Wachsende Marktmacht in Deutschland: Schlecht für Produktivität und Verbraucher:innen

Dr. Dominic PonattuBundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Prof. Dr. Bernhard GanglmairZEW und Universität Mannheim

Mit der Dominanz der GAFA-Unternehmen ist das Thema der steigenden Marktmacht in aller Munde: Wir alle nutzen quasi ausschließlich und selbstverständlich Dienste wie die Suchmaschine von Google oder Twitter, die ihre jeweiligen Branchen klar beherrschen. Ernsthafte Wettbewerber? Fehlanzeige.

Mit den Folgen dieser Entwicklung beschäftigt sich auch die akademische Forschung. So zeigen neue Studien, dass Preisaufschläge – also grob gesagt der Unterschied zwischen dem Preis und den Grenzkosten – als Indikatoren für Marktmacht eindeutig zugenommen haben (De Loecker et al., 2020).

Folgen für Preise, Wettbewerb und Löhne

Ebenso zeigen neuere Arbeiten, dass die Marktkonzentration, etwa die kollektiven Marktanteile der vier wichtigsten Unternehmen, stark zugenommen haben – und zwar in nahezu allen Branchen (Autor et al., 2020).

Dies hat nicht nur Folgen für Preise und Wettbewerb.

Auch die Lohnquote, also der Teil der Wertschöpfung, der Beschäftigten zugutekommt, nimmt in Volkswirtschaften mit zunehmender Marktkonzentration offenbar ab.

Mit anderen Worten: Der „wirtschaftliche Kuchen“ der Primärverteilung wird zulasten der Beschäftigten stärker in Richtung der Shareholder verteilt. Ebenso deutet die Forschung darauf hin, dass die zunehmende Marktmacht schädlich für Produktivität und Innovation sind (Ganglmair et al., 2020).

Wie stark trifft die Marktmacht Verbraucher:innen?

Doch eine Frage bleibt in dieser Debatte bisher offen: Trifft die zunehmende Marktmacht vor allem Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette (den sogenannten B2B-Bereich) – oder sind auch bzw. insbesondere Verbraucherinnen und Verbraucher die Leidtragenden?

Dienste wie soziale Netzwerke sind schließlich für Endnutzerinnen und Endnutzer meist kostenlos, sodass sich die Frage stellt, ob Endkonsumenten wirklich betroffen sind – und wenn ja, wie stark.

Eine neue Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz bringt Licht ins Dunkel. Ganglmair et al. (2021) entwickeln die sogenannten Verbraucherpreisaufschläge.

Anhand derer lässt sich erkennen, ob die Sorge um höhere Preisaufschläge aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher berechtigt ist.

Vereinfacht gewichtet dieses Maß die Preisaufschläge in der gesamten Wirtschaft entsprechend ihrer Relevanz im Endkundenbereich – also dort, wo Verbraucherinnen und Verbraucher besonders betroffen sind.

Die Branchen werden entsprechend ihrer Relevanz für Verbraucher:innen gewichtet – mit Informationen, die auch für die Berechnung des Verbraucherpreisindex verwendet wird. Diese Konsumgewichtung dient dazu, die Preisaufschläge entsprechend der für Verbraucher:innen gegeben Relevanz abzubilden.

Überraschende Ergebnisse

Die Studie betrachtet Firmendaten der Datenbank ORBIS im Zeitraum zwischen 2002 und 2016. Dabei interessieren neben der Frage nach der Betroffenheit von Verbraucher:innen durch Preisaufschläge auch, welche Branchen die Zunahme der Marktmacht besonders treiben – und welche Verbraucherhaushalte besonders betroffen sind. Die Analyse zeigt teils überraschende Ergebnisse auf:

1. Zunehmende Marktmacht mit heterogener Entwicklung

In Deutschland (2002 bis 2016) liegen durchschnittliche Preisaufschläge für die Gesamtwirtschaft bei ca. 20% und weisen einen positiven Trend mit einem Anstieg von knapp zehn Prozentpunkten auf.

Große Unterschiede sind zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen festzumachen. Versorgungsunternehmen (Energie- und Wasserversorgung) und der Handel (sowohl Einzel- als auch Großhandel) weisen Preisaufschläge unter dem gesamtwirtschaftlichen Mittel auf; das Baugewerbe und einzelne Dienstleistungen hingegen liegen klar darüber. Bei Letzteren sehen wir relativ starke Anstiege im Bereich Information und Kommunikation und Verkehr.

2. Relevanz für Verbraucher:innen

Für Verbraucherinnen und Verbraucher sind nicht alle Branchen gleichermaßen relevant, denn sie sind Unternehmen aus gewissen Branchen stärker ausgesetzt als anderen.

Sehen wir einen stärkeren Anstieg von durchschnittlichen Preisaufschlägen in Wirtschaftszweigen, die für Verbraucher:innen besonders von Bedeutung sind? Die wichtigsten Wirtschaftszweige gemessen an deren Konsumgewicht sind Handel (mit knapp 45% im Jahr 2015), das Grundstücks- und Wohnungswesen (ca. 20%), Gesundheits- und Sozialwesen, Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen und Energieversorgung (mit jeweils ca. 5%).

3. Stärkere Belastung als für die Gesamtwirtschaft

Für Deutschland lässt sich feststellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher höheren Preisaufschlägen ausgesetzt sind als die Gesamtwirtschaft.

Für diesen Unterschied (von bis zu zehn Prozentpunkten) verantwortlich sind Wirtschafszweige mit hohen durchschnittlichen Preisaufschlägen, deren Konsumgewichtung deutlich über dem gesamtwirtschaftlichen Anteil liegen (wie zum Beispiel das Grundstücks- und Wohnungswesen).

4. Senioren besonders betroffen

(Rentner-)Haushalte mit niedrigen Einkommen sind höheren Preisaufschlägen ausgesetzt als Mehrpersonenhaushalte mit mittleren oder höheren Einkommen.

Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass einkommensschwache Bevölkerungsschichten stärker von den jüngeren Entwicklungen ansteigender Preisaufschläge betroffen sind als besser situierte Haushalte. Dies lässt auch die Vermutung zu, dass die Marktmachtentwicklung auch die soziale Ungleichheit verstärken kann.

Wettbewerbspolitik ist gefragt

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen: Die Marktmachtentwicklung trifft Verbraucherinnen und Verbraucher härter als Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette.

Was tun?

Klar ist, dass einerseits die Wettbewerbspolitik gefragt ist: die marktbeherrschende Stellung vieler Unternehmen – nicht nur bei digitalen Plattformen – ist besorgniserregend; ihr muss Einhalt geboten werden.

Die Ansätze zur Förderung von Start-ups in Deutschland und Europa sowie die Wettbewerbs- und Kartellpolitik der letzten Jahre sind hier wichtige Ansätze. Diese könnten gerade durch europäische Rechtsakte wie etwa den Digital Markets Act der EU-Kommission entscheidend gestärkt werden.

Darin wird es unter anderem eine „ex-ante Regulierung“ geben, die vor allem bei digitalen und datenbasierten Geschäftsmodellen einen vorausschauenden Blick über die künftige Wettbewerbsentwicklung und präventive Maßnahmen zur Stärkung des Wettbewerbs ermöglicht.

Verbraucherschutz stärken

Andererseits zeigt die Analyse auch, dass hier vor allem der Verbraucherschutz gefragt ist. Dass Verbraucher:innen die Last der zunehmenden Marktmacht besonders stark zu tragen haben, ist gewiss ein Missstand.

Stärkere Verbraucherrechte können dazu beitragen, dass Preisaufschläge – also Gewinnspannen – wieder abnehmen.

Auf nationaler Ebene können dies etwa Transparenzregeln sein, zum Beispiel eine klarere Auflistung von Gebühren auf Dating-Plattformen oder bei Dauerschuldverträgen (zum Beispiel Handy-oder Internetverträgen).

Auf europäischer Ebene kann der Digital Services Act (DSA) Abhilfe schaffen: Er regelt den Verbraucherschutz beispielsweise auf Verkaufsplattformen und Online-Marktplätze grundlegend und einheitlich – mit klareren Regeln für Algorithmen und der Ordnung von Ranking-Ergebnissen nach Produkten.

Das hilft Verbraucher:innen dabei, Angebote auf verschiedenen E-Commerce Plattformen besser vergleichen zu können – und schafft, so die Hoffnung, für andere Anbieterunternehmen ein „Level Playing Field“.

Steigende Marktmacht hemmt Innovationen

Wenn Wettbewerbspolitik und Verbraucherschutz Hand in Hand gehen, ist dies gut für Verbraucher:innen – aber auch für gesamtwirtschaftlich entscheidende Größen: Denn wenn die steigende Marktmacht die Innovation bremst, hemmt dies am Ende auch die Wachstums- und Produktivitätsentwicklung. Der Kuchen für alle wächst dann perspektivisch langsamer.

Literatur

Autor, D., D. Dorn, L. F. Katz, C. Patterson und J. .Van Reenen. 2020. „The Fall of the Labor Share and the Rise of Superstar Firms,” Quarterly Journal of Economics, 135, 646-709.

De Loecker, J., J. Eeckhout und G. Unger. 2020. „The Rise of Market Power and the Macroeconomic Implications,” Quarterly Journal of Economics, 135, 561-644.

Ganglmair, B., N. Hahn, M. Hellwig, A. Kann, B. Peters und I. Tsanko. 2020. „Price Markups, Innovation, and Productivity: Evidence for Germany.“ Produktivität für Inklusives Wachstum, Band 8. Gütersloh, Deutschland: Bertelsmann Stiftung.

Ganglmair, B., A. Kann und I. Tsanko. 2021. „Verbraucherpreisaufschläge in Deutschland.“ Studie, Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Berlin.



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