Weltklassepatente als neuer Indikator für Innovationskraft?
Ein relevanter Indikator für die Innovationskraft eines Landes ist die Zahl der angemeldeten Patente. Doch ihre Betrachtung allein zeichnet kein realistisches Bild der Wirklichkeit. Eine neue Studie kann die Patentsituation in 58 Zukunftstechnologien erstmals sehr differenziert analysieren und beschreibt zugleich dramatische Veränderungen.
Innovation ist entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. Und Patente wiederum bilden das Fundament der Innovation. Doch welches Land ist international führend im Bereich des geistigen Eigentums und welche Entwicklungen haben in den letzten beiden Dekaden stattgefunden? Bislang haben sich zahlreiche Studien lediglich auf die Anzahl der angemeldeten Patente gestützt. Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung („Weltklassepatente in Zukunftstechnologien“) konzentriert sich nun auf besonders relevante Patente in insgesamt 58 Zukunftstechnologien. Diese dürften für künftigen Wohlstand eine entscheidende Rolle spielen.
Die Studie bricht dabei in dreifacher Hinsicht mit dem üblichen Ansatz: Erstens berücksichtigt sie die enormen Unterschiede in der Qualität von Patenten und den Standards der Patentdefinitionen, indem sie sich nur auf die zehn Prozent der wichtigsten Patente konzentriert – und unter dem Stichwort „Weltklassepatente“ subsummiert. Die zehn Prozent besten Patente werden anhand von Zitationen bei Patentanmeldungen und hinsichtlich Marktabdeckung ermittelt. Zweitens beschränkt sie sich auf 58 Zukunftstechnologien, wie zum Beispiel Blockchain, 5G, Smart Grid oder Recycling (siehe Race Bar Chart). Drittens zählt sie nicht nur die Patentanmeldungen, sondern bewertet das aktive Patentportfolio zu einem bestimmten Zeitpunkt – und macht so eine aussagekräftige Momentaufnahme der aktiven Patente, anstatt nur die Neuankömmlinge zu zählen.
Ein erstes Fazit daraus auf den Punkt gebracht: Die Vereinigten Staaten sind die dominierende Patent-Supermacht und verzeichnen in den meisten Technologien die größte Zahl an Weltklassepatenten. Jedoch holen China und auch Südkorea mit hohen Wachstumsraten bei Weltklassepatenten schnell auf. Europa und Deutschland fallen derweil langsam, aber sicher in der Reihenfolge zurück.
Qualität statt Quantität
Durch den neuen Ansatz werden die wirklich wichtigen Patente in den Mittelpunkt gerückt. Windenergietechnologie ist ein gutes Beispiel, um die Diskrepanz zwischen der Überzahl an Patenten und der kleinen qualitativen Elite von Weltklassepatenten zu erklären: In der Summe gab es im September 2019 weltweit 40.011 Windenergiepatente. 16.740 davon kamen aus China. Unter diesen befinden sich jedoch nur 300 Weltklassepatente, basierend auf ihrer Marktabdeckung und ihrer Zitierung durch offizielle Prüfer in Patentämtern. Im Jahr 2019 hielt China dabei insgesamt etwa 40 Prozent der weltweiten Windenergiepatente, aber nur 6,6 Prozent der Weltklassepatente. Zum Vergleich: Deutschland hält zum September des vergangenen Jahres 958 Weltklassepatente in der Windenergie, von insgesamt 3.829 Patenten in dieser Technologie weltweit.
Die USA als Patente-Hypermacht
Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass die USA ihre Vorrangposition bei den Patenten von Weltklasse noch längst nicht eingebüßt haben. Im Jahr 2000 hielten die Vereinigten Staaten bei 55 von 58 in der Studie betrachteten Zukunftstechnologien die meisten Patente auf Weltklasseniveau. Bis zum Jahr 2019 ist diese Zahl nur leicht rückläufig. Überraschenderweise rangieren die USA noch bei 50 Technologien an der Spitze, während sie bei den anderen acht Technologien jeweils den zweiten Platz belegen. Besonders deutlich vorne findet sie sich in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit. Auch bei der zentralen Querschnittstechnologie Digitalisierung sind die Vereinigten Staaten stark. Ein Beispiel dafür ist die Künstliche Intelligenz. Auch wenn die USA hier ein wenig an Boden verloren haben, halten sie immer noch fast die Hälfte der Weltklassepatente und haben einen soliden Vorsprung vor der zweitplatzierten Volksrepublik China.
China wird schnell stärker
Während der allgemeine Vorsprung der USA beeindruckend ist, gilt dies bei China für die erkennbare Dynamik des Aufholprozesses. So war die Volksrepublik noch im Jahr 2000 kein ernsthafter Herausforderer im Bereich des geistigen Eigentums: Nicht in einer einzigen der 58 Zukunftstechnologien erreichte sie damals eine Position unter den fünf Nationen mit den meisten Weltklassepatenten. Im Jahr 2010 hatte sie bereits etwas an Boden gewonnen, schaffte es aber immer noch bei keiner der Technologien unter die ersten Favoritenränge. Heute hält China dagegen in fünf Technologien die meisten Spitzenpatente und hat es in 37 weiteren Technologien unter die Top 3 geschafft. So kann China etwa bei Recycling, Wasseraufbereitung oder Abfallmanagement gleich in drei Umwelttechnologien seine Konkurrenten überflügeln und besitzt nun in diesen Bereichen die meisten Weltklassepatente. Auch bei den beiden Ernährungstechnologien Biozide und Düngemittel ist China bereits führend. Die Düngemittel zeigen dabei eindrucksvoll eine Entwicklung für China, das praktisch aus dem Nichts kommend nun in den letztgenannten Technologien deutlich vor allen anderen Ländern, einschließlich der Vereinigten Staaten, rangiert.
Der Überraschungskandidat Südkorea
So weit, so absehbar? Angesichts seiner Größe und seines Forschungspotenzials erscheint es kaum als Wunder, dass China bei dieser Entwicklung nicht nur viele Patente mit inkrementellen Verbesserungen, sondern auch zahlreiche Weltklassepatente hervorbringen konnte. Doch der Aufstieg Ostasiens beschränkt sich nicht nur auf sein wichtigstes Kraftzentrum. So bleibt Japan nach wie vor ein sehr beachtlicher Akteur – es hält die meisten Weltklassepatente in drei Technologien. Vor allen aber hat sich auch Südkorea aufgrund seiner Wachstumsdynamik ebenfalls einen Platz in der Spitzengruppe erobert. Genau wie China war das Land im Jahr 2000 nirgendwo unter den fünf Nationen mit der höchsten Zahl von Weltklassepatenten zu finden. Im Jahr 2019 konnte es in 29 Technologien einen Platz unter den Top 5 erreichen. In mehr als der Hälfte aller betrachteten Technologien nimmt damit Südkorea bei der Zahl der Weltklassepatente den fünften Platz oder besser ein. Im Verhältnis zur Größe des Landes ist seine Leistung dabei sogar noch einmal beeindruckender.
Europa auf dem absteigenden Ast
Bislang geht der Aufstieg Ostasiens vorwiegend zu Lasten der Europäer, insbesondere von Frankreich. Im Jahr 2000 belegten die Franzosen noch in 41 der 58 untersuchten Technologien die ersten 5 Plätze. Im Jahr 2010 war die Zahl bereits auf 19 gesunken, im vergangenen Jahr waren es gerade noch 12. Auch Großbritannien und Deutschland haben in den letzten zehn Jahren ebenfalls starke Rückgänge zu verzeichnen. Das Vereinigte Königreich fiel in der vergangenen Dekade von 40 auf 21 Top 5-Positionen herab. Deutschland ist weiterhin Europas stärkste Macht bei wichtigen Patenten, erreichte im Jahr 2010 ebenfalls immerhin noch beeindruckende 47 Mal Top 3-Positionen, knapp zehn Jahre später aber nur noch 22 Mal. Einer der wenigen Bereiche, in denen Europa seinen Anteil an Weltklasse-Patenten noch stabil halten oder seine Position in Teilbereichen sogar leicht verbessern konnte, ist das Gesundheitswesen. Dabei behält es seine Position mit großem Abstand hinter den Vereinigten Staaten, kann aber hier die ostasiatischen Länder noch auf Distanz halten.
Starke Konzentration von Weltklassepatenten
Auffallend ist die starke Konzentration der Weltklassepatente in einigen wenigen und großen Ländern. Damit einher geht die Sorge über eine wachsende Kluft zwischen diesen und dem Rest der Welt. Denn abgesehen von den sieben bisher erwähnten Staaten rangiert nur Kanada in den meisten Bereichen der Spitzentechnologien ziemlich weit oben und gehört in neun Feldern zu den Top 5. Auch die Schweiz ist trotz ihrer relativ kleinen Volkswirtschaft breit und erfolgreich aufgestellt. Insbesondere in den Bereichen Industrie, Digitalisierung und Gesundheit schneiden die Eidgenossen gut ab und können zahlreiche Weltpatente vorweisen. Dänemark steht an dritter Stelle bei den Weltklassepatenten im Bereich der Windenergie, Schweden und die Niederlande heben sich in einigen wenigen Bereichen ab. Indien hingegen erreicht trotz seiner Größe und seiner beeindruckenden wirtschaftlichen Wachstumsraten nur vier Top 5-Positionen.
Zur Studie mit weiteren Details.
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