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Suffizienz: Ein Schlüssel zu sozial gerechter Klimapolitik

Marion DavenasDeutsch-Französisches Zukunftswerk

Der Klima- und Umweltpolitik weht ein rauer Wind entgegen: Klimaschutzmaßnahmen werden zunehmend als ungerecht und freiheitsberaubend kritisiert. Besonders die Suffizienz gilt als politisch riskant – also Maßnahmen, die darauf abzielen, den Ressourcenverbrauch durch Verhaltensänderungen zu reduzieren. Die Sorge: Sie könnte von der Bevölkerung als unzumutbare Einschränkung wahrgenommen werden.

Doch es wäre ein Fehler, Suffizienz weiter als Tabuthema der Klimawende zu behandeln. In der Wissenschaft herrscht Einigkeit: Effizientere Technologien allein werden nicht ausreichen – auch unsere Praktiken müssen sich ändern. So prognostiziert ein Szenario von 26 europäischen Forschungseinrichtungen, dass Suffizienzmaßnahmen das Potenzial haben, die Hälfte der bis 2050 nötigen Energieeinsparungen zu ermöglichen.

Der Blick nach Frankreich

Das Deutsch-Französische Zukunftswerk hat sich diesem Thema in binationalen Dialogen gewidmet und daraus sechs Thesen zur Suffizienz entwickelt. Der Blick nach Frankreich lohnt sich, denn dort sind die Berührungsängste mit dem Thema deutlich geringer.

Bereits 2020 hat die Regierung sobriété als zentrale Säule der nationalen Energiestrategie anerkannt. Mit dem Beginn des Ukrainekriegs und der drohenden Energieknappheit rückte der Begriff 2022 in den Fokus der politischen und medialen Aufmerksamkeit. Vor diesem Hintergrund legte die Regierung einen nationalen Suffizienzplan vor, der Suffizienz als „eine neue Art des Denkens und Handelns“ definiert: sowohl um „über den Winter zu kommen“ als auch als „Schlüssel für unsere ökologische Transformation und unsere Energiesouveränität“.

Dass politische Akteure und Gesetzestexte explizit von Suffizienz sprechen, hat wesentlich dazu beigetragen, einen Konsens über die Notwendigkeit eines geringeren Energieverbrauchs zu schaffen. Laut der Organisation négaWatt, die das Konzept maßgeblich geprägt und in den öffentlichen Diskurs eingebracht hat, hat der nationale Impuls der Regierung geholfen, eine Dynamik für mehr Suffizienz und eine breite gesellschaftliche Debatte anzustoßen.

Der französische Vorstoß strahlte auch auf die internationale Ebene aus: Die Verankerung von Suffizienz in der französischen Gesetzgebung spielte eine entscheidende Rolle für die explizite Aufnahme des Konzepts in den 6. IPCC-Bericht von 2022.

Politik muss Rahmenbedingungen verändern

Trotz dieser Vorreiterrolle in Europa stößt der französische Ansatz an Grenzen. Die dortige Suffizienzstrategie konzentriert sich vor allem auf kurzfristige, individuelle Verhaltensanpassungen: Die Heizung runterdrehen, kürzer duschen, Licht ausschalten. Das sind Maßnahmen, die zwar wichtig sind, aber nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was Suffizienz leisten kann.

Damit Suffizienzpolitik ihr volles Potenzial entfalten kann, muss sie über individuelle Appelle hinausgehen und strukturelle Veränderungen anstoßen. So betonte die Forscherin Michaela Christ in einem unserer deutsch-französischen Dialoge: „Ein hoher Ressourcenverbrauch ist kein Zufall, sondern das Ergebnis politischer Maßnahmen, die unseren Lebensstil beeinflussen.“

Infrastrukturen, die Raumordnung, Rechtsvorschriften, finanzielle Anreize müssen so umgestaltet werden, dass ressourcenschonende Entscheidungen attraktiv werden – unabhängig davon, wie „umweltbewusst“ Menschen sind. Der Forscher Jonas Lage bringt es auf den Punkt: „Die Kopenhagener:innen fahren nicht Fahrrad, weil sie alle Ökos sind, sondern weil die Stadt so gestaltet ist, dass Fahrradfahren – und nicht Autofahren – das Normale, das Einfache, das Schöne und das Bequeme ist.“

Co-Benefits fördern

Verhaltensänderungen werden nicht nur durch Appelle an die Eigenverantwortung entstehen – sie müssen mit einem spürbaren, unmittelbaren Mehrwert verbunden sein. Diese sogenannten „Co-Benefits“ entstehen nicht immer von selbst: Sie müssen durch geeignete politische Maßnahmen aktiv geschaffen werden.

So kann die Entscheidung, das Fahrrad statt des Autos zu benutzen, zwar gesundheitsfördernd sein, doch für Radfahrende oftmals gefährliche Wegführungen oder holprige Fahrradwege wirken abschreckend. Es bedarf daher einer durchdachten Stadtplanung, um die aktive Mobilität zur einfacheren, sichereren und kostengünstigeren Alternative gegenüber fossil betriebenen Verkehrsmitteln zu machen.

Zudem lassen sich Verhaltensänderungen nicht in gleichem Maße von allen Bevölkerungsgruppen erwarten. Nach der Definition des IPCC zielt Suffizienz darauf ab, die Ressourcennachfrage zu verringern, „und gleichzeitig menschliches Wohlergehen für alle innerhalb der planetarischen Grenzen [zu] ermöglichen“.

Suffizienzpolitik muss sozial gerecht sein

Suffizienz politisch umzusetzen heißt also: Ressourcenverbrauch konsequent unter dem Aspekt sozialer Gerechtigkeit zu betrachten – und neu zu verteilen. In diesem Verständnis kann Mäßigung nur von denjenigen verlangt werden, die zu viel konsumieren. Für alle anderen müssen zunächst die Voraussetzungen für ein gutes Leben geschaffen werden. Gerade für Menschen in einer prekären Lebenssituation darf eine Politik der Suffizienz daher nicht zu einem zu einem „Weniger“, sondern zu einem „Mehr“ führen: zu einem verbesserten Zugang zu Ressourcen und damit zu einer spürbaren Verbesserung ihrer Lebensqualität.

In Frankreich führte der Aufruf zum Energiesparen nach offiziellen Angaben zwischen August 2022 und Juli 2023 zu einer Einsparung von 12,2 Prozent beim Strom- und Gasverbrauch im Vergleich zum Zeitraum 2018/19. Hauptursache war das veränderte Verhalten der Bevölkerung, insbesondere beim Heizen: Umfragen zufolge haben im Winter 2022/2023 rund 70  Prozent der Haushalte ihre Heizung heruntergedreht. Gleichzeitig jedoch hat sich die Zahl der Haushalte verdoppelt, die in ihrer Wohnung unter Kälte leiden. Das zeigt: Wird Suffizienz ausschließlich als Strategie zur Nachfragereduktion verstanden, besteht die Gefahr, dass sie soziale Ungleichheiten verstärkt.

Kommunen zeigen, wie es gehen kann

Gefragt ist eine Suffizienzpolitik, die Ressourcennachfrage reduziert und zugleich soziale Aspekte berücksichtigt. Auf lokaler Ebene gibt es bereits vielversprechende Ansätze, wie dieser Spagat gelingen kann. Ein Beispiel dafür findet sich in Karlsruhe: Mit dem Projekt Wohnraumakquise durch Kooperation bewirkt die Stadt, dass leerstehende Wohnungen in Wohnraum für Menschen umgewandelt wird, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Durch die Vermeidung von Neubau werden Ressourcen gespart und gleichzeitig neuer bezahlbarer Wohnraum geschaffen.

Ein weiteres Beispiel findet sich in der französischen Stadt Montpellier, wo progressive Wassertarife eingeführt wurden. Hier erhalten die Einwohnenden jährlich 15 Kubikmeter Wasser kostenfrei. Darüber hinaus steigt die Preisgestaltung progressiv und richtet sich nach dem Gesamtwasserverbrauch. Dieses Preismodell sorgt dafür, dass hohe Verbraucher mehr bezahlen, ohne dass Kleinverbraucher belastet werden.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Klimaschutzmaßnahmen finden dann besonders hohe Akzeptanz, wenn sie als gerecht wahrgenommen werden – etwa, weil sie zuerst diejenigen in die Pflicht nehmen, die den größten CO₂-Fußabdruck haben oder weil sie durch gezielte Ausgleichsmechanismen flankiert werden.

Die Skepsis gegenüber Klimaschutzmaßnahmen darf daher nicht zu einem Rückschritt in den politischen Ambitionen führen. Sie sollte vielmehr als Weckruf verstanden werden: für eine gerechtere Umweltpolitik, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt. Das ist nicht nur ein ökologisches Gebot – sondern eine demokratische Notwendigkeit. Denn wo Gerechtigkeit fehlt, wächst der Nährboden für rechtsextreme Parteien.

Im Gegensatz zu Frankreich trauen sich in der deutschen Politik nur wenige, die für den Klimaschutz notwendigen Verhaltensänderungen anzusprechen. Suffizienz sollte daher von ihrem negativen Ruf als Verzicht und Zwang befreit werden. Dazu sind strukturelle Maßnahmen gefragt, die Suffizienz für alle attraktiv machen und eine gerechte Verteilung der Ressourcennutzung gewährleisten.

Das Paper, auf dem dieser Beitrag basiert, finden Sie hier.

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