Wie kann man Superstars wieder einholen?

Dr. Torben StühmeierMonopolkommission


Zusammenfassung

  • Künstliche Intelligenz wird eine Schlüsseltechnologie für die gesamte Wirtschaft
  • Daten sind der entscheidende Input für KI
  • Daten werden häufig von wenigen Superstar-Firmen kontrolliert
  • Eine Pflicht zur Datenteilung kann den Wettbewerb wiederbeleben
  • Die Missbrauchsaufsicht muss schneller reagieren können.

Künstliche Intelligenz wird eine Schlüsseltechnologie für die gesamte Wirtschaft. Sie wird die gesamte Wertschöpfungskette auf eine neue Grundlage stellen, nicht nur die Industrie, sondern auch Handwerk, Handel, Dienstleistungen und sogar die Landwirtschaft,“ so Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei der Vorstellung der Strategie Künstliche Intelligenz (KI) der Bundesregierung am 16. November 2018. Die Bundesregierung will bis zum Jahr 2025 drei Milliarden Euro bereitstellen, um die Entwicklungen und Anwendungen der KI in Deutschland voranzutreiben und verspricht sich, dass Wirtschaft, Länder und Wissenschaft mit der gleichen Summe nachziehen.

Ist das Rennen bereits gelaufen?

Warum überhaupt eine KI-Strategie? Weil nicht nur die deutschen Unternehmen den US-Tech-Konzernen Google, Amazon, Microsoft und Co. hier deutlich hinterherhinken. Es scheint also, dass einige Superstar-Firmen dem Rest des Feldes nahezu uneinholbar davongelaufen sind. Insofern treibt es nicht nur die deutsche Politik um, wie ein Anschluss an die Zukunftstechnologien möglich ist.

Einerseits investiert die Bundesregierung in diverse Maßnahmenpakete, um den KI-Standort Deutschland zu stärken. Andererseits soll ein Wettbewerbsumfeld geschaffen werden, in dem ein Anschluss an die Superstars überhaupt noch möglich ist. Ob das unter den derzeitigen Wettbewerbsregeln der Fall ist, wird zunehmend bezweifelt. Wettbewerber in den digitalen Märkten haben zunehmend Mühe Schritt zu halten, da Ihnen der Zugang zu einem entscheidenden Rohstoff fehlt: Daten. Die Rolle von Daten für den Wettbewerb beleuchtet unser aktueller Policy Brief „Die Marktmacht von Google und Co.: Eine Gefahr für den Wettbewerb?“

So forderte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles am 13. August 2018 in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt, dass insbesondere die großen amerikanischen Technologiekonzerne ihre Daten kleineren Wettbewerbern zur Verfügung stellen sollen. „Ich bin selbst überrascht, aber ich kann dem Vorschlag von Frau Nahles durchaus etwas abgewinnen,“ antwortete Justus Haucap, einer der führenden Wettbewerbsökonomen Deutschlands. „Ihre Idee setzt an der richtigen Stelle an. Man kann nicht die Augen davor verschließen, dass es im Internet erhebliche Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen gibt, denen man nach meiner Überzeugung etwas entgegensetzen sollte.“

Dass der bekennende Liberale einem Vorschlag der SPD-Vorsitzenden uneingeschränkt zustimmen kann, kommt vermutlich nicht allzu häufig vor. Jedenfalls findet sich der Vorschlag einer verpflichtenden Datenteilung auch im Gutachten zur Modernisierung der Missbrauchsaufsicht (pdf) wieder, das Justus Haucap zusammen mit der Juristin Heike Schweitzer und den Ökonomen Wolfgang Kerber und Robert Welker für das Bundeswirtschaftsministerium erstellt hat.

Nun liegt es in der Natur des Wettbewerbs, dass manche Unternehmen schneller und erfolgreicher sind als andere. Doch der entscheidende Punkt ist hier ein anderer. Die Daten werden häufig von den Tech-Konzernen selbst kontrolliert, manche Autoren sprechen an dieser Stelle von einer Datenmacht. Und diese Datenmacht kann sich in eine Marktmacht übertragen. Wer die Daten kontrolliert, kann Wettbewerber in ihrem Erfolg behindern. Das Wettbewerbsrecht spricht von einem Behinderungsmissbrauch.

Training für die Wettbewerber

Doch warum ist der Zugang zu Daten so entscheidend für den Wettbewerb, nicht nur, aber gerade im Hinblick auf die KI-Technologien? Weil Daten ein entscheidender Input in der Wertschöpfungskette sind. So lernen Händler anhand von Daten über vorherige Käufe mehr über die Präferenzen der Konsumenten und können ihnen in Zukunft passgenauere Angebote machen. Sensoren senden Daten über die Nutzung der Produkte und können so beispielsweise den Wartungsbedarf eines PKW direkt an die Werkstatt melden. Im Bereich des Maschinellen Lernens lernen Algorithmen dazu, indem sie permanent Rohdaten auswerten und verknüpfen, wie Abbildung 1 darstellt. Je nach Ausgestaltung lernen die Algorithmen ebenso anhand ihres Outputs und verbessern sich immer weiter. So lernt Amazons Alexa mit jeder ihrer Antworten. Die Rate der falschen Antworten sei somit im letzten Jahr um 25 Prozent gesunken, so Rohit Prasad, Chefwissenschaftler von Alexa.

Maschinelles Lernen
Abbildung 1: Maschinelles Lernen

Worin liegt der Vorteil der Superstars?

Die großen Unternehmen profitieren potenziell von zwei Effekten: Den Skalen- und den Verbundvorteilen. Von Skalenvorteilen spricht man, wenn Unternehmen durch ihre schiere Größe einen Wettbewerbsvorteil erhalten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn eine größere Datenmenge einen größeren Nutzen impliziert, ein Algorithmus also umso besser wird, mit je mehr Daten er gefüttert wird. Je mehr Anwender also Alexa nutzen, desto besser fallen die Antworten aus. Der wettbewerbliche Vorteil steigt also mit der Anzahl an Daten. Und hiervon profitieren gerade die großen multinationalen Unternehmen.

Außerdem profitieren große Unternehmen weiterhin von sogenannten Verbundvorteilen. Die führenden Technologiekonzerne sind in der Regel in mehreren Märkten aktiv. So betreibt Google nicht nur die erfolgreichste Suchmaschine, sondern auch das erfolgreichste mobile Betriebssystem Android, den Kartendienst Google Maps oder den Videostreaming-Dienst YouTube. Der Mutterkonzern von Google Alphabet ist darüber hinaus in vielen weiteren Märkten der KI aktiv. Die aus der Vielzahl an Quellen gewonnen Daten können nun für viele Dienste gleichzeitig genutzt, miteinander verknüpft und kombiniert werden, um so die Entwicklungen in allen KI-Felder voranzutreiben.

Wie ist ein faires Rennen noch möglich?

Im Prinzip ist die Forderung, den potenziellen Kern der Marktmacht, also hier die Daten, zu teilen nicht komplett neu. Im Zuge der Liberalisierung vieler Netzindustrien in den 1990er Jahren verblieben trotz der Marktöffnung für Wettbewerber monopolistische Teilbereiche – die Netze selbst, so z.B. die Energienetze. Um am Endkundenmarkt aktiv zu werden, benötigen alternative Energieanbieter Zugang zu den Netzen der vertikal integrierten ehemaligen Gebietsmonopolisten, also ihrer eigenen Konkurrenten, wie in Abbildung 2 dargestellt. Daher wurden die Energienetzbetreiber per Gesetz verpflichtet, Wettbewerbern Zugang zu ihren wesentlichen Einrichtungen – also in diesem Fall den Netzen – zu gewähren.

Abbildung 2: Vertikale Integration
Abbildung 2: Vertikale Integration

Ähnliches wird nun für Daten gefordert. Das Prinzip des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung ist jedoch in der konkreten Anwendung an strikte Kriterien gebunden, da ein Spannungsfeld zwischen Zugangsansprüchen und Eigentumsrechten existiert. Die Einrichtung muss a) so wesentlich sein, dass eine Erbringung einer Leistung auf einem vor- oder nachgelagerten Markt nicht möglich ist und b) darf es für Konkurrenten wirtschaftlich oder technisch nicht möglich sein, die Einrichtung zu duplizieren. Für welche Daten beide Kriterien gleichzeitig erfüllt sind, ist offen. Es scheint jedoch, dass der Kreis eher klein ist, da viele Daten nicht exklusiv vorliegen und über den Markt bezogen werden können. Das gilt im Wesentlichen für personenbezogene Daten, welche nicht allein von den Technologiekonzernen geniert werden, sondern aus vielen Quellen stammen können. So können Standortdaten über diverse App-Anbieter, den Mobilfunkanbieter oder andere Drittanbieter bezogen werden.

Die KI-Technologien benötigen in aller Regel jedoch nicht-personenbezogene Daten, maschinengenerierte und Produktnutzungsdaten. Diese fallen oft nur exklusiv beim Hersteller an, so dass das Kriterium der Exklusivität eher erfüllt sein dürfte. Inwiefern diese allerdings so unverzichtbar sind, dass ohne Zugriff auf diese Daten kein Wettbewerb möglich ist, ist wohl nur im Einzelfall zu entscheiden.

Warum bedarf es weitergehende Regelungen?

Das Wettbewerbsrecht greift natürlich auch in den digitalen Märkten. So eröffnete die Europäische Kommission im April 2015 ein Verfahren wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gegen Google. Einer der Vorwürfe lautete, dass Google seinen Browser Chrome an sein dominierendes mobiles Android-Betriebssystem koppelte und somit den Wettbewerb auf dem Markt für mobile Browser unbillig behinderte.

Unter anderem aufgrund dieses Verhaltens wurde gegen Google im August 2018 eine Rekordstrafe von 4,34 Mrd. Euro verhängt. Grundsätzlich besitzt das Wettbewerbsrecht also Instrumente, gegen den Missbrauch der Marktmacht auch in digitalen Märkten vorzugehen. Allerdings greifen diese Instrumente erst, wenn der Missbrauch stattgefunden hat und Wettbewerber bereits geschädigt wurden. Dann kann es aber bereits zu spät sein. Während der dreieinhalbjährigen Laufzeit des Verfahrens hat sich der Marktanteil von Google Chrome von 52 auf 68 Prozent erhöht, Google konnte seine dominante Position weiter festigen und das Rennen im Markt für mobile Browser eventuell bereits für sich entscheiden. Die Strafzahlung ändert hieran erst einmal nichts.

Das wiederum ist ein generelles Problem in vielen digitalen Märkten. Denn dort spielen sogenannte Netzeffekte eine wesentliche Rolle. Die Anwender wandern dorthin, wo bereits viele andere Anwender sind und der Markt kann hin zu einem Anbieter kippen (sogenannte Winner-takes-all-Märkte). Insofern ist es wichtig, bereits in einer frühen Phase viele Anwender anzuziehen. Dagegen ist wettbewerbspolitisch zunächst auch nichts einzuwenden.

Allerdings muss der Wettbewerb um den Markt fair und offen sein. Wird ein Missbrauch der Marktmacht festgestellt, muss gerade in Netzwerk- und Plattformmärkten deutlich früher und schneller eingegriffen werden – und zwar bevor der Markt endgültig zu kippen droht. Eine Pflicht zur Datenteilung ist hier ein valides Instrument, die Chancen der Wettbewerber im Spiel zu wahren. Die genannten Gründe wiegen schwerer als der damit verbundene Eingriff in die Eigentumsrechte, die grundsätzlich ein konstitutives Element der sozialen Marktwirtschaft darstellen.



Kommentar verfassen