„Nach der Konjunkturerholung könnte ein neuer Produktivitätsschub folgen“

Prof. Dr. Friedrich HeinemannZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

Armando García SchmidtBertelsmann Stiftung

Das Coronavirus und seine Folgen verlangen der deutschen Wirtschaft viel ab. Ein Schlüsselwort in diesem Kontext ist das der „ökonomischen Resilienz“. Ökonomische Resilienz beschreibt, wie gut eine Volkswirtschaft eine Krise verarbeiten kann. Prof. Dr. Friedrich Heinemann forscht in diesem Bereich. Wie resilient die deutsche Wirtschaft ist und warum es nach der Krise gar einen Produktivitätsschub geben könnte, erklärt der Ökonom vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung im Interview auf unserem Blog.

Armando García Schmidt: Herr Heinemann, Sie haben im Jahr 2017 zwei Studien für die Bertelsmann Stiftung zum Thema Resilienz erarbeitet. Schon damals hatte der Begriff Konjunktur. So wurde er prominent beim damaligen G-20-Gipfel in Hamburg diskutiert. Haben Sie den Eindruck, dass es heute Länder gibt, die durch diese Diskussion gelernt haben und besser mit der aktuellen Corona-Krise umgehen?
Prof. Dr. Friedrich Heinemann: Es hat ohne Zweifel Lerneffekte in Sachen Resilienz gegeben. Entscheidend war vielleicht weniger die theoretische Befassung, sondern eine ganze Serie von krisenhaften Ereignissen. Die globale Finanzkrise, die europäische Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise, aber auch Brexit und die neuen Handelskonflikte – all diese Ereignisse und Entwicklungen waren im Grunde eine Art permanentes Trainingscamp für die Krisenresilienz. Das könnte jetzt helfen, wo die Welt die tiefste Rezession der Nachkriegszeit durchläuft und sich auch krisenbedingte dauerhafte Veränderungen abzeichnen.

Die inflationäre Benutzung des Resilienz-Begriffs geht zulasten der Genauigkeit. Können Sie uns kurz erklären, wie sie als Ökonom Resilienz definieren würden?
Da fange ich am liebsten mit einer Negativdefinition an. Mit Resilienz ist nicht die Fähigkeit gemeint, Krisen zu verhindern. Ausgangspunkt ist vielmehr die Erkenntnis, dass schwere Krisenereignisse letztlich nie ganz zu vermeiden sind und typischerweise aus einer völlig unerwarteten Ecke kommen. Resilienz steht dann dafür, dass Gesellschaft und Volkswirtschaft eine Krise so verarbeiten können, dass sie auch nach der Krise noch funktionieren und ihre Ziele erreichen. Das Ausmaß der Resilienz entscheidet sich in drei verschiedenen Phasen: in der Vorbereitung auf mögliche unvermeidbare Krisen, in einem Bewältigen der akuten Phase und in der Anpassung an die neue Nach-Krisen-Welt.

Ist Deutschland in diesen für Resilienz relevanten Feldern zu Beginn der Corona-Krise Ihrer Ansicht nach gut aufgestellt gewesen?
Im internationalen Vergleich war Deutschland am Vorabend dieser Corona-Krise sicher nicht schlecht aufgestellt. Resilienz entsteht im Zusammenspiel von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Staat. Eindrucksvoll war, wie umsichtig die deutsche Industrie und ihre Belegschaften reagiert haben und auch im Lockdown die Produktion bei gleichzeitig hohem Gesundheitsschutz weitestgehend aufrechterhalten konnten. Wie schon in der Flüchtlingskrise zeigt sich außerdem, dass die öffentliche Verwaltung auch unter Stress funktioniert und unerwartete Aufgaben bewältigen kann. Wenn nur wenige Tage vom Gesetzesbeschluss bis zur Überweisung der Corona-Hilfsgelder vergehen, dann ist das eine ganz bemerkenswerte administrative Leistung. Nicht optimal ist in Deutschland sicher die digitale Infrastruktur aufgestellt und auch die Fähigkeit zur Nutzung dieser Techniken war noch zu begrenzt. Gerade läuft für Schulen, Universitäten und Unternehmen ein Crashkurs in digitalen Techniken. Da hätte eine bessere Vorbereitung in der Ausstattung und im Know-how aber sehr geholfen.

Der Begriff Resilienz bezieht sich auf den Umgang mit unmittelbaren Krisenfolgen. Gleichzeitig steht Deutschland vor langfristigen Herausforderungen durch Globalisierung und Digitalisierung. Wie kann sich die Wirtschaftspolitik zugleich gegen kurzfristige und langfristige Herausforderungen wappnen?
Im Hinblick auf die lange Frist sind in der Krise zwei Gedanken wichtig: Zum einen erweist sich ein Land nur dann als wirklich resilient, wenn es mit den dauerhaften Veränderungen einer Krise klarkommt und sich daran anpasst. Es ist jetzt schon absehbar, dass Corona die Nachfrage nach bestimmten Dienstleistungen für Jahre verringert. Verkehrswesen, Kongresse, Geschäftsreisen und damit Hotellerie und Gastgewerbe, Unterhaltungs- und Kulturindustrie sowie der stationäre Einzelhandel – hier müssen sich viele Menschen und Unternehmer neue Existenzen anderswo schaffen. Zum anderen sollten wir schon in den kurzfristigen Krisenmaßnahmen die langfristigen Ziele unserer Gesellschaft einbeziehen. Ein cleveres Konjunkturpaket erzielt eine doppelte Dividende, es stabilisiert kurzfristig die Wirtschaft und leistet einen langfristigen Beitrag zu unseren gesellschaftlichen Zielen.

Wie steht es angesichts der milliardenschweren Hilfspakete um die Resilienz für zukünftige Krisen?
Für die ökonomische Resilienz ist es momentan von überragender Bedeutung, dass sich Deutschlands öffentliche Finanzen in den letzten zehn Jahren durchgreifend verbessert haben. Dies erlaubt jetzt im internationalen Vergleich außergewöhnlich hoch dotierte Krisenpakete. Deutschland kann die neuen Schulden derzeit immer noch zu negativen Zinsen finanzieren. Auch neue Kredite im Umfang von einigen Hundert Milliarden Euro werden die Zinslast in den öffentlichen Haushalten daher nicht nennenswert ansteigen lassen. Dies sollte aber nicht zum Leichtsinn verleiten. Das Privileg extrem günstiger Finanzierungskonditionen spiegelt die exzellente Bonität der Bundesrepublik wider, die wir nicht gefährden dürfen. Hohe Staatsdefizite in den Jahren 2020 und auch 2021 sind verantwortbar und richtig. Danach muss aber wieder eine Perspektive für ausgeglichene Haushalte gefunden werden.

© gerd bastin – pixabay.com

Sie schreiben in ihrer Studie für uns, dass Resilienz nur richtig verstanden werden kann, wenn es eine klare Verbindung zu einer gesellschaftlichen Zielfunktion gibt. Nun ist aktuell die Debatte darüber entbrannt, was ein Corona-Konjunkturpaket fördern muss. Kurz gesagt geht es um die Frage, ob der Staat in Zukunft Flugreisen und den Kauf von Autos mit klassischen Verbrennungsmotoren massiv subventionieren soll oder ob das Konjunkturpaket sehr gezielt neue umweltfreundliche Technologien fördern soll. Wie stehen Sie dazu?
Eine gute Politik behält gerade in der Krise die Langfristziele der Gesellschaft im Blick. Ich glaube allerdings nicht, dass Corona es trotz der kurzfristigen klimafreundlichen Effekte viel leichter machen wird, eine erfolgreiche Klimapolitik zu betreiben. Man sieht jetzt bereits, wie rasch Klimawandel als bis Februar noch wichtigstes Politikthema in der Bewertung der Menschen abgerutscht ist. Das wundert nicht. In einer Phase, in der Menschen sich ganz kurzfristig um ihre Gesundheit, ihren Job und letztlich um ihren Wohlstand fürchten, treten langfristige Ziele in den Hintergrund. Aber auch das ist eine Momentaufnahme. Vielleicht kann die Krise aber letztlich helfen eine zielgenauere und effizientere Klimapolitik als bisher zu machen. Und die Investitionen der Konjunkturpakete sollten unbedingt auf die digitale und elektromobile Infrastruktur – Stichwort Ladesäulen – zielen.

In unserem aktuellen Projekt befassen wir uns mit der stagnierenden Produktivitätsentwicklung in Deutschland. Kann Ihrer Ansicht nach auch hier die Krise ein Katalysator sein?
Ich rechne bei der Produktivität mit einer U-Kurve. Erst einmal wird die gemessene Produktivität stark sinken, weil die Entlassungen – zum Glück – nicht so schnell erfolgen wie die Umsätze wegbrechen. Nach der Konjunkturerholung könnte dann ein neuer Produktivitätsschub folgen, weil wir alle aktuell lernen, wie wir die digitalen Möglichkeiten einsetzen können, zum Beispiel um uns sehr viel letztlich unproduktive Reisezeiten zu sparen. Auch sind viele Menschen erzwungenermaßen auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen. Hier entsteht ein hohes Potenzial für Innovationen und Unternehmensgründungen. Wirtschaftshistorisch ist anzumerken, dass die Jahre nach der Großen Depression der 1930er für Länder wie die USA den größten Produktivitätsschub des 20. Jahrhunderts gebracht haben. Das lässt hoffen.

Wie schaffen wir es, dass das Thema Resilienz auf der politischen Agenda bleibt, auch wenn die Corona-Krise wieder vergessen sein wird?
Da mache ich mir wenig Sorgen. Die Überwindung aller ökonomischen und sozialen Verwerfungen der Corona-Krise wird uns Jahre beschäftigen und in all diesen Jahren immer vor Augen führen, wie entscheidend die Fähigkeit zur Krisenverarbeitung ist. Letztlich ist die Krise auch ein gigantisches globales Resilienz-Experiment. Es wird aufschlussreich zu lernen, welche Länder aus welchen Gründen robuster über diesen Einschnitt kommen als andere. Insofern werden wir gerade in den kommenden Jahren noch unglaublich viel lernen und forschen können zum Thema Resilienz.



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