Warum extreme Wetterereignisse Parteien kaum bewegen
Die Sommer der vergangenen Jahre haben uns eindrücklich vor Augen geführt, wie drastisch der Klimawandel unser Leben beeinflusst: Waldbrände in Kanada, Hitzewellen und Dürreperioden in Europa oder tödliche Überschwemmungen in Deutschland – extreme Wetterereignisse treten häufiger und intensiver auf.
Aus Sicht der Klimawissenschaft ist klar, dass die Zunahme solcher Ereignisse eine direkte Folge des menschengemachten Klimawandels ist. Doch was bedeutet dies für die Politik? Schenken Parteien Umwelt- und Klimafragen mehr Aufmerksamkeit, wenn eine Flut, ein Sturm, ein Waldbrand oder extreme Temperaturen ihr Land erschüttern? In unserer Studie gehen wir dieser Frage nach und kommen zu einem ernüchternden Ergebnis.
Aufmerksamkeit als politisches Gut
Die politische Kommunikation von Parteien ist ein zentrales Instrument, um Themen zu setzen, Prioritäten zu markieren und Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Aufmerksamkeit für ein Thema ist dabei ein knappes Gut. Jede Stellungnahme zu einem Politikfeld bedeutet, dass andere Fragen in den Hintergrund treten. Gerade im Kontext des Klimawandels wäre zu erwarten, dass Parteien nach einem tödlichen Wetterereignis verstärkt auf Klimaschutz, Prävention oder Anpassung eingehen.
Während die Forschung zu Bürgerinnen und Bürgern zeigt, dass extreme Wetterlagen kurzfristig das Umweltbewusstsein steigern oder die Wahl von Grünen Parteien wahrscheinlicher machen, wissen wir bislang wenig darüber, ob auch politische Eliten reagieren.
Um diese Lücke zu schließen, haben wir über 260.000 Pressemitteilungen von 68 Parteien in neun europäischen Ländern zwischen 2010 und 2020 gesammelt und diese auf mögliche Veränderungen in der Kommunikation der Parteien nach extremen Wetterereignissen untersucht.
Kaum Reaktion, außer bei Grünen Parteien
Die Ergebnisse sind eindeutig. Weder linke noch rechte, weder Regierungs- noch Oppositionsparteien reagieren systematisch auf tödliche extreme Wetterereignisse. Der Anteil von Pressemitteilungen, die sich mit Umweltfragen befassen, bleibt unverändert – sowohl während der Ereignisse als auch in den sechs Wochen danach.
Eine Ausnahme bilden die Grünen Parteien: In der Woche des Ereignisses steigt ihr Anteil an umweltpolitischen Pressemitteilungen um durchschnittlich 6,1 Prozentpunkte. Doch dieser Effekt ist extrem kurzlebig – bereits eine Woche später sind die Werte wieder auf dem Ausgangsniveau.
Weder die Art des Ereignisses (Flut, Sturm, extreme Temperaturen, Waldbrand) noch die Länge des Beobachtungsfensters (sechs Wochen oder sechs Monate) verändern dieses Muster. Auch alternative Messungen, die ausschließlich auf explizite Nennungen von „Klimawandel“ oder „Klimaschutz“ abzielen, bestätigen die Null-Befunde.
Ein Weckruf, der ausbleibt
Unsere Ergebnisse sind aus mehreren Gründen bemerkenswert und beunruhigend. Erstens untersuchen wir Europa, also einen politischen Kontext, in dem Klima- und Umweltfragen seit Jahrzehnten präsent sind und eine Reaktion erwartbar machen. Zweitens haben wir uns auf besonders drastische Wetterereignisse mit Todesopfern konzentriert.
Drittens analysieren wir Pressemitteilungen, ein Medium, das eine schnelle Reaktion erlaubt und viertens wählen wir eine breite Definition von Umweltpolitik. Trotz all dieser günstigen Bedingungen finden wir keine systematischen Partei-Reaktionen.
Während Bürgerinnen und Bürger ihr Umweltbewusstsein zumindest kurzfristig anpassen, verharren Parteien weitgehend im Status quo. Die naheliegende Erklärung: Für Parteien lohnt es sich politisch kaum, das Thema unmittelbar nach einem Extremereignis aufzugreifen.
In der Woche selbst dominieren Mitteilungen zur Soforthilfe oder zu humanitären Maßnahmen. Doch der Brückenschlag zur langfristigen Klimapolitik, die die Ursachen dieser extremen Wetterereignisse angehen würde, bleibt aus.
Implikationen für Politik und Gesellschaft
Für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Ministerien und Verwaltungen bedeutet dies zweierlei:
Politische Kommunikation folgt nicht automatisch der gesellschaftlichen Erfahrung. Selbst dramatische Extremereignisse führen nicht dazu, dass Parteien verstärkt über Klimaschutz sprechen. Wer politische Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken möchte, kann sich also nicht darauf verlassen, dass Naturkatastrophen dies von allein bewirken.
Fenster der Gelegenheit sind kurz – und werden kaum genutzt. Wenn überhaupt, dann reagieren die Grünen Parteien in der Woche eines Ereignisses. Doch schon nach wenigen Tagen ebbt diese Aufmerksamkeit ab. Für politische Akteure, die Klimapolitik voranbringen wollen, ergibt sich daraus ein strategisches Dilemma: Nur durch aktives und gezieltes Framing lassen sich solche Momente nutzen, um längerfristige Debatten anzustoßen.
Mehr Extremereignisse führen nicht zu mehr Engagement
Unsere Untersuchung zeigt, dass selbst tödliche Extremwetterereignisse europäische Parteien nicht dazu bewegen, mehr Aufmerksamkeit auf Umwelt- und Klimapolitik zu richten. Lediglich die Grünen reagieren kurzfristig – doch auch sie kehren rasch zur Routine zurück.
Die Klimakrise nimmt an Schärfe zu. Doch die politische Anreizstruktur belohnt eher kurzfristige Sofort-Hilfsmaßnahmen als längerfristige Klima-Politik. Wer erwartet, dass die wachsende Zahl von Extremwetterereignissen Parteien automatisch zu mehr Engagement im Klimaschutz bewegt, dürfte enttäuscht werden. Klimapolitische Aufmerksamkeit entsteht nicht durch Katastrophen allein, sondern durch bewusste politische Entscheidungen, strategische Kommunikation und institutionelle Anreize.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Nachhaltigkeitskommunikation: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? von Dr. Frederik Maibaum, Universität Münster
Wie das Suffizienzprinzip Unternehmen helfen kann, wirtschaftliche Krisen durchzustehen von Maike Gossen, Technische Universität Berlin
Wie Wetterextreme die Wirtschaft gefährden und was dagegen getan werden kann von Dr. Kilian Kuhla und Dr. Christian Otto, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)




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