Köpfe und Kapital – Raus aus der Komfortzone!
Green Deal, Elektromobilität, Industrie 4.0 – im kommenden Jahrzehnt stehen einige entscheidende Upgrades des deutschen Innovationsmotors an, wenn dieser nicht dauerhaft ins Stottern geraten soll. Anders als bei einem Auto, das zur Generalüberholung seiner Teile in die Werkstatt gebracht werden kann, muss diese Neuausrichtung des Innovationssystems bei voller Fahrt und durch ein kreatives Neuarrangement der bestehenden Strukturen gelingen.
Dazu gehört auch, erfahrene kluge Köpfe und Kapital an die richtigen Stellen zu bringen, an denen sie insbesondere junge Hightech-Unternehmen nach vorne bringen können. Das passiert in Deutschland bislang noch zu wenig. In der Folge reißt hierzulande die Transferkette oftmals genau dort ab, wo es volkswirtschaftlich – also im Sinne von Innovation, Wertschöpfung und Arbeitsplätzen – spannend wird.
Die richtigen Köpfe – aber häufig an der falschen Stelle
Blicken wir also zuerst auf die erfahrenen Köpfe, die hinter ihrem Potenzial zurückbleiben. In Hintergrundgesprächen, die Teil vieler acatech Projekte sind, taucht immer wieder und über Branchen hinweg eine Problemdiagnose auf: Deutsche Manager haben eine Tendenz zur „Gemütlichkeit“. Was ist damit gemeint?
Erstens hat ein Jahrzehnt guter Konjunktur in etablierten deutschen Unternehmen wenig Motivation oder gar Leidensdruck erzeugt, Geschäftsmodelle vor dem Hintergrund neuer Technologien zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele etablierte Unternehmen sich selbst komplexe Regelwerke für die Zusammenarbeit mit Dritten auferlegt haben – gut für die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, aber langsam und hinderlich, wenn der Schulterschluss mit hoch-innovativen, agilen Start-ups gesucht wird. Da verwundert es wenig, dass Hightech-Start-ups, made in Germany, oftmals ihre ersten großen Kunden und Partnerschaften nicht am eigenen Standort, sondern in Übersee finden.
Zu der Mutlosigkeit, innerhalb des Unternehmens neue Wege zu beschreiten, kommt eine gewisse Bequemlichkeit bei den Karrierepfaden hinzu. Nur wenige Managerinnen und Manager wagen nach einer jahrzehntelangen Karriere in einem deutschen Großunternehmen den Schritt zum Aufbau eines eigenen Unternehmens oder in die Geschäftsführung eines Start-ups. Wir brauchen aber dieses Know-how und die Erfahrung solcher gestandenen Managerinnen und Manager, um der Hightech-Start-up-Szene in Deutschland einen Boost zu verpassen, sie also kräftig anzukurbeln. Ein Ende dieser Bequemlichkeit kann nicht politisch verordnet werden. Aber der dafür nötige Kulturwandel kann durchaus unterstützt werden.
Ideen mit Geschäftssinn zusammenbringen
Es wäre also geboten, die im mittleren Management schlummernde Expertise für Gründerinnen und Gründern, aber auch für Investoren besser zugänglich zu machen. Insbesondere für den Erfolg von Start-ups in Bereichen mit hochkomplexen Regularien wie der Medikamentenentwicklung wäre dies entscheidend.
Technologische Expertise und Geschäftssinn müssen dabei nicht zwingend in einer einzigen Ausnahmepersönlichkeit vereint sein. Es braucht vielmehr besseres Matching zwischen den Ideen aus der Wissenschaft und Machern, die darauf ein funktionierendes, skalierbares Geschäftsmodell aufbauen.
Aktuell – so berichten uns Branchenkenner im Rahmen einer acatech Veröffentlichung zum Thema Innovationspotenziale der Biotechnologie – finden sich die entsprechenden Managerinnen und Manager in der Biotechnologie oft nicht in Deutschland. Man rekrutiert sie dann vor allem im angelsächsischen Ausland. Damit ist dann schon der erste Schritt in Richtung Abwanderung des Unternehmens vollzogen – nämlich in das Heimatland des neuen CEO. So kann in Deutschland keine positive Aufwärtsspirale in Gang kommen, die in Zukunftsfeldern eine kritische Masse an Kapital, Netzwerken und Knowhow erzeugt.
Have your cake and eat it too – Start-up-Dynamik und gewachsene Industriestrukturen kombinieren
In Deutschland gibt es eine besondere Industriestruktur aus etablierten Unternehmen, Start-ups und der Wissenschaft. Diese Struktur birgt viel Potenzial, wie eingangs schon angedeutet. So können sich Start-ups in der Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen eine zusätzliche Quelle für die Innenfinanzierung erschließen und ihre Technologien gemeinsam weiterentwickeln. Das kurbelt ihr Wachstum an. Etablierte Unternehmen können wiederum ihr eigenes Geschäftsmodell schneller auf frische Ideen und neueste Technologien einstellen – Stichwort „Digitalisierung des Bestands“. Ein wichtiges Feld, gerade im deutschen Mittelstand!
Um die Potenziale der Zusammenarbeit besser auszuschöpfen, reichen manchmal schon vergleichsweise simple Ansätze: Anders geplante oder eigens dafür geschaffene Gebäude und Räume können Forschern und Unternehmerinnen helfen, sich informell auszutauschen und gemeinsam mit neuen Ideen zu experimentieren. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind Maker Spaces. Auch geteilte Kantinen oder ein gemeinsamer Campus haben einen solchen Effekt.
Auch Karrierestrukturen, die einen mehrmaligen Seitenwechsel zwischen Wissenschaft und Unternehmen fördern, sind wichtig. Aktuell ist dies jedoch oft mit finanziellen Abstrichen und schlechteren Aufstiegschancen verbunden. Nicht zuletzt ist eine bessere Verankerung des Transfers als dritter Mission der Hochschulen wichtig, die in ihren Ambitionen der Förderung wissenschaftlicher Exzellenz in nichts nachstehen sollte.
Last but not least schlagen wir im Rahmen einer neuen acatech Publikation zum Thema Wachstumsfinanzierung den Aufbau einer speziellen Jump-up-Initiative vor. Eine solche Initiative soll ganz gezielt handverlesene Hightech-Start-ups mit Technikvorständen etablierter Unternehmen, mit erfahrenen Entrepreneuren und mit Spitzenforschenden zusammenbringen, um projektbasiert an gemeinsamen Lösungen rund um disruptive Zukunftstechnologien zu arbeiten – idealerweise gleich unter Einbindung entsprechender Investoren.
Der Lockruf des außereuropäischen Kapitals
Innovative Hightech-Unternehmen finden für die Finanzierung ihrer Wachstumsphase oftmals nicht genügend europäisches oder deutsches Kapital. Das bleibt nicht ohne Folgen: Eine Studie der TU München zeigt, dass außereuropäische Investoren aktuell oft an den erfolgreicheren europäischen Wachstumsunternehmen beteiligt sind, aber auch, dass genau diese Unternehmen früher oder später Europa verlassen. Einige Experten sprechen in diesem Zusammenhang bereits von einem Ausverkauf deutscher Spitzentechnologie. Ausländisches Wachstumskapital ist einerseits besonders wichtig für die europäische Hightech-Start-up-Szene, denn durch dieses Kapital können die Unternehmen neue Märkte erobern, oftmals überlebenswichtige internationale Netzwerke aufbauen und ihr Wachstum ausreichend finanzieren. Allerdings sollten europäische Wachstumsunternehmen nicht nur deswegen auf außereuropäische Investoren zugreifen „müssen“, weil es an heimischem Wachstumskapital und Fondsmanagern mit dem für Hightech-Felder nötigen Spezialistenwissen fehlt. Gefragt sind mehr inländische Kapitalquellen, zusätzlich zum Angebot an außereuropäischem Kapital.
Wachstumskapital „made in Germany“ – Hebelwirkung staatlicher Fonds nutzen
Heimisches Wachstumskapital muss also besser mobilisiert werden. Hierbei nimmt unter anderem die KfW Capital eine wichtige Rolle ein. Die 2018 gegründete KfW-Tochtergesellschaft beteiligt sich unter anderem an Fonds für innovative technologieorientierte Unternehmen in der Wachstumsphase. Ihre staatlichen Fonds-Investments müssen mindestens zu gleichen Teilen durch private Wagniskapitalgeber „aufgestockt“ werden – es entsteht also eine Art staatlicher Hebel, um auch mehr privates Wagniskapital in Deutschland und Europa zu aktivieren. Die maximale Beteiligung der KfW-Capital liegt jedoch bei 25 Millionen Euro – zu wenig, um größere Fonds in Deutschland aufzubauen (300 Millionen und mehr). Genau solche größeren Fonds sind jedoch nötig, damit innovative Wachstumsunterunternehmen auch hierzulande mit ausreichendem Kapital versorgt werden. Eine Aufstockung der KfW-Capital Beteiligungsvolumina wäre daher wünschenswert.
Zusätzlich steht ein neuer Innovationsfonds zur Diskussion: eine verzinsliche staatliche Innovationsanleihe, die Bürgerinnen und Bürgern attraktive zwei Prozent Zinsen für zehn Jahre zusichert. Der Staat garantiert diesen Zins, erhält aber gleichzeitig auch das Recht, das eingesammelte Kapital in Start-ups und Hightech-Wachstumsunternehmen professionell zu investieren. Eine gute Idee, um die heimische Wagniskapitalszene zu verbessern!
Wagniskapital-Investitionen für brachliegende Anlageklassen attraktiver machen
Die bessere Einbindung der großen „Kapitelsammelstellen“, also der Versicherer und Pensionskassen, stellt mit Abstand den größten (aber auch schwierigsten) Hebel dar, um mehr Wagniskapital zu generieren. Weniger als ein Prozent des Anlagekapitals der sieben größten Pensionskassen und Versorgungswerke Europas würde ausreichen, um den Wagniskapitalrückstand Europas gegenüber den USA auszugleichen.
Nun unterliegen die Investitionsmöglichkeiten solcher „Rentengelder“ und Versicherungsbeiträge nicht zu Unrecht strengen Vorschriften, insbesondere was die Eigenkapitalhinterlegung betrifft. In der gegenwärtigen Form rechnet sich damit die Anlageklasse Wagniskapital für viele Kapitalsammelstellen nicht.
Es wäre sinnvoll, die Anlage Wagniskapital für Kapitalsammelstellen durch eine moderate Anpassung der Regularien etwas attraktiver zu gestalten. Die USA und auch andere europäische Staaten, etwa Dänemark und Norwegen, machen es vor: Hier werden Teile des Anlagevermögens aus Pensionskassen und Versicherungen in Wagniskapital investiert. Einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung geht hierbei aktuell die Europäische Kommission: Um Investitionen unter anderem in Private Equity zu stärken, hat sie mittels einer neuen Verordnung zu Solvency II die Eigenkapitalanforderungen für Versicherer gesenkt.
Die paradoxe Herausforderung, Kapital zur Geduld zu motivieren
Mit dem Siegeszug der „Digital Start-ups“ geht nicht selten die Vorstellung einher, ein gutes Start-up solle in möglichst kurzer Zeit ein erstes Produkt vorweisen und in wenigen Jahren den Weltmarkt erobern. Dabei sind jedoch technologie- und hardwareintensive Hightech-Start-ups aus dem Blick geraten. Diese brauchen in der Regel viel länger, um aus komplexen Technologien und disruptiven Geschäftsideen Unternehmen mit hohen Bewertungen und attraktiven Umsätze zu generieren.
So dauert die Entwicklung und Zulassung eines neuen Medikaments mehr als zehn Jahre und auch Quantentechnologie-Start-ups denken eher in Dekaden als in Quartalszahlen und schnellen Börsengängen. Diese Start-ups brauchen geduldiges Kapital – ergänzend zum klassischen Wagniskapital.
Ein möglicher Weg wäre der Aufbau einer neuen Co-Investmentplattform, wie in der neuen acatech Studie zum Thema Wachstumsfinanzierung vorgeschlagen. Dabei kann, grob gesagt, ein Leitinvestor (zum Beispiel ein hochspezialisierter Wagniskapitalfonds) auf einer neuen Co-Investment-Plattform über ein aus seiner Sicht vielversprechendes Investment in ein innovatives Hightech-Unternehmen informieren. Der Leitinvestor kann dann auf der Plattform weitere Investoren suchen, die auf Basis seiner Empfehlung bereit wären, mit in das jeweilige Unternehmen zu investieren. Unter gewissen Rahmenbedingungen könnten Investoren auch ihre Unternehmensanteile auf der Plattform untereinander handeln, ohne dass ein Exit erforderlich ist. Ergebnis: Das Kapital bleibt länger im jeweiligen Unternehmen und kann dort „arbeiten“ – es wird geduldiger. Gleichzeitig käme es zu größeren Finanzierungsrunden mit heimischem Wachstumskapital (vgl. auch die nachfolgende Grafik sowie den Gastbeitrag von T. Lange und R. Braun).
Dem Titel des Innovationsweltmeisters gerecht werden
Obwohl Deutschland bisweilen zum Innovationsweltmeister ausgerufen wird, ist es sehr lange her, dass ein deutsches Start-up zu einem Weltkonzern herangewachsen ist. Mit der Biotechnologie, neuen Quantentechnologien und der KI in der industriellen Anwendung gibt es gegenwärtig drei Felder, in denen dieses Kunststück gelingen könnte. Die richtigen Köpfe und das nötige Kapital dafür hätten wir. Jetzt gilt es, beide aus ihrer Komfortzone zu bewegen und wieder etwas zu wagen.
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