Wie die USA und China unsere Industriepolitik beeinflussen

Dr. Cora JungbluthBertelsmann Stiftung

Chinas Staatskapitalismus und Trumps Handelspolitik haben das Thema Industriepolitik wieder auf den Tisch gebrachtOb in der Europäischen Union, in Deutschland oder in den Vereinigten Staaten– Medien, Politiker und Wirtschaftswissenschaftler diskutieren derzeit über die Zukunft des Industriesektors. Doch warum sorgt das Thema Industriepolitik überhaupt für so viel Aufregung?

Was ist Industriepolitik? Kurz gesagt bezieht sich „Industriepolitik“ (Link) auf die von der Regierung eingeleitete Restrukturierungspolitik zugunsten dynamischerer Aktivitäten. Kritiker sind jedoch der Ansicht, dass der Staat nicht über genügend Informationen verfügt, um die zugrundeliegenden Marktkräfte vollständig zu verstehen. Darüber hinaus vertreten sie die Meinung, dass eine gezielte Industriepolitik sich nur auf wenige Sektoren konzentriert, während andere dabei unvermeidlich vernachlässigt werden. Dies könne das Risiko von Fehlentwicklungen und die Störung des normalen Marktwettbewerbs erhöhen (Link).

Strategische Industriepolitik hat aber auch Vorteile. Sie stellt beispielsweise die Entwicklung und Verbreitung von Basistechnologien (z.B. Internet) sicher. Der Markteintritt dieser essenziellen Technologien würde ansonsten deutlich länger brauchen, da die Umsätze und Renditen zu unsicher sind, um das Interesse privater Investoren zu wecken (Link). Darüber zwingt eine auf wettbewerbsorientierte Sektoren ausgerichtete Politik, Unternehmen produktivitätssteigernde Innovationen stärker zu verfolgen, denn nur so können sie ihre Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Sektors sichern (Link). Daher kann Industriepolitik den Wettbewerb stärken und damit Innovation anregen, anstatt sie zu verhindern.

Innovation und Protektionismus bestimmen die Debatte

Obwohl technologischer Fortschritt und Innovation schon immer ein entscheidendes Ziel der Industriepolitik waren, sind sie zum Kern der modernen Politikgestaltung im Hinblick auf die bevorstehende digitale Revolution geworden. Es scheint jedoch, dass etablierte Akteure ihren Technologievorsprung als selbstverständlich betrachtet und dem Aufholprozess der Schwellenländer lange Zeit nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die Dynamik der Weltwirtschaft hat sich in den letzten 20 Jahren drastisch verändert. Die Schwellenländer sind schnell gewachsen, und vor allem China steht kurz davor, ein ernst zu nehmender Konkurrent der etablierten Industrieländer zu werden. China ist ein wichtiger Grund, warum die Industriepolitik wieder auf dem Tisch ist.

Das letzte Jahrzehnt hat gezeigt, dass der Wettbewerb mit China aufgrund der starken Rolle der chinesischen Regierung in der wirtschaftlichen Entwicklung nicht immer auf Augenhöhe stattfindet. In ihrer industriepolitischen Strategie „Made in China 2025“ (Zhongguo Zhizao 2025) hat die chinesische Regierung zudem das Ziel gesetzt, das Land zu einem weltweit führenden Anbieter von Hightech-Produkten und -Dienstleistungen zu entwickeln. China soll seine Rolle als „Fabrik der Welt“ (shijie gongchang) hinter sich lassen und bis 2049 zum Gesicht der vierten industriellen Revolution werden. Dieser strategische Plan, der in zehn Schlüsselindustrien verfolgt wird, zielt darauf ab, China zum weltweit führenden Hersteller von Telekommunikationsinfrastruktur, Eisenbahnen und elektrischer Energieversorgung, sowie mindestens zum zweit- oder drittgrößten Hersteller von Robotik, Automatisierungstechnologien und Elektrofahrzeugen zu machen. Wenn China dieses Ziel erreicht, können Länder wie Deutschland und die Vereinigten Staaten in diesen Branchen erhebliche Marktanteile verlieren. Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen, sondern wäre auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene problematisch, da es hier um die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Zukunftsbranchen geht.

Andere Länder, andere Ansätze

Die Vereinigten Staaten greifen unter der gegenwärtigen Administration vermehrt auf protektionistische Maßnahmen wie Zölle zurück, insbesondere – aber nicht nur – gegenüber China. So treiben sie die Welt an den Rand eines Handelskrieges und stellen der Verlässlichkeit der USA als internationale Partnerin in Frage. Infolge dieser Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China drastisch verschlechtert. Denn protektionistische Maßnahmen provozieren in der Regel eben solche Gegenmaßnahmen von Seiten der betroffenen Länder. Das schränkt den diplomatischen Handlungsspielraum in den gegenseitigen Beziehungen erheblich ein. Der Ansatz der Vereinigten Staaten mag dem Land zwar kurzfristig helfen, auf lange Sicht kann er aber viel mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Deutschland hingegen strebt mit dem Entwurf einer „Nationalen Industriestrategie 2030“ an, seine Zurückhaltung gegenüber einer aktiveren Rolle des Staates in der Wirtschaft aufzugeben. Gemeinsam mit Frankreich hat Deutschland ein „deutsch-französisches Manifest für eine europäische Industriepolitik im 21. Jahrhundert“ verabschiedet, das – ähnlich wie die deutsche Version – einen starken Fokus auf die Förderung einheimischer Innovationen und die Anpassung bestehender Rahmenbedingungen setzt. Der Schutz der Industrie spielt ebenfalls eine Rolle, scheint aber nicht das bevorzugte Mittel zu sein. Darüber hinaus beinhalten beide Ansätze eine längerfristige (d.h. zehn Jahre) Perspektive, die über den manchmal kurzfristig orientierten Ansatz der an Wahlperioden gebundenen Politikgestaltung hinausgeht.

Bestehende Vorstellungen von Industriepolitik umdenken

In der aktuellen Debatte über Industriepolitik gab es einige reflexhafte Reaktionen, die zum Teil so wirkten, als ob sie von Erfahrungen der Vergangenheit – wie beispielsweise dem Kalten Krieg – beeinflusst seien. In Zeiten großer globaler Disruptionen, wie einer sich rasch verändernden internationalen Ordnung und einer allmählich fortschreitenden vierten industriellen Revolution, ist es jedoch wichtig, eine offene und sachliche Diskussion über mögliche Umgangsstrategien zu führen – auch über solche, die in der Vergangenheit verpönt waren.

Gegenwärtig stehen die Europäische Union und Deutschland auf der einen Seite einem mächtigen China gegenüber, das bis 2049 voraus denkt. Auf der anderen Seite sorgen die politischen Schnellschüsse der USA für ständige Unsicherheiten auf globaler Ebene. Umso mehr ist es für Deutschland und die Europäische Union von entscheidender Bedeutung, selbst eine langfristige Perspektive einzunehmen, wie sie zum Teil bereits in den aktuellen industriepolitischen Entwürfen enthalten ist. Ein gemeinsamer europäischer Ansatz ist eine Schlüsselvoraussetzung, die EU auf internationaler Ebene als ernst zu nehmende Partnerin neben China und den Vereinigten Staaten zu positionieren.

Eine intelligente Industriepolitik, die über die traditionellen Vorstellungen von (gescheiterter) Industriepolitik hinausgeht, könnte tatsächlich eine Lösung für einige der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen sein. Sie wird sicherlich kein Allheilmittel sein, ist jedoch auch kein Rückfall in die Planwirtschaft. Die Idee, einen zeitgemäßen Ansatz in der Industriepolitik zu verfolgen, sollte daher nicht von Anfang an verworfen werden. Die Debatte sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, wie eine intelligente Industriepolitik konkret aussehen könnte, und gleichzeitig offen für alternative Politikansätze sein.

Hinweis: Der Beitrag ist in einer früheren Fassung bei den Kolleginnen und Kollegen von ged-project.de erschienen.



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