Traceless: „Wir wollen konventionelle Kunststoffe ersetzen“
In unserer Interview-Reihe sprechen wir mit kleinen und mittleren Unternehmen über das Thema nachhaltige Innovationen – und darüber, welche staatlichen Rahmenbedingungen aus ihrer Perspektive gegeben sein müssen, damit die anstehende Nachhaltigkeitstransformation erfolgreich bewältigt werden kann.
Dieses Mal geht es um das Unternehmen traceless aus Hamburg, das 2020 gegründet wurde und einen natürlichen Plastikersatz entwickelt hat. Nachhaltigkeitsbeauftragte Isabel Thoma erzählte uns unter anderem im Interview, welches Verbesserungspotential sie bei politischen Rahmenbedingungen noch sieht – und warum trotzdem nicht alles schlecht ist, was auf politischer Ebene aktuell passiert.
Können Sie uns Ihr Produkt etwas näher erläutern?
Wir produzieren ein natürliches Biomaterial aus Reststoffen der Agrarindustrie. Dieses Material kann als Plastikersatz genutzt werden. Es besteht aus pflanzlichen Resten, die in der Getreideverarbeitung in großen Mengen anfallen. Zum Beispiel bei der Verarbeitung von Getreide zu Bier oder Stärke. Aus diesen Pflanzenresten ziehen wir sogenannte Naturpolymere. Die kann man sich als kunststoffähnliche Moleküle vorstellen, die allerdings von der Natur geschaffen wurden.
Wir haben ein Verfahren entwickelt, durch das wir diese Naturpolymere aus den Pflanzenresten extrahieren können – und zwar ohne großen Energieaufwand. Dieses Verfahren als solches kann man sich ein wenig vorstellen wie Kaffeekochen. Da extrahiert man den Kaffeegeschmack aus den Bohnen. Wir extrahieren ein natürliches Granulat, das sich aber wie Kunststoffe weiterverarbeiten lässt.
Was will traceless damit erreichen?
Wir wollen und können Kunststoffe überall da ersetzen, wo sie problematisch sind – zum Beispiel, weil die Produkte schwierig zu recyclen sind oder leicht in der Umwelt landen. Unsere Vision ist, auf diesem Weg sowohl dem Ressourcenproblem als auch der steigenden Müllproblematik und Verschmutzung entgegen zu wirken. Denn wir nutzen nicht nur einen nachwachsenden Rohstoff, unser Naturmaterial ist dazu noch kompostierbar, sollte es unbeabsichtigt in der Umwelt landen. Produktion und Entsorgung unseres Materials spart außerdem im Vergleich zu Neukunststoff bis zu 95 Prozent Treibhausgasemissionen.
Daher bauen wir aktuell auch eine großtechnische Anlage in Hamburg, um unser Verfahren im größeren Maßstab umzusetzen. traceless wird in 2025 ein richtiges kleines Industrieunternehmen.
Spüren Sie hier die Probleme, die durch den Fachkräftemangel entstehen?
Aktuell sind wir 65 Mitarbeitende. Wir bauen vor allem den Teil des Teams aus, der unsere Anlage bedienen soll. Hier stellen wir teilweise Menschen aus ehemaligen fossilbasierten Raffinerien an. Die freuen sich, dass sie bei uns mit ungefährlichen Stoffen arbeiten können, motivierte Kollegen haben und ihren neuen Arbeitsplatz mitgestalten können. Ich finde, dass macht auch das Potential deutlich, das in der biobasierten Industrie und der Transformation steckt. Sowohl für den Standort Deutschland als auch für unseren Arbeitsmarkt. Dementsprechend wünschen wir uns natürlich auch, dass die Industriepolitik dieses Potential sieht und uns als Standbein anerkennt.
War es schwierig, das Kapital für die neue Anlage aufzutreiben?
Bei dem Wort Start-up denken viele an digitale Unternehmen, die mitunter nicht viel Material brauchen: etwas Serverplatz, ein paar Laptops und vielleicht noch einen Tischkicker. traceless entwickelt dagegen Hardware. Dementsprechend muss man relativ früh im Prozess in Stahl und Beton investieren und Anlagen bauen – zuerst eine Pilotanlage, dann eine Industrieanlage.
Unsere Gründerinnen Anne Lamp und Johanna Baare standen daher vor der Herausforderung, den Kapitalbedarf dafür zu organisieren. In diesem Fall erwies es sich als vorteilhaft, dass sich die beiden gut ergänzen: Anne Lamp hat das Verfahren entwickelt und bringt die technische Expertise mit, Johanna Baare die wirtschaftliche. Dennoch war es eine lange und ambitionierte Suche, auch wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage.
Bei disruptiven Technologien ist das technische Risiko am Anfang hoch und die Kommerzialisierungsphase ist lang, da braucht man geduldige Geldgeber. Wir haben solch geduldiges Kapital zum Glück gefunden. In unserem Fall hat es allerdings auch geholfen, dass wir staatliche Förderungen aus dem Umweltministerium erhalten haben. Das hat natürlich Signalwirkung. Im Herbst 2023 konnten wir dann die erfolgreiche Finanzierung über knapp 37 Millionen Euro verkünden. Grundsätzlich ist es sinnvoll, den Kapitalzugang für Start-ups in Deutschland zu verbessern.
Sehen Sie für die weitere Entwicklung Hürden durch politische Rahmenbedingungen?
Die Wettbewerbsbedingungen für kreislauffähige Geschäftsmodelle sind noch nicht gut genug. Fossilbasierte Technologien wurden jahrelang unterstützt, dementsprechend sind die Produkte relativ billig. Wir müssen nun dazu übergehen, nachhaltige und zukunftsfähige Technologien zu fördern. Nur so werden wir es schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhalten. Wir haben die Wahl, noch können wir vorne mitspielen.
Dazu ist allerdings auch eine gewisse Offenheit nötig, zum Beispiel gegenüber neuen Technologien, auch in der Regulatorik. Hier ist vieles noch auf den Erhalt des Status Quo ausgerichtet – teilweise unbeabsichtigt. Das liegt daran, dass oft sehr kleinteilig beschrieben wird, wie die Lösung auszusehen hat. Es würde helfen, stattdessen das Ziel vorzugeben, beispielsweise maximale Emissionseinsparung – und so innovative Produkte und neue Lösungswege direkt mitzudenken. Wir sollten nicht vergessen, dass das Prinzip Kreislaufwirtschaft als solches diese ganz neuen Lösungen dringend braucht.
Dennoch möchte ich auch betonen, dass wir als junges Unternehmen täglich sehr viele positive Erfahrungen machen. Für Menschen ist es manchmal anstrengend, neue Ideen zu verstehen und in ihr Weltbild zu lassen. Es erfordert Umdenken. Da haben wir auf der politischen Ebene die Erfahrung gemacht, dass die Offenheit hier sehr groß ist und echtes Interesse und Unterstützungsbereitschaft herrscht.
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