Konflikte der Transformation: Werden künftige Generationen ignoriert?

Dr. Johann MajerUniversität Hildesheim

Der nachhaltige Umbau unserer Wirtschaft und unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens macht es zwingend erforderlich, hier und heute die Interessen zukünftiger Generationen zu berücksichtigen (IPCC, 2023). Entscheidungen in solchen intergenerationalen Konflikten sind schwierig, da sie von uns verlangen, Tradeoffs zu machen zwischen unseren eigenen unmittelbaren Interessen und den Interessen zukünftiger Generationen (Wade-Benzoni & Tost, 2009).

Dabei haben wir die volle Entscheidungshoheit, da nachfolgende Generationen nicht für Ihre Interessen einstehen können. Dennoch sind die Interessen uns nachfolgender Menschen keineswegs abstrakt, sondern betreffen vielmehr schon heute ganz konkret die Lebensbedingungen unserer Kinder.

Konflikte innerhalb und zwischen Generationen

Die schwierigen Verhandlungen der Ampel-Koalition über den Bundeshaushalt 2024 zum Ende des letzten Jahres lassen allerdings eine ganz andere Konfliktlinie beim Umbau unserer Gesellschaft zu Tage treten. Hier steht der Konflikt zwischen tiefgespaltenen Interessensgruppen innerhalb einer Generation im Vordergrund (ein intragenerationaler Konflikt). Die Ampel-Parteien vertreten ganz unterschiedliche Interessen darin und Ansichten darüber, wie Bundesprojekte jetzt finanziert werden sollen und der gesellschaftliche Wandel vollzogen werden kann.

Diese beiden schwerwiegenden Konflikte in der Transformation zur Nachhaltigkeit, der eine zwischen Generationen, der andere innerhalb von Generationen, sind nicht unabhängig voneinander (Wade-Benzoni & Tost, 2009). Ganz im Gegenteil.

Die kürzlich ausgehandelte Lösung der Ampelkoalition für die Haushaltsplanung 2024 beeinflusst stark, inwieweit die Interessen zukünftiger Generationen bereits heute bedacht werden. Somit bedingt die ausgehandelte Lösung des intragenerationalen Konflikts gleichzeitig auch die Lösung des intergenerationalen Konflikts (Majer et al., 2021). Dabei bleibt aber eine zentrale Frage ungeklärt.

Inwieweit sind Konfliktparteien der gegenwärtigen Generation überhaupt in der Lage, die Interessen zukünftiger Generationen in ihre Verhandlungslösungen mit einzubeziehen?

Johann M. Majer

Experimente zur Erforschung intergenerationaler Konflikte

Genau dieser Frage sind wir in einem gemeinsamen Forschungsprojekt an der Leuphana Universität Lüneburg und der Universität Hildesheim nachgegangen (Van Treek et al., 2023). Mehr als fünfhundert Teilnehmende wurden rekrutiert, um an insgesamt fünf labor-experimentellen sozialpsychologischen Studien teilzunehmen.

Die Teilnehmenden wurden dafür in verschiedene fiktive Konfliktsimulationen eingewiesen und hatten die Aufgabe, Ressourcenverteilungskonflikte mit einer anderen Verhandlungspartei ihrer gegenwärtigen Generation zu lösen (z.B. über die Aufteilung von Wald zwischen zwei Forstbetrieben). Zusätzlich erhielten diese Konfliktparteien vollständige Informationen über die Interessen der nachfolgenden Generation in diesem Verteilungskonflikt.

Wie lösen Parteien Konflikte für sich selbst und die nachfolgende Generation?

Die Herausforderung der ersten beiden Studien lag für die Versuchspersonen darin, eine Konfliktlösung mit der Gegenseite auszuhandeln und gleichzeitig intergenerationale Tradeoffs zu machen. Die Parteien konnten sich nämlich auch dazu entscheiden, zum Teil auf ihre eigenen unmittelbaren Interessen zu verzichten, um die nachfolgende Generation ebenfalls von der Konfliktlösung profitieren zu lassen.

In Übereinstimmung mit unseren Erwartungen erzielten die beiden Verhandlungsparteien eine Konfliktlösung, von der sie selbst am meisten unmittelbar profitierten und die die nachfolgende Generation stark benachteiligte. Die Parteien waren nicht bereit, die erforderlichen intergenerationalen Tradeoffs zu machen, die eine ähnlich gute Konfliktlösung auch für zukünftige Generationen ermöglicht hätten.

Kann man einer Benachteiligung zukünftiger Generationen entgegenwirken?

Angesichts dieses ernüchternden Befundes für nachfolgende Generationen wollten wir in einem nächsten Schritt herausfinden, ob die Konfliktparteien der gegenwärtigen Generation ihr Verhalten ändern würden, wenn sie eine Kompensation für die Berücksichtigung der Interessen der nächsten Generation erhielten.

Für jede Ressource, auf die sie bereit waren, jetzt zu verzichten, erhielten sie selbst auch eine Kompensation. Die Herausforderung war jetzt also eine kognitive: Die Versuchspersonen mussten nicht mehr selbst die Kosten tragen, um nachhaltig den Konflikt für die nachfolgende Generation zu lösen. Stattdessen mussten sie lediglich die Interessen der nachfolgenden Generation berücksichtigen. Unsere Befunde zeigten auch hier trotz Kompensation dasselbe ernüchternde Muster.

Die Konfliktparteien handelten eine Lösung aus, von der sie selbst wiederum am meisten profitierten. Die nachfolgende Generation hatte das Nachsehen, obwohl ihre Interessen lediglich hätten berücksichtigt werden müssen.

Dieser Befund legt nahe, dass die Konfliktparteien die Interessen der nachfolgenden Generationen einfach ignorierten. Trotz einer konstanten Benachteiligung der zukünftigen Generationen war aber das Ausmaß der Benachteiligung insgesamt deutlich reduziert. Die Kompensation könnte also zumindest in Teilen eine ausgeglichenere Konfliktlösung zwischen aktuellen und nachfolgenden Generationen erleichtert haben.

Wird die zukünftige Generation auch bei schweren Konsequenzen benachteiligt?

Als letzte Herausforderung für die Versuchspersonen wollten wir untersuchen, ob die intergenerationale Ignoranz der Konfliktparteien auch dann noch auftritt, wenn die Konsequenzen der Konfliktlösung für zukünftige Generationen stärker ins Gewicht fielen als für gegenwärtig verhandelnde Parteien. Entgegen unserer Erwartungen waren die Versuchspersonen sogar noch ignoranter und am Ende die Benachteiligung der zukünftigen Generation noch stärker, wenn die Konsequenzen für die nachfolgende Generation gewichtiger waren, als wenn sie für heutige und zukünftige Generationen vergleichbar waren.

Warum ignorieren Konfliktparteien die Interessen der nachfolgenden Generation?

Dieser Befund wirft wichtige Fragen auf: Warum war die Benachteiligung sogar größer, obwohl die Konsequenzen für nachfolgende Generationen doch bedeutsamer waren? Ein Erklärungsansatz könnte sein, dass die gegenwärtigen Konfliktparteien stärker versuchten, die schwerwiegenderen Konsequenzen für die nachfolgenden Generationen bewusst zu ignorieren.

Zukünftige Forschung sollte genau dieser Frage nachgehen, um zum einen Erklärungen für die Benachteiligung künftiger Generationen durch gegenwärtige Konfliktlösungen liefern zu können. Zum anderen, um geeignete Interventionsmaßnahmen ableiten zu können, die uns hier und jetzt helfen können, die Interessen nachfolgender Generationen stärker in unsere heutige Konfliktlösung einzubeziehen.

Welche Lösungsansätze zur Überwindung intergenerationaler Ignoranz gibt es?

Forschende um den japanischen Ökonomen Tatsuyoshi Sajio haben eine Verhaltensintervention entwickelt (Sajio, 2022; Timilsina et al., 2023), die vielversprechend ist, um intergenerationaler Ignoranz entgegenzuwirken. Sie beruht darauf, die intergenerationale Verantwortlichkeit der Handelnden durch die Begründung der eigenen Entscheidung gegenüber zukünftigen Generationen zu erhöhen.

Entscheider:innen der heutigen Generation können durch diese intergenerationale Verantwortlichkeit motiviert werden, die Perspektive und Interessen der nachfolgenden Generation stärker zu vertreten. Durch diese Methode könnten heute schon die Interessen nachfolgender Generationen stärker im Blick behalten werden. Einige japanische Kommunen haben die Methode des Future Designs und der intergenerationalen Verantwortlichkeit bereits erfolgreich angewendet, um politische Maßnahmen zu gestalten (Sajio, 2022).

Inwieweit die Konfliktlösung der Ampel-Koalition die Interessen nachfolgender Generationen im Blick behalten hat, wird sich erst in Zukunft zeigen. Jedenfalls deuten unsere Befunde darauf hin, dass ohne ein Gegensteuern durch entsprechende Interventionsmaßnahmen die menschliche Konfliktlösung den Ansprüchen an intergenerationale Gerechtigkeit nicht gerecht wird.

Literatur

Lee, H., Calvin, K., Dasgupta, D., Krinner, G., Mukherji, A., Thorne, P., … & Park, Y. (2023). IPCC, 2023: Climate Change 2023: Synthesis Report, Summary for Policymakers. Contribution of Working Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds.)]. IPCC, Geneva, Switzerland.

Majer, J. M., Barth, M., Zhang, H., van Treek, M., & Trötschel, R. (2021). Resolving conflicts between people and over time in the transformation toward sustainability: A framework of interdependent conflicts. Frontiers in Psychology12, 623757.

Sajio, T. (2022, July 23rd). Designing the world with future generations in mind. Intergenerational Foundation.

Timilsina, R. R., Kotani, K., Nakagawa, Y., & Saijo, T. (2023). Does being intergenerationally accountable resolve intergenerational sustainability dilemmas?. Land Economics.

van Treek, M., Majer, J. M., Zhang, H., Zhang, K., & Trötschel, R. (2023). Present generation’s negotiators realize their interests at the cost of future generationsJournal of Environmental Psychology91, 102126.

Wade-Benzoni, K. A., & Tost, L. P. (2009). The egoism and altruism of intergenerational behavior. Personality and Social Psychology Review13(3), 165-193.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

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Wie grünes Wachstum vielleicht doch gelingt von Dr. Lioudmila Chatalova, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien

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