angaben der Monopolkommission ebenfalls eine deutliche Zunahme der Marktaustritte sowie eine geringere Überlebensrate bzw. Stabilität der Betriebe feststellbar. Diese Marktaustritte ineffizienter Unternehmen sind in einer freien Marktwirtschaft aber durchaus zu begrüßen, da dadurch Ressourcen für effizientere Unternehmen freigesetzt werden. Zudem ist nicht jeder Gewinnrückgang derart existenzbedrohend, dass die Politik eingreifen muss. Vielmehr sollte der Wettbewerb Ansporn sein, sich durch bessere Produkte und Dienstleistungen von der Konkurrenz abzusetzen.
Sind Marktstrukturen insgesamt bedroht, wandern ganze Branchen ins Ausland ab oder halten dem technologischen Wandel nicht stand, sollten die potenziellen Verlierer des Wettbewerbs allerdings nicht außer Acht gelassen werden. Die langfristigen Wohlfahrtsgewinne bieten jedoch Spielraum zur Kompensation. Den Betroffenen sollten Angebote, z.B. in Form von Umschulungsmaßnahmen und weiteren aktivierenden Arbeitsmarktpolitiken, gemacht werden. Finanziert werden können diese z.B. durch eine Besteuerung der Gewinner des Wettbewerbs, z.B. der Uber-Plattform. Notwendig hierfür ist natürlich, dass sich diese Plattformen der Besteuerung nicht z.B. durch Gewinnverlagerung entziehen können. Hier gibt es durchaus noch politischen Gestaltungsbedarf – jedoch nicht durch eine nationale Industriepolitik, sondern durch eine große europäische Lösung.
Kommentar verfassen