Regionale Produkte

Heimat im Einkaufskorb: Überschätzen wir kurze Wege?

Dorothea MeyerGeorg-August-Universität Göttingen

Wer im Supermarkt zur Paprika „frisch aus der Region“ greift, tut das meist mit gutem Gefühl: kurze Wege, weniger CO₂, besser für die Umwelt. Dieses Gefühl kann jedoch trügen.

Wie Verbraucher die Umweltfreundlichkeit von Lebensmitteln einschätzen, beeinflusst nicht nur das Einkaufsverhalten, sondern auch politische und wirtschaftliche Entscheidungen entlang der Wertschöpfungskette.

In Zeiten, in denen Nachhaltigkeit im Spannungsfeld mit Ernährungssicherheit und der Resilienz von Lieferketten diskutiert wird, stellt sich die Frage: Wissen wir eigentlich, was „umweltfreundlich“ ist?

Ergebnisse einer Verbraucherbefragung

Im Rahmen unserer Online-Umfrage wurden im September 2024 rund 1.000 Personen befragt, wie sie die Umweltfreundlichkeit von Paprika, Äpfeln und Rindfleisch aus Deutschland sowie EU- und Nicht-EU-Ländern einschätzen. Unsere Forschungsergebnisse zeigen: Heimische Produkte werden immer als umweltfreundlicher eingeschätzt – selbst dann, wenn importierte Alternativen in ihrer Umweltbilanz objektiv besser abschneiden.

Insgesamt zeigte sich ein durchgängiges Muster: Je weiter weg der Ursprungsort, desto weniger umweltfreundlich wird das Lebensmittel eingeschätzt. Unbeachtet bleibt dabei, dass ein effizient erzeugtes Importprodukt ökologisch besser sein kann als ein ineffizient erzeugtes heimisches. Ein genauerer Blick auf drei Produktgruppen zeigt, wie stark Wahrnehmung und Realität auseinandergehen.

Paprika: Heimvorteil trotz Heizkosten

Besonders exemplarisch ist das bei Paprika: Während sie in Spanien meist unter freiem Himmel oder in unbeheizten Gewächshäusern wachsen, müssen deutsche Paprika häufig beheizt werden. Dieser Energieaufwand übersteigt den des Transportes laut Studien oft um ein Vielfaches.

Zwar ist der Wasserverbrauch in südspanischen Regionen ein ökologisches Problem, doch auch die energieintensive deutsche Produktion ist keine per se umweltfreundliche Alternative. Dennoch genießen heimische Paprika in der Wahrnehmung vieler einen enormen Umweltvorteil.

Äpfel: Geringe Unterschiede, große Wahrnehmung

Deutsche Äpfel haben im September, dem Zeitpunkt der Umfrage, gegenüber italienischen oder chilenischen in der Regel ökologische Vorteile, da wir in Deutschland Gunststandorte haben. Diese Unterschiede sind jedoch nicht sehr groß.

Ein sehr umweltfreundliches Produkt wird durch den Transport aus Italien nicht zu einem umweltschädlichen – und auch nicht durch den aus Chile. Das aber vermuten viele Verbraucherinnen und Verbraucher. Der Heimvorteil wird stark überschätzt.

Rindfleisch: Schlechtere Gesamtbewertung, geringer Herkunftseffekt

Beim Rindfleisch sind die Unterschiede zwischen den Herkunftsländern geringer. Das argentinische Rindfleisch schneidet bei den Konsumenten nur wenig umweltschädlicher ab als das holländische und deutsche. Viele Verbraucher erkennen: Bei einem ohnehin emissionsintensiven Produkt fällt der Transport weniger ins Gewicht.

Dass der Herkunftseffekt beim Rindfleisch weniger stark ausgeprägt ist als bei Paprika und Äpfeln, könnte auch mit der vergleichsweise hohen medialen Aufmerksamkeit für Fleischkonsum und Rinderhaltung zusammenhängen.

Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass das positive Image von hochwertigem, argentinischem Rindfleisch die Umweltbewertung beeinflusst – unsere Wahrnehmungen sind selten völlig rational.

Abbildung: Boxplots, die die Auswirkungen der wahrgenommenen Umweltbelastung von Paprika, Äpfeln und Rindfleisch aus verschiedenen COOs auf einer Skala von 0 = keine wahrgenommene Umweltbelastung bis 100 = große wahrgenommene Umweltbelastung zeigen. Quelle: D. Meyer et al.

Abbildung: Boxplots, die die Auswirkungen der wahrgenommenen Umweltbelastung von Paprika, Äpfeln und Rindfleisch aus verschiedenen COOs auf einer Skala von 0 = keine wahrgenommene Umweltbelastung bis 100 = große wahrgenommene Umweltbelastung zeigen. Quelle: D. Meyer et al. (2025)

Wenn gutes Gewissen falsche Anreize schafft

Diese Verzerrungen sind keineswegs böser Wille, im Gegenteil: Je umweltbewusster sich jemand selbst einschätzt, desto stärker befürwortet er Selbstversorgung und lehnt Importe ab. Das Umweltbewusstsein kann also paradoxerweise die Fehleinschätzung der Nachhaltigkeit verstärken.

Dabei spielt auch ein ethnozentrisches Denkmuster eine Rolle – die Tendenz, die eigene Herkunft automatisch als umweltfreundlicher und „besser“ wahrzunehmen. Ich nenne dieses Wahrnehmungsmuster „ethnozentrischen Umweltglauben“. Dieses Muster kann unbeabsichtigte Folgen haben. Es beeinflusst, welche Produkte als „gut“ oder „richtig“ gelten und lenkt damit nicht nur unser Einkaufsverhalten, sondern auch politische Entscheidungen in eine Richtung, die ökologisch nicht immer sinnvoll ist.

In der öffentlichen Debatte klingt Selbstversorgung oft wie das Ideal: kurze Wege, Unabhängigkeit, Sicherheit. Doch dieser Gedanke hat Tücken. Umweltfreundlichkeit hängt nicht von Landesgrenzen ab. Der Herstellungsprozess ist entscheidender als die Herkunft: Unter anderem die Produktionsweise, Bodenqualität, klimatische Vorteile, Ertrag, Lagerung und Energieeinsatz spielen eine Rolle.

Transport wird in der Debatte häufig überschätzt: Global macht er zwar im Durchschnitt ein Fünftel der klimarelevanten Emissionen im Lebensmittelsystem aus, vor allem bei Obst und Gemüse. Im Gesamtblick mit anderen Umweltwirkungen – etwa Boden-, Wasser- oder Ressourcennutzung – spielt er jedoch eine deutlich kleinere Rolle. 

Selbstversorgung: Problem oder Lösung?

Würden alle Länder versuchen, ihre Ernährung vollständig im Inland sicherzustellen, müssten viele Regionen Produkte anbauen, für die ihre Böden oder klimatischen Bedingungen gar nicht geeignet sind. Das würde zusätzliche Flächen beanspruchen, Erträge anderer Kulturen verdrängen und mehr Energie und andere Ressourcen erfordern – und damit der Umwelt insgesamt mehr schaden als nützen.

Modellierungen zeigen, dass die komplette Umstellung auf regionale Produktion die globalen Emissionen erhöhen. Nachhaltigkeit ist also kein nationales Projekt, sondern eine Frage effizienter und standortgerechter Produktion, unabhängig von Grenzen.

Eine stärkere nationale Ausrichtung unserer Ernährung hat globale Folgen. Wenn wohlhabende Länder Importe reduzieren und in der Folge ineffizienter mit ihren Flächen umgehen, steigen die Weltmarktpreise und verschärfen Hungerkrisen. So kann der Wunsch nach lokaler Kontrolle unbeabsichtigt globale Ungleichheiten verschärfen und letztlich jenen schaden, die am stärksten unter Umwelt- und Klimafolgen leiden.

Steht Politik sich selbst im Weg?

Auch auf nationaler Ebene entstehen Zielkonflikte: Dort, wo die Bedingungen für heimische Produktion eigentlich gut wären – wie beim Apfel, aber auch bei manchem Gemüse und bei Getreide – erschweren politische Auflagen die Produktion und senken so den Selbstversorgungsgrad.

Das führt zu einem paradoxen Ergebnis: Wir überfordern unsere Landwirtschaft dort, wo sie standortbedingt effizient ist und verklären Regionalität dort, wo sie ökologisch gar nicht sinnvoll ist.

Die Bevorzugung heimischer Produkte kann dennoch aus anderen Gründen sinnvoll sein, etwa um regionale Wertschöpfung zu fördern, landwirtschaftliche Betriebe zu unterstützen oder die Versorgung in Krisenzeiten abzusichern. Seit der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine steht insbesondere die Ernährungssouveränität wieder stärker im Fokus der politischen Debatte. Wissenschaftlich betrachtet ist sie jedoch kein Garant für Versorgungssicherheit.

Selbstversorgung stärkt zwar das Gefühl von Kontrolle, führt aber nicht automatisch zu stabileren oder nachhaltigeren Ernährungssystemen. Zielführender ist eine resiliente Einbindung in globale Wertschöpfungsketten, kombiniert mit nachhaltiger, standortgerechter Produktion. Der Wunsch nach regionaler Kontrolle sollte sorgfältig abgewogen und nicht mit pauschalen Umweltvorteilen gleichgesetzt werden.

Was Verbraucher beitragen können

Umweltfreundliche Entscheidungen scheitern oft nicht am Willen, sondern am Wissen. Wenn Verbraucher umweltfreundliche Varianten besser erkennen können, können sie einen Unterschied machen. Dafür braucht es weniger irreführende Nachhaltigkeitsversprechen, ein stärkeres Bewusstsein für ökologische und ökonomische Zusammenhänge und eine bessere Ernährungsbildung.

Denn wer bewusst umweltfreundlich wählt, stärkt im besten Fall eine Landwirtschaft, die unter fairen und effizienten Bedingungen dort wirtschaftet, wo sie es am nachhaltigsten kann.

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