Masken made in Germany?
Die Corona-Pandemie hat internationale Lieferketten schwer getroffen. Ausgehend von den ersten Produktionsausfällen in China zu Beginn des Jahres, ist die Produktion auch hierzulande vielerorts zum Erliegen gekommen. In zahlreichen Branchen fehlten wichtige Bauteile und Vorprodukte aus dem für die EU und Deutschland wichtigsten Lieferland. Doch auch die Grenzschließungen innerhalb Europas haben den Waren- und Wirtschaftsverkehr erheblich gebremst.
In vielen Branchen ist die Abhängigkeit von chinesischen Importen hoch, so zum Beispiel in der Elektro- und Telekommunikationsindustrie (Eurostat, 2018). Hier stammt rund ein Drittel aller Bauteile aus der Volksrepublik. Besonders hoch ist die Abhängigkeit bei Atemschutzmasken. Derzeit werden fast 60 Prozent der weltweit produzierten Masken in China hergestellt (Peterson Institute for International Economics, 2020).
Um diese Abhängigkeit zu reduzieren, entschied Gesundheitsminister Jens Spahn im April, als die Versorgungslage immer bedrohlicher wurde, eine inländische Maskenproduktion anzuschieben. Die Regierung wolle die heimische Wirtschaft hierbei unterstützen. Wie genau, bleib erst einmal offen. Wir diskutieren in diesem Beitrag ein paar politische Optionen, die Importabhängigkeit von systemrelevanten Gütern zu verringern.
Vorratshaltung
Bei nicht verderblichen Gütern könnten größere Vorräte vorgehalten werden, auf die in Krisenzeiten sehr kurzfristig zugegriffen werden kann. In der Praxis findet das zum Teil bereits statt. In Deutschland muss die Ölbranche per Gesetz eine strategische Reserve für etwa 90 Tage vorhalten, um Engpässe bei der Versorgung zu überbrücken. Gespeichert werden diese Vorräte in unterschiedlichen Lagern über das Land verteilt. Das Bundeswirtschaftsministerium entscheidet, wann wie viel dieser Reserve freigegeben wird. Zuletzt geschah dieses 2018, als die Flusspegel von Rhein und Mosel so stark gefallen waren, dass der Nachschub über die Wasserwege stockte. Ansonsten wird diese Reserve nur bei Naturkatastrophen oder internationalen Konflikten, wie dem Golfkrieg, angezapft.
Die Vorratshaltung kann unserer Ansicht nach jedoch nur ein Baustein sein. Zum einen ist der Bedarf nicht präzise vorherzusehen, sodass unklar ist, wie groß die Vorräte sein sollten. Zum anderen haben viele Güter – anders als Öl – nur eine begrenzte Haltbarkeit. Sie altern oder sind irgendwann technisch nicht mehr auf dem Stand der Zeit.
Kapazitätsreserve
Ein weiteres probates Mittel zur Vermeidung von Engpässen kann sein, in Produktionskapazitäten speziell für Krisenzeiten zu investieren, damit diese dann schnell hochgefahren werden können. Vorbild hierfür könnte die Elektrizitätswirtschaft sein.
Aus Sorge um etwaige Blackouts hat die Politik Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, eine sogenannte Kapazitätsreserve außerhalb des Strommarktes vorzuhalten. In Extremsituationen, in denen das am Markt zur Verfügung stehende Angebot an Strom den Bedarf nicht deckt, soll sie als Notfallreserve einspringen. Am normalen Strommarkt hingegen darf die Reserve nicht eingesetzt werden, um den Wettbewerb dort nicht zu verzerren.
Die Kapazitätsreserve ist technologieneutral. Bilden können sie alle Kraftwerke, Speicher und sonstige Lasten, die ihre Kapazität innerhalb von weniger als zwölf Stunden aktivieren können. Derzeit bilden ausschließlich Gaskraftwerke die Reservekapazität, da diese ihre Stromerzeugung flexibel regeln und – etwa im Gegensatz zu Kohlekraftwerken – schnell hochfahren können.
Übertragungsnetzbetreiber schreiben die Anlagen in der Kapazitätsreserve alle zwei Jahre wettbewerblich aus. Die Vergütung umfasst einen fixen Leistungspreis für den Wertverlust der Anlagen sowie die laufenden Kosten aus Instandhaltung, Eigenstromverbrauch der Anlage und Vorhaltung der Kapazitätsreserve. Zudem wird im Falle des tatsächlichen Einsatzes der Kapazitätsreserve ein Arbeitspreis bezahlt, um die variablen Kosten etwa für den Brennstoff oder die Emissionsrechte zu decken. Den Zuschlag für die Kapazitätsreserve sollte erhalten, wer die günstigste Kombination aus Arbeits- und Leistungspreis anbietet (vgl. etwa Monopolkommission, 2019).
Die Kosten der Kapazitätsreserve werden auf die Netzentgelte und somit letztlich auf die Endverbraucher:innen umgelegt. Der Anstieg der Netzentgelte wird auf etwa 0,01 bis 0,02 ct/kWh bzw. etwa 0,35 bis 0,70 € bezogen auf einen durchschnittlichen jährlichen Stromverbrauch von 3.500 kWh geschätzt (BMWi, 2018).
Vorstellbar ist, das Modell der Kapazitätsreserve auch auf andere systemrelevante Sektoren zu übertragen. So könnten etwa Unternehmen der Textilbranche einen gewissen Anteil ihrer Produktionskapazitäten vorhalten, um in Krisenzeiten sehr kurzfristig Atemschutzmasken herstellen zu können.
Die Bundesregierung könnte diese Kapazitäten ähnlich dem Energiemarkt in einem wettbewerblichen Verfahren ausschreiben. Sie müsste garantieren, die laufenden Kosten der Kapazitäten zu decken, die ja nicht für die Produktion am normalen Markt eingesetzt werden können. Zusätzlich müsste ein Aufschlag gewährt werden, um die Opportunitätskosten einer anderweitigen Verwendung am freien Markt zu decken. Sollte die Reserve in Krisenzeiten zum Einsatz kommen, erhalten die Unternehmen eine Vergütung in Höhe des Produktes aus dem Zuschlagswert und der Gebotsmenge im Ausschreibungsverfahren. Eine solche Lösung könnte Wettbewerbsverfahren nutzen, um günstig Kapazitäten vorzuhalten, ohne eine fortwährende staatliche oder staatlich subventionierte Produktion zu schaffen, die den Wettbewerb verzerren könnte. In jedem Fall muss die gewählte Lösung letztlich beihilferechtskonform sein, um den Wettbewerb mit den anderen Unternehmen nicht zu verzerren.
Grundsätzlich muss bei allen politischen Maßnahmen die gesamte Lieferkette im Blick gehalten werden. Es hilft wenig, eine wie auch immer geartete Bereitstellung des Endproduktes zu organisieren, wenn wichtige Zwischenprodukte fehlen. Die Bundesregierung könnte etwa die Unternehmen in der Kapazitätsreserve verpflichten, ihre gesamte Lieferkette offenzulegen, um die Störanfälligkeit entlang der Kette einschätzen und ihr eventuell entgegenwirken zu können.
Europäische Lösung
Zudem scheint es zudem wenig hilfreich, sich bei systemrelevanten Gütern allein auf nationale Lösungen zu verlassen. Auch Deutschland kann von Naturkatastrophen oder Epidemien getroffen werden, sodass die Produktion auch hierzulande ausfallen könnte. Ist das Vertrauen in internationale Lieferketten gegenwärtig beschädigt, so sollte eine Produktion von systemrelevanten Gütern zumindest EU-weit koordiniert werden.
Das hätte mehrere Vorteile. Zum einen kann eine dezentrale Produktion auf mehrere Standorte das Risiko von Produktionsausfällen diversifizieren. Zum anderen ist es wenig effizient, wenn alle 27 EU-Staaten jeweils ihre eigene nationale Produktion aufbauen, insbesondere dann, wenn die Produktion mit hohen Fixkosten einhergeht, die sich kaum amortisieren lassen.
Eine Allokation der Ressourcen auf wenige europäische Partnerstaaten würde Skalen- und Spezialisierungsvorteile in der Produktion besser ausnutzen und somit die Produktionskosten im Vergleich zu einer rein nationalen Produktion verringern. Und letztlich lassen sich in der EU eher rechtlich bindende Verträge schließen, als das mit Drittstaaten möglich ist.
Wie sollten zusätzliche Kosten finanziert werden?
Eine verminderte Abhängigkeit von importierten Vorleistungen oder Endprodukten ist unweigerlich mit höheren Preisen für die betreffenden Produkte verbunden. Der Kostenvorteil war ja gerade der Grund, auf Importe statt auf eine heimische Produktion zu setzen: Ökonomische Unabhängigkeit hat einen Preis.
Bei Produkten, die aus Sicht der Gesellschaft essenziell sind, wird eine staatliche Unterstützung der Produktion erforderlich sein. Da die entsprechenden Maßnahmen eine Absicherung gegen unvorhersehbare Risiken sind, handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die aus Steuermitteln finanziert werden sollte. Die Bereitstellung sollte in einem transparenten und wettbewerblichen Verfahren organisiert werden, um die Steuerbelastung möglichst gering zu halten. Sofern die Unternehmen Subventionen erhalten, ist darauf zu achten, dass diese beihilferechtskonform und mit den Regeln des internationalen Handels und der WTO kompatibel sind.
Fazit
Die Corona-Pandemie hat die Zerbrechlichkeit von internationalen Lieferketten offenbart. Gerade bei wichtigen Medizinprodukten herrschte teils ein dramatischer Mangel. Doch auch der Nachschub vieler Vor- und Zwischenprodukte in der Industrie kam teilweise zum Erliegen.
Gegenwärtig wird diskutiert, wie die Resilienz gegen Krisen wie die Corona-Krise erhöht werden kann. In diesem Beitrag haben wir Optionen diskutiert. Gemein ist allen Lösungen: Eine verminderte Abhängigkeit von Importen hat ihren Preis. Eine wie auch immer geartete Produktion in Deutschland und Europa ist in aller Regel teurer als beispielsweise in Asien. Es muss also diskutiert werden, für welche Produkte man in Zukunft bereit ist, mehr zu bezahlen.
Kommentare
[…] Ein Vorschlag ist eine Rückverlagerung der Produktion aus Niedriglohnländern nach Deutschland bzw. Europa. Sollten sich diese Wünsche durchsetzen, käme es zu einer Renationalisierung der Produktion – und somit wiederum zu einer Deglobalisierungstendenz mit den erwähnten inflationären Implikationen. […]