Handelsrechtliche Leitplanken: Wie kann ein CO2-Grenzausgleich ausgestaltet werden?
Die Europäische Union will mit einem umfassenden neuen Gesetzesvorhaben ihre ambitionierten Klimaziele erreichen. Das „Fit-for-55“-Paket enthält auch ein neues Instrument: den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM).
Der CBAM-Entwurf sieht vor, dass importierte Produkte einiger energieintensiver Branchen künftig einen CO2-Preis bekommen sollen. Die Höhe der Abgabe wird sich danach richten, wie viel CO2 bei der Produktion im Ausland angefallen ist. Die Importeure müssen sich mit CO2-Zertifikaten eindecken, um ihre CBAM-Rechnung einmal im Jahr zu begleichen.
Für europäische Exporte ist ein solcher Ausgleich nicht vorgesehen. Die Europäische Kommission schlägt zudem vor, die Einführung über die nächsten zwölf Jahre zu strecken.
Carbon Leakage verhindern
Der Grenzausgleich für CO2 soll Carbon Leakage verhindern, ein Abwandern der Produktion oder die Verlagerung der Nachfrage ins Ausland. Denn dadurch kommt es zwar national, aber nicht global zu weniger Emissionen –die Effektivität einer nationalen Klimapolitik wird geschmälert.
Vor allem die französische Regierung unterstützt den CBAM-Vorschlag. Allerdings befürchten die deutsche energieintensive Industrie und insgesamt die Exportwirtschaft Nachteile im internationalen Handel.
Verlässliche Aussagen über handelspolitische Risiken und reale Wirkungen des CBAM sind allerdings schwierig, vor allem aufgrund des Streits über US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium, der Pandemie und jüngst des Kriegs in der Ukraine.
Durch die Entwicklung der Energie- und Rohstoffpreise und durch die Reorganisation der Lieferketten verändern sich die Handelsströme zudem besonders stark in den vom CBAM erfassten Sektoren. Dazu gehören Eisen und Stahl, Zement, Aluminium, Düngemittel und Elektrizität.
Verteuerung von Vorprodukten
Um die Höhe der Abgaben und den Leakage-Schutz abschätzen zu können, braucht es belastbare Daten über die Bemessungsgrundlage: die CO2-Emissionen, die bei der ausländischen Produktion entstehen. Die vorgesehene dreijährige Einführungsphase des CBAM zwecks Datenerhebung wird hier für mehr Transparenz sorgen.
Die Verlängerung der Auslauffristen für die freie Zuteilung von Zertifikaten während der Einführung des CBAM über weitere zehn Jahre schafft vor allem für Unternehmen mit hoher Exportkonkurrenz eine Entlastung. Ungeklärt ist bisher aber, wie die Verteuerung von importierten Vorprodukten aufgefangen werden soll, wenn diese überwiegend für Exportprodukte verwendet werden.
Die Wettbewerbsdynamik wird hier auch von den klimapolitischen Ambitionen wichtiger Handelspartner abhängen.
2021 hat die US-Regierung Umweltregulierungen für ihre Industriesektoren wieder eingeführt. China hat sein eigenes Emissionshandelssystem erweitert. Damit werden Kostenunterschiede womöglich geringer, aber verlässlich ist dies nicht.
Wie passt ein Grenzausgleich für CO2 zum WTO-Recht?
In Diskussionen über den CO2-Grenzausgleich dreht es sich seit Jahren vor allem um dessen WTO-Verträglichkeit, denn eine Abgabe an der Grenze berührt das Handelsrecht. Um Handelskonflikte zu vermeiden oder deren Risiko zu verringern, sollten Gesetzgeber die Gestaltung des Instruments deshalb daran ausrichten.
Ein genauerer Blick auf die Elemente hierfür zeigt, dass die Konformität möglich ist, aber eine solche Klimaschutzmaßnahme nicht vor juristischen Anfechtungen geschützt werden kann.
Basis ist die Nichtdiskriminierung
Das WTO-Regime setzt vor allem darauf, dass durch nationale Politikmaßnahmen keine Diskriminierungen von Gütern und Partnerländern entstehen. Konkret dürfen gleichartige Importgüter beim Verkauf im Inland nicht anders behandelt werden wie die inländisch produzierten.
Auch dürfen WTO-Mitgliedsstaaten nicht von handelspolitischen Vorteilen ausgeschlossen beziehungsweise durch Ausnahmen bevorzugt werden. Bei einer unvermeidlichen Abweichung davon, können die Ausnahmeregeln des Artikel XX GATT greifen, die aber mit weiteren Vorgaben versehen sind.
Klagen von Handelspartnern sind auch bei gründlicher Vorgehensweise möglich, denn die WTO-Regeln können unterschiedlich ausgelegt werden. Eine gute Vorbereitung, Umsetzung und hohe Transparenz sind wichtige Bausteine für die Begrenzung dieses Risikos.
Die Regeln für Exporte sind weit deutlicher als jene für eine CO2-basierte Importabgabe. Erstattungen an der Grenze, die für bestimmte Industriesektoren oder deren Produkte gelten, werden als Exportsubventionen betrachtet, die „angreifbar“ oder „verboten“ sein können.
Die Handelspartner können hier in sehr kurzer Frist zu Gegenmaßnahmen, vor allem Strafzöllen, greifen. Daher müssten Erstattungen an der Grenze wohl von vornherein über die Ausnahmeklauseln legitimiert werden, was sehr aufwendig ist. Hierfür braucht es nachvollziehbare Daten über Carbon Leakage-Effekte in den belieferten Drittmärkten.
Viele Elemente müssen gestaltet werden
Für ein nichtdiskriminierendes Design des CO2-Grenzausgleichs gibt es eine Reihe weiterer Elemente. Vor allem muss der Grenzausgleich durch das Klimaschutzziel motiviert sein, also Carbon Leakage nachweislich mindern und keine protektionistischen Ziele verfolgen.
Auch geht es darum, ob das Instrument an einen vorhandenen CO2-Preis „andockt“ und somit ein bereits rechtlich fixiertes Instrument ausgleicht. Oder ob es zusammen mit diesem Preis eingeführt wird und hier noch Spielraum besteht. Nach WTO-Regeln ist ein Grenzausgleich für indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer zulässig. Somit wäre eine CO2-Steuer oder deren Einführung zusammen mit einem Grenzausgleich ein mit WTO-Regeln sehr verträglicher Ansatz.
Besteht ein Emissionshandelssystem wie im EU-Fall, käme es darauf an, ob eine Rechtsprüfung den ETS-Preis als äquivalent zu einer indirekten Steuer beurteilen würde. Geht man davon nicht aus, dann sollten folgende Elemente beachtet werden.
Zunächst sind die rechtlichen Risiken für einen einseitigen Grenzausgleich für Importe geringer als für Exporte, was für den Importausgleich spricht. Sodann müsste der Gesetzgeber klären, welche Produkte unter den Ausgleich fallen sollen. Weiterhin sollten die ausländischen Emissionen bestimmt werden, die als Grundlage für die Berechnung dienen.
Es gibt drei Kategorien:
- die direkten Emissionen (Scope 1)
- indirekte aus der Stromnutzung (Scope 2)
- die darüber hinausgehenden Emissionen aus Vorproduktion und Entsorgung (Scope 3).
Das inländische ETS bestimmt hierbei die Obergrenze. Denn es darf nicht zu einem höheren CO2-Preis für ausländische Produkte im Vergleich zu den inländischen kommen. Daher müssen auch ausländische CO2-Preise angerechnet werden und inländische Beihilfen sowie ggf. frei zugeteilte Zertifikate.
Während bei einer CO2-Steuer die Höhe der Abgabe feststeht, muss bei einem ETS geklärt werden, welcher inländische CO2-Preis angesetzt werden soll – zum Beispiel der Durchschnitt einer bestimmten Periode oder der tagesaktuelle CO2-Preis.
Die Verwendung der Einnahmen als kritischer Punkt
Ein kritischer Punkt ist die Verwendung der Einnahmen. Will oder muss der Gesetzgeber auch die WTO-Ausnahmeregeln und -bedingungen beherzigen, sollten fiskalische Gründe nicht im Vordergrund stehen.
Es gilt, dass eindeutig die klimapolitische Motivation erkennbar sein muss, zum Beispiel durch eine Zweckbindung der Einnahmen. Die Absicht, mit den Einnahmen die staatlichen Kassen zu füllen, bringt die Rechtfertigung in Gefahr.
Systemlücken bedenken
Auch sollten Umgehungen des Systems bedacht werden. Dazu gehört das „Reshuffling“ – ein gezieltes Aufteilen der Produktion in klimafreundliche und klimaschädliche Prozesse für die Lieferung in Länder mit und in Länder ohne CO2-Preis.
Reshuffling kann teilweise durch Herkunftsnachweise bzw. grüne Zertifizierung gemindert werden, die auf der gesamten CO2-Intensität im Herkunftsland basieren und bei der Berechnung der Importabgabe herangezogen werden.
Unternehmen, die klimafreundlicher sind, müssten das dann nachweisen. Hieraus ergibt sich auch, dass ein effektives System niemals ohne internationale Kooperation auskommt, weder bei seiner Administration, noch bei der Dekarbonisierung von Sektoren insgesamt.
Politische Lösungen notwendig
Eine handelsrechtliche Bewertung des CO2-Grenzausgleichs wie ihn die Europäische Kommission vorschlägt ist zurzeit nicht abschließend möglich.
Zudem betritt die EU mit dem CBAM ein Terrain, welches außenpolitisch aufgeladen ist. Viele Handelspartner möchten nicht, dass ihre Waren in der EU künftig teurer werden und die Einnahmen des CBAM der EU zufließen. Sie werden sich also mit rechtlichen Mitteln wehren, wenn keine politischen Lösungen möglich sind.
An solchen Lösungen sollten auch die EU-Mitgliedsstaaten und die Unternehmen mitwirken. Es braucht vor allem mehr Transparenz bei den Daten, der Berechnung und der Wirksamkeit des CBAM als Mittel gegen Carbon Leakage.
Ein erfolgreicher CO2-Grenzausgleich würde auf null Einnahmen hinauslaufen, weil entweder die Bemessungsgrundlage schrumpft oder die CO2-Preise gleich lauten oder beides. Dieser Zustand wird am schnellsten erreicht, wenn die Handelspartner sich auf ein gemeinsames Vorgehen in der Klimapolitik einigen und ihre Ambitionen angleichen.
Daher sollte das Instrument auch in internationalen Foren und Institutionen erklärt und geregelt werden.
Letztlich können handelspolitische Instrumente die nationale Klimaschutzpolitik unterstützen, sie aber nicht ersetzen.
Literatur
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Dröge, Susanne (2020): The EU’s CO2 Border Adjustment: Climate or Fiscal Policy? SWP Point of View; 5.8.2020/ Die CO2-Grenzabgabe der EU – Klima- oder Fiskalpolitik? SWP Kurz Gesagt, 3.8.2020
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Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Eine Klimaallianz zur CO2-Bepreisung von Prof. Dr. Sonja Peterson, Institut für Weltwirtschaft Kiel
CO2-Preis und Ressourcenproduktivität im Zeichen des Klimaschutzes von Dr. Thieß Petersen, Bertelsmann Stiftung
Sind effektive CO2-Preise politisch umsetzbar? von Dr. Martin Hänsel, Dr. Max Franks (beide PIK) und Prof. Dr. Matthias Kalkuhl, Uni Potsdam
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