Unsichtbare Schäden: Wenn der Herbst Mikroplastik regnen lässt
Der Wald steht wie kaum ein anderer Teil unserer Umwelt für Erholung: ein Erlebnis echter Natur und echter Idylle. Dort erscheint unsere Umwelt noch intakt und bietet einen Ausgleich zu den städtischen oder landwirtschaftlichen Umgebungen, in denen wir uns oft bewegen. Doch schauen wir uns beim Waldspaziergang genauer um, stellt sich vielleicht die Frage, ob es dem Wald wirklich gut geht.
In Deutschland sind Waldschäden großflächig sichtbar. Sie sind verursacht durch den Fraß des Borkenkäfers in Monokulturen, Trockenheit und Waldbrände. Die Bodenversauerung erkennen wir daran, dass Helikopter als Gegenmaßnahme Kalk über dem Wald streuen.
Andere Schäden bleiben dagegen unsichtbar: Im Herbst, wenn sich die Blätter verfärben und nach und nach von den Bäumen auf den Boden fallen, gelangen winzige Plastikteilchen, sogenanntes Mikroplastik, aus den Baumkronen auf den Waldboden.
Mikroplastik in unserem Wäldern
Zwar liegen unsere Wälder fernab von offensichtlichen Quellen für Plastik und Mikroplastik: Selbst wenn an Waldwegen immer wieder Plastikmüll liegt, ist dieses Aufkommen doch wesentlich geringer als beispielsweise in unseren Parks, entlang von Autobahnen oder auf Feldern und Äckern. Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb Wäldern bisher nur wenig Interesse innerhalb der Mikroplastikforschung entgegengebracht wurde.
Innerhalb der vergangenen zehn Jahre konnten Wissenschaftler:innen die kleinen Plastikteilchen jedoch in fast jedem Ökosystem und an vielen der entlegensten Orte auf der Erdoberfläche nachweisen. Auch in Wäldern, welche wie kein anderes Ökosystem als eine noch halbwegs intakte Natur wahrgenommen werden.
Frühere wissenschaftliche Arbeiten zeigen beispielsweise das Vorkommen von Mikroplastik in tropischen Wäldern, den Eintrag von Mikroplastik aus der Luft auch unter dem Kronendach, die Anhaftung von Mikroplastik an Blattoberflächen oder den Transport von Mikroplastik in skandinavischen Flüssen, deren Einzugsgebiete ausschließlich aus Wäldern bestehen.
Wälder im globalen Plastikkreislauf
Jedoch fehlte bisher ein genaues Verständnis, ob, wie und in welchem Ausmaß Mikroplastik in den Wald gelangen kann. Unsere aktuelle Studie konnte nun aufzeigen, dass insbesondere die Blätter der Bäume als eine Art Filter oder Kamm fungieren, der Mikroplastik aus der Luft durch Anhaftung an die Blattoberflächen herausfiltert.
Dabei ist der Transport von Mikroplastik durch die Luft über kurze, aber auch lange Distanzen bereits bekannt. Einige Wissenschaftler:innen sprechen hier von globalen Plastikkreisläufen, da Mikroplastik weltweit durch die Atmosphäre verteilt werden kann. Wird Mikroplastik nun im Kronendach des Waldes festgehalten, verbleiben die winzigen Plastikteilchen jedoch nicht dort: Regen, Wind und vor allem der herbstliche Laubabwurf in Laubwäldern sorgen dafür, dass Mikroplastik zuerst auf den Waldboden gelangt. Doch auch hier endet der Transport nicht.
Die sogenannte Laubstreu wird durch größere Bodenlebewesen sowie Mikroorganismen und chemische Prozesse zersetzt, wodurch das Mikroplastik in tiefere Bodenschichten gelangt und sich dort über die Zeit anreichert. Auch wenn direkte Vergleiche durch unterschiedliche Verfahren zum Mikroplastiknachweis schwierig sind, scheinen die in unserer Studie untersuchten Waldböden große Mengen an Mikroplastik über die Zeit zu speichern.
Die Bedeutung von Wäldern im Klimawandel
Auch wenn unsere Wahrnehmung vielleicht eine andere ist, stehen unsere Wälder doch zunehmend unter Stress. Insbesondere der Klimawandel und die damit einhergehende Trockenheit, aber auch die steigende Kadenz extremer Ereignisse wie Starkregen, Stürmen oder Waldbränden machen unseren Wäldern zu schaffen.
Zwar versucht die Forstwirtschaft, zu reagieren, jedoch ist das Management von Wäldern vielmehr eine vorausschauende Aufgabe über Generationen und bietet nur wenig Spielraum für kurzfristige Anpassungen in der Bewirtschaftung.
Dabei sind Wälder, ob forstwirtschaftlich genutzt oder als Teil „echter“ Natur, ein überaus wichtiger Bestandteil unseres Umweltsystems. Bäume und Boden sind dabei untrennbar in Kreisläufen miteinander verbunden. Während die Bäume durch Photosynthese Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft aufnehmen, werden große Mengen Kohlenstoff in der Biomasse gespeichert. Im Herbst, wenn die Blätter auf den Boden gelangen und dort langsam zersetzt werden, wird Kohlenstoff im Boden gespeichert und andere Nährstoffe werden den Bäumen erneut zur Verfügung gestellt. Gleiches gilt für andere wichtige Stoffe, wie beispielsweise Stickstoff, welches als Lachgas (N2O) ein starkes Treibhausgas ist.
Somit sind Wälder wirksame Pfeiler gegen eine unkontrollierte Verstärkung des Klimawandels, solange sich Stoffkreisläufe in Balance befinden und Bodenfunktionen ausgeführt werden können. Wenn nun aber zusätzlich zu bestehenden Faktoren noch Umweltschadstoffe wie Mikroplastik Teil dieser Stoffkreisläufe werden, gibt es dann Risiken?
Wie groß ist das Risiko Mikroplastik?
Zwar wissen wir, dass Mikroplastik weitreichende Folgen für Böden und ihre Funktionen sowie Bodenlebewesen haben kann. Jedoch wissen wir bisher wenig über die Auswirkungen von Mikroplastik im Wald. Als zusätzlicher Stressfaktor könnte Mikroplastik jedoch die Speicherung von Kohlenstoff sowie die empfindlichen Balancen der Nährstoffkreisläufe und damit der Bodengesundheit empfindlich beeinflussen, was der Waldgesundheit und Funktionalität erheblichen Schaden zufügen könnte.
Gelangt Mikroplastik einmal in den Boden, kann man es auf nachhaltige oder nur halbwegs wirtschaftliche Weise nicht mehr herausholen. Die winzigen Plastikteilchen sind klein, oftmals kleiner als ein Sandkorn, vielfältig und sehr ungleich im Boden verteilt. Was also tun, wenn nachsorgende Lösungen unpraktikabel sind oder schlicht unmöglich erscheinen?
Schnelle und globale Lösungen nötig
Nachhaltige und wirtschaftliche Lösungen sollten dabei berücksichtigen, dass nicht das Material selbst, also Kunststoffe oder Plastik, das Umweltproblem darstellt. Für unseren Alltag, Wirtschaft und Technik sind Kunststoffe seit fast 70 Jahren die Basis technischen Fortschritts.
Problematisch ist vielmehr der Umgang mit der Ressource. Mögliche Lösungskonzepte liegen bereits vor: eine echte Kreislaufwirtschaft, nachhaltigere Wertschöpfungsketten, die Produktion langlebigerer Plastikprodukte und der Verzicht auf Einwegprodukte. Diese Liste ließe sich noch fortführen.
Es bleibt nur die Möglichkeit, möglichst schnell die Einträge von Mikroplastik in die Umwelt zu minimieren. Das Vorkommen von Mikroplastik in Wäldern und deren mögliche Rolle in globalen Plastikkreisläufen kann allerdings nicht durch regionale oder nationale Lösungskonzepte oder Gesetzgebungen eingedämmt werden. Vielmehr sind globale Lösungen, Konzepte und möglichst bindende Regulierungen notwendig. Allerdings hat dieser Ansatz durch die fehlende Entscheidung zum UN-Plastikabkommen erst im August eine deutliche Niederlage erlitten.
Und selbst dann müssen wir damit umgehen, dass Mikroplastik weiterhin in Wäldern, Böden, der gesamten Umwelt präsent sein wird. Denn zeitgleich mit der stetig steigenden Produktion und Nutzung von Kunststoffen seit den 1950er Jahren gelangt Mikroplastik in die Umwelt. Und unsere Waldböden zeigen, dass die Menge an heute gespeichertem Mikroplastik deutlich mit den zu erwartenden Einträgen aus der Luft über 70 Jahre übereinstimmt.
Während im Herbst die Blätter fallen und den Boden bedecken, legt sich mit ihnen somit eine unsichtbare Schicht unseres Fortschritts über den Wald. Es liegt nun an uns, weiteren Wandel bewusst zu gestalten: durch globale Verantwortung, nachhaltiges Wirtschaften und den Mut, endlich den Hahn zuzudrehen.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Mehr als Müll: Warum Plastik auch zu Klimawandel und Artenverlust beiträgt von Prof. Dr. Annika Jahnke, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und Kolleg:innen
Wie Klimaschutzverträge funktionieren – und vor welchen Herausforderungen Deutschland noch steht mit Prof. Karsten Neuhoff, DIW Berlin
Automobilindustrie: Ist eine Kreislaufwirtschaft für Reifen möglich? von Dr. Daniel Maga, Fraunhofer UMSICHT

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