Folgen der Covid-19-Pandemie für Selbstständige

Karin Schulze BuschoffWirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI)

Die Covid-19-Pandemie führt uns vor Augen, wie verwundbar Selbstständige mangels sozialer Absicherung in Krisenzeiten sind. Die langanhaltenden Einschränkungen aufgrund der Pandemie sind für sie oftmals mit erheblichen ökonomischen Folgen verbunden.

Solo-Selbstständige besonders betroffen

Die Ergebnisse der HBS-Erwerbspersonenbefragung verdeutlichen dies: Im Juli 2021 geben 21 Prozent der abhängig Beschäftigten, aber 37 Prozent der Selbstständigen an, dass sich die Corona-Pandemie negativ auf ihr Einkommen ausgewirkt habe. Besonders betroffen sind Solo-Selbstständige: 44 Prozent erlitten Einkommensverluste durch die Coronakrise. Bei den Selbstständigen, die Mitarbeiter beschäftigen, waren es 29 Prozent.

Infolgedessen hat sich der Anteil der Selbstständigen mit Beschäftigten mit einem Individualnettoeinkommen von weniger als 1500 Euro monatlich im Juli 2021 im Vergleich zum Vorkrisenniveau etwa verdoppelt. Ähnliche Prozentsatzdifferenzen sind bei den Solo-Selbstständigen zu beobachten.

  • Ein Drittel (33 Prozent) der solo-selbstständigen Frauen erzielt im Juli 2021 ein Einkommen von unter 1500 Euro (vor der Krise 27 Prozent).
  • Bei den solo-selbstständigen Männern beträgt dieser Anteil 18 Prozent (vor der Krise 11 Prozent).

Zum gleichen Zeitpunkt gaben 22 Prozent der abhängig Beschäftigten, aber 28 Prozent der Selbstständigen mit Beschäftigten und 41 Prozent der Solo-Selbstständigen an, dass sie in den letzten sechs Monaten auf Ersparnisse zurückgreifen mussten, um ihre monatlichen Ausgaben bestreiten zu können – obwohl Solo-Selbstständige weniger häufig über finanzielle Rücklagen verfügen als die anderen beiden Gruppen.

Vergleichsweise wenig Unterstützung

Selbstständige leiden wie kaum eine andere Beschäftigungsgruppe unter den finanziellen Folgen der Krise. Trotz dieser massiven finanziellen Schwierigkeiten erhielten Selbstständige nur vergleichsweise wenig direkte staatliche Unterstützung, um ihre Einkommensausfälle auszugleichen. Sie konnten nicht auf das Kurzarbeitergeld oder ein vergleichbares Instrument zurückgreifen (Kritikos 2020).

Zwar gab es im Verlauf der Krise vermehrt finanzielle Hilfen für Selbstständige, allerdings beschränkten sich diese zu großen Teilen auf die betrieblichen Fixkosten, nicht aber auf die Einkommenseinbußen oder die Deckung des Lebensunterhalts (Grabka 2021). So stellen die Einkommenseinbußen für viele Selbstständige seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 fortlaufend eine Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz dar (Stiel et al. 2021: 1).

Soziale Rechte Selbstständiger stärken

Erschwerend kommt hinzu, dass Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten in Bezug auf die soziale Absicherung schlecht abschneidet.

Während in der Mehrzahl der EU-Länder die Selbstständigen durch die staatli­chen Pflichtversicherungssysteme systematisch er­fasst werden, ist die Pflichtversicherung in Deutsch­land entsprechend der Tradition der Bismarckschen Sozialversicherung auf wenige Sondergruppen Selbstständiger (bzw. Scheinselbstständiger) be­grenzt.

Insgesamt bestand schon vor der Corona-Krise umfänglicher Handlungsbedarf zur Stärkung der sozialen Rechte Selbstständiger. Dieser Handlungsbedarf wurde durch die Folgen der Krise noch verstärkt. Vielfach gefordert wird bereits seit einigen Jahren die Verbesserung der sozialen Absicherung von Selbstständigen (Fachinger 2007, Fachinger und Frankus 2011, Schulze Buschoff 2007).

Pflicht zur Altersvorsorge als dringender Schritt

Vermieden werden sollte bei der Lösung des Problems der mangelnden sozialen Sicherung Selbstständiger der bislang in Deutschland beschrittene Weg, für weitere Gruppen von Selbstständigen sozialversicherungsrechtliche Sonderregelungen zu schaffen. Diese Sonderregelungen privilegieren dann die betreffenden Gruppen, schaffen aber zugleich neue Ausgrenzungen und Hürden für andere und damit neue Ungleichheiten.

Statt Sonderreglungen sollten möglichst universelle Regelungen geschaffen werden.

Angestrebt werden sollte eine sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung von Selbstständigen und abhängig Beschäftigten. Vor dem Hintergrund der hohen Dynamik der Selbstständigkeit und der Zunahme von hybriden Beschäftigungsformen wäre dann ein Wechsel des Erwerbstatus nicht mit Nachteilen in der Sozialversicherung verbunden.

Durch eine möglichst universelle Lösung könnten Sicherungslücken aufgrund wechselhafter Erwerbsbiografien vermieden werden. Weiterhin wird damit anerkannt, dass eine klare Grenzziehung zwischen abhängiger und selbstständiger Erwerbsarbeit immer schwerer zu ziehen ist und der Graubereich wächst.

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Mit Blick auf die Altersvorsorge stellt die sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung in Form der Pflichtversicherung für alle Erwerbstätigen in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) eine solche universelle Lösung dar. Durch die Erweiterung um bislang nicht in der GRV versicherte Erwerbstätige würde eine Stärkung der Solidargemeinschaft erfolgen (Schulze Buschoff 2018).

Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien (2021) wird eine solche Lösung jedoch nicht angestrebt, stattdessen heißt es:

„Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen. Selbstständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sofern sie nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs ein privates Vorsorgeprodukt wählen. Dieses muss insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen. Bei jeder Gründung gilt jeweils eine Karenzzeit von zwei Jahren.“ Zeilen 2463 ff.

Mit der laut Koalitionsvertrag geplanten „Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit“ und der Möglichkeit, auch „ein privates Vorsorgeprodukt“ wählen zu können, wird der Gedanke aufgegeben, dass die Selbstständigen des Schutzes der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten bedürfen.

Die Leistungen der GRV beinhalten Elemente des Solidarausgleichs, die in privaten, zumeist marktvermittelten Systemen nur schwer zu realisieren sind. Im Unterschied zu privaten Produkten umfasst die Pflichtversicherung in der GRV das gesetzlich vorgeschriebene breite Leistungsspektrum der Rentenversicherung, das neben der Zahlung von Altersrenten auch Erwerbsminderungsrenten, Witwen-, Witwer- und Waisenrenten und die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen umfasst.

Hinzu kommt bei frei wählbaren Versicherungsträgern, dass sowohl die Prüfung, ob der Versicherungspflicht nachgekommen wird, als auch die Koordinierung von Ansprüchen bei verschiedenen Trägern mit einem hohen verwaltungstechnischen Aufwand verbunden sein würden.

Zudem ist der Einstieg in die Versicherungspflicht im Koalitionsvertrag zu zögerlich ausgestaltet, da nur (Neu-) Gründer und Gründerinnen – noch dazu mit zweijähriger Karenzzeit für jede Neugründung – verpflichtet werden.

Eine rein selektive Versicherungspflicht für Gründer und Gründerinnen führt zudem zu einer Wettbewerbsverzerrung, da nur diese die Kosten der Beiträge bei ihrer selbstständigen Tätigkeit bzw. Unternehmensführung einkalkulieren müssen.

Weitere Schritte zur Stärkung der Rechte von Selbstständigen

Mit dem Ziel des umfassenden Schutzes vor sozialen Risiken ist die Öffnung nicht nur der Rentenversicherung, sondern auch die Öffnung weiterer Zweige der Sozialversicherungen für Selbstständige erforderlich.

  • Mit Blick auf die Arbeitslosenversicherung gilt es, die Zugangsvoraussetzungen zu lockern und sie prinzipiell für alle Selbstständigen zu öffnen.
  • Ein notwendiger Schritt besteht weiterhin darin, arbeits- und sozialrechtliche Regelungen an die Bedingungen der Plattformökonomie anzupassen. Hier sollten Rahmenregulierungen auf europäischer Ebene entwickelt werden, um in diesem grenzübergreifenden Arbeitsmarkt größere Rechtssicherheit, Einheitlichkeit und Transparenz zu gewährleisten. Auf europäischer Ebene sollte weiterhin durch entsprechende Festschreibungen im Europarecht allen Erwerbstätigen, einschließlich Plattformbeschäftigten und Selbstständigen, das Recht auf Tarifverhandlungen und Kollektivvereinbarungen gewährt werden.

Im Hinblick auf das öffentliche Interesse überwiegen die gesellschaftlichen Vorteile, die solche Vereinbarungen in Bezug auf Fairness und sozialen Fortschritt mit sich bringen (Hlava und Schulze Buschoff 2021).

Literatur

Fachinger, Uwe. 2007: Längst überfällig – die Rentenversicherungspflicht für Selbstständige. In: Wirtschaftsdienst 87 (6), 349-350.

Fachinger, Uwe, und Frankus, Anna. 2011: Sozialpolitische Probleme der Eingliederung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung. Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. WISO Diskurs. Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Februar 2011. Bonn: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Grabka, Markus. 2021: Einkommensungleichheit stagniert langfristig, sinkt aber während der Corona-Pandemie leicht. DIW-Wochenbericht 18/2021.

Hlava, Daniel, und Schulze Buschoff, Karin. 2021: Ein modernes Arbeitsrecht für Selbstständige. In: AG Soziales Europa der Hans-Böckler-Stiftung (Hg.): Zukunft Soziales Europa. WSI Report Nr. 67. Seite 16-19.

Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD),
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP). 2021.

Kritikos, Alexander S., Graeber, Daniel und Seebauer Johannes. 2020: Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbstständige. DIW aktuell

Schulze Buschoff, Karin. 2007: Neue Selbstständige im europäischen Vergleich – Struktur, Dynamik und soziale Sicherheit. Edition der Hans-Böckler-Stiftung, Band 201, Düsseldorf.

Schulze Buschoff, Karin. 2018: Selbstständigkeit und hybride Erwerbsformen. Sozialpolitische Gestaltungsoptionen. WSI-Policy Brief Nr. 21/2018.

Schulze Buschoff, Karin, Emmler, Helge. 2021: Selbstständige in der Corona-Krise. WSI Policy Brief Nr. 60/ 2021.

Stiel, Caroline, Kritikos, Alexander S., Block, Jörn und Priem, Maximilian. 2021: Soforthilfe für Selbstständige wirkt vor allem positiv, wenn sie rasch gewährt wird. DIW aktuell 60.



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