Von Trump und Xi lernen? Globalisierung und Innovation als Treiber einer neuen Industriepolitik
Menschen benötigen gemeinsame Visionen. Sportmannschaften wollen gewinnen, Unternehmen wollen am Markt bestehen und Städte wollen ihre Lebensqualität erhöhen. Europa und Deutschland fehlen derzeit gemeinsame Visionen. Um die Herausforderungen von Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel bewältigen zu können, benötigt es jedoch ein anwendbares Narrativ. Aufgrund einer generell positiven Haltung hinsichtlich verstärkter europäischer Kooperationen (siehe Studie rechts), kann eine gemeinsame strategische sowie auf Innovationsfähigkeit gerichtete Industriepolitik an dieser Stelle eine Brücke schlagen.
Leider gibt es kein Standardrezept, um die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft auf- und auszubauen. Verschiedene Länder setzen auf unterschiedliche Strategien, die gleichermaßen erfolgreich sein können. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist dabei die Rolle des Staates. Ein deutliches Beispiel für voneinander abweichende Innovationsmodelle sind China und die USA. Obwohl beide Länder auf gänzlich andere Ansätze hinsichtlich einer innovationsfördernden Industriepolitik setzen, sind beide Modelle durch große technologische Erfolge gekennzeichnet.
Industriepolitik ist (wieder) salonfähig
Industriepolitik war lange Zeit Persona non grata im politischen Diskurs vieler westlicher Staaten. Grund dafür ist eine zum Teil wirtschaftsliberal geprägte Wahrnehmung, wonach der Staat gar nicht über ausreichend Informationen verfügen kann, um die für die Förderung der Wirtschaft notwendigen und sinnvollen Entscheidungen zu treffen. Seit der weltweiten Finanzkrise ist Industriepolitik jedoch zu einem wichtigen Thema in der Wirtschaftspolitik geworden. Die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe im Zuge der Finanzkrise (z.B. die „Abwrackprämie“ zur Unterstützung der Automobilindustrie) hat die Debatte über aktive staatliche Maßnahmen zur Unterstützung der Industrie neu entfacht. Mittlerweile gibt es daher eine starke Tendenz, sich nicht mehr auf die Frage zu fokussieren, ob Industriepolitik überhaupt stattfinden soll, sondern darauf, wie Industriepolitik im 21. Jahrhundert aussehen sollte.
Ergebnisse dieser Diskussion auf deutscher und europäischer Ebene sind beispielsweise das Deutsch-Französische Manifest für eine europäische Industriepolitik für das 21. Jahrhundert oder die vom Bundeministerium für Wirtschaft und Energie im Februar 2019 veröffentlichte Nationale Industriestrategie 2030, welche nach intensiver Diskussion mit wichtigen Stakeholdern zur Erarbeitung der umfänglicheren Industriestrategie 2030 geführt hat. Zudem geht der Green New Deal unter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in die Umsetzungsphase. Dieser soll die Rahmenbedingungen einer neuen europäischen Industriepolitik schaffen.
Herausforderungen in Europa und Deutschland
Die internationale politische Lage, eine weiterhin zunehmende globale Vernetzung und vor allem die Vierte Industriele Revolution verändern beständig die Natur der Weltwirtschaft. Europäische und deutsche Industrien stehen daher vor der Aufgabe, Strategien zu entwickeln und Anpassungen vorzunehmen, um aktiv die sich daraus mannigfaltig ergebenden Herausforderungen zu gestalten. Besonders wichtig wird dabei die Aufgabe, die europäische und deutsche Industrie wettbewerbs- und innovationsfähig auszurichten, denn die Produktivität Europas und Deutschlands hat in den letzten Jahren nur geringe Wachstumsraten verzeichnen können.
Üblicherweise wird für die Messung von Produktivität die so genannte „Totale Faktorproduktivität“ (TFP) herangezogen. Eine steigende TFP ist eine wichtige Voraussetzung für langfristiges reales Wirtschaftswachstum und Kennzahl für den technologischen Fortschritt. Das stagnierende Produktivitätswachstum in Deutschland und der EU kann unter anderem vor dem Hintergrund folgender Aspekte gesehen werden:
- Internationaler Konkurrenzdruck bei Patenten und Innovation nimmt zu.
- Schwäche in Wachstumsindustrien (z.B. 3D-Druck, Halbleiter) kann zukünftige wirtschaftliche Entwicklung bremsen.
- Mangel an Risikokapital und Start-up-Förderung stellt ein mögliches Hindernis für das Gründungsgeschehen dar.
- Fachkräftemangel aufgrund von Demographie und ineffizienter Allokation von Talenten fordert Staat und Unternehmen heraus.
Der politische Bedarf nach einer strategischen Industriepolitik ergibt sich also unter anderem aus dem Ziel, die Produktivität in Europa und Deutschland zu steigern. Denn sollte in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und deutschen Industrie nicht mehr gewährleistet sein, wären Wachstum und Wohlstand gefährdet.
Das industriepolitische Innovationsmodell der USA
Von den USA herrscht in der öffentlichen Wahrnehmung ein Bild vor, wonach sich der Staat aus privatwirtschaftlichen Angelegenheiten zu weiten Teilen heraushält. Faktisch nimmt er jedoch sehr wohl eine aktive innovations- und industriepolitische Haltung ein.
- Der Staat als Nachfrager
Insbesondere bestimmt durch militärische Nachfrage geht ein beträchtlicher Teil des amerikanischen Forschungsbedarfs vom Staat aus.
- Der Staat als Vermittler
Behörden erleichtern Kooperation von privatem Sektor und Forschungseinrichtungen.
- Diversifizierte Investitionen in Forschung und Wissenschaft
Der Staat fördert Innovationsaktivitäten in der Breite und nicht sektor- oder technologiespezifisch.
- Der Staat als Anbieter von Basistechnologien
Grundlagenforschung wird von staatlicher Seite gefördert, um die Ergebnisse für angewandte Forschung und den privaten Sektor nutzbar zu machen.
- Erleichterung der Rahmenbedingungen für neue technologische Entwicklungen
Der Staat erleichtert den Zugang zum Wagniskapitalmarkt.
- Migratorische Rahmenbedingungen
In der Vergangenheit wurden Migrationsprozesse für hoch qualifizierte Migrant:innen erleichtert.
Das industriepolitische Innovationsmodell von China
China möchte seine Rolle als „Fabrik der Welt“ beenden und in der globalen Wertschöpfungskette den Aufstieg zum „Forschungslabor der Welt“ schaffen. So werden etwa mit der Strategie „Made in China 2025“ zehn Schlüsselindustrien definiert, in denen China bis 2049 zum globalen Technologie- und Innovationsführer werden will. Vor dem Hintergrund steigender Kosten bei Produktionsfaktoren ist dies ein naheliegender Schritt, welcher entsprechende industriepolitische Begleitung findet:
- Innovation als Kernziel der Wirtschaftsordnung
Unterstützung öffentlicher und privater Institutionen im Technologiesektor ist zentraler Bestandteil chinesischer Wirtschaftspolitik.
- Der Staat als Nachfrager
Der chinesische Staat spielt eine entscheidende Rolle bei der Nachfrage von Produkten und Technologien. Das öffentliche Beschaffungswesen benutzt dabei seine Marktmacht zur Bevorzugung einheimischer Marken und Produkte.
- Pilotprojekte
China erscheint häufig als von oben „durchregierter“ Staat. Lokalregierungen haben jedoch einen gewissen Einfluss und Spielraum bei Entwicklung und Umsetzung zentraler Vorgaben sowie bei der Erprobung von Pilotprojekten.
- Protektion von Infant Industries
Chinesische Technologien können sich aufgrund des eingeschränkten Zugangs ausländischer Konkurrenten zunächst am nationalen Markt etablieren, bevor sie sich am internationalen Markt behaupten.
- Erleichterung der Rahmenbedingungen für Kapitalzuflüsse aus dem Ausland
Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen werden vom Staat erleichtert.
- Technologietransfer
Rahmenbedingungen für Kooperationen von chinesischen und ausländischen Unternehmen ermöglichen den Zugang zu ausländischem Know-how.
Eigener „missionsorientierter“ Weg für Europa und Deutschland ist notwendig
Der Blick auf die USA und China hilft zur Ideenfindung für geeignete europäische und deutsche industriepolitische Ansätze. Dennoch sollten Europa und Deutschland unter Berücksichtigung der eigenen Norm- und Wertvorstellungen einen eigenen Weg beschreiten. Dieser kann im Sinne der von Mariana Mazzucato vorgeschlagenen „Missionsorientierung“ gesehen werden. Industriepolitik soll als Instrument genutzt werden, um besondere gesellschaftliche Herausforderungen (z.B. Globalisierung, Digitalisierung, demographischer Wandel, Klimawandel) zu bewältigen. Zudem sollen verschiedene gesellschaftliche Akteur:innen eine solche Industriepolitik vorantreiben – der Staat gibt dabei wettbewerbsfördernde Rahmenbedingungen vor und private Akteur:innen können sich in diesem Wettbewerbsrahmen bewegen.
Vor dem Hintergrund des chinesischen und amerikanischen industriepolitischen Modells und aus unserer Analyse der europäischen und deutschen Ansätze ergeben sich konkret fünf Handlungsfelder für eine innovationsfördernde Industriepolitik in der EU und Deutschland:
- Langfristige Innovationsstrategie implementieren
- Wagniskapital ausbauen
- Cluster-Ansätze auf EU-Ebene ausweiten
- Cybersicherheit auf EU-Ebene denken und stärken
- Einheitliche und faire Wettbewerbsbedingungen schaffen
Speziell für Deutschland könnten weiterhin industriepolitische Maßnahmen in den folgenden drei Bereichen sinnvoll sein:
- Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung verbessern
- Bildungs- und Forschungssystem stärker auf Gründungen und Innovationen ausrichten
- Staat als Vordenker und Vorreiter bei neuen Technologien
Die vollständige Studie finden Sie hier.
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