Es lohnt sich, auf Frauen zu setzen – im Großen wie im Kleinen

Die Pandemie hat uns immer noch fest im Griff. Da wir nun jedoch schon bald ein Jahr mit dem Virus kämpfen, haben wir auch schon eine Reihe von wertvollen Erfahrungen gemacht: beispielsweise, dass wir uns sehr rasch anpassen können, wenn es notwendig ist; dass wir Dinge ändern können, wenn die Umstände es erfordern; und dass wir Strukturen und Systeme neu denken müssen, wenn die gegenwärtigen nicht mehr funktionieren.

Die jetzige Situation bietet die Chance, notwendige Veränderungen voranzutreiben. Ein wichtiger Aspekt dabei müssen die Frauen sein. Denn ihre Ressourcen werden noch in viel zu geringem Maße genutzt. Es muss alles darangesetzt werden, sie in sehr viel stärkerem Maße in die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt zu integrieren, und zwar auf allen Ebenen.

Frauen sind schwerer von der Krise betroffen

Die Corona-Krise bedeutet nämlich einen empfindlichen Rückschlag für die Frauen. Global sind Frauen gemäß der Internationalen Arbeitsorganisation ILO überproportional in Sektoren beschäftigt, die besonders unter der Krise leiden: etwa dem Hotelgewerbe, dem Detailhandel und dem Immobiliensektor, und damit auch am stärksten von Arbeitsplatzverlusten betroffen.[1] Auch bei Einzelunternehmen dürften jene, die von Frauen gegründet wurden, aufgrund der landesweiten Verlegungen von Arbeitsplätzen und Schulstuben in die eigenen vier Wände überproportional leiden.

Eine Studie aus Großbritannien, die die Befindlichkeiten im häuslich-familiären Zusammenhang erhob, zeigte gar, dass nach dem zweiten Lockdown die Frauen mehrheitlich gestresst, die Männer hingegen eher gelangweilt waren.[2] Das Resultat ist angesichts der Tatsche, dass Frauen immer noch den Löwenanteil an der Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen, zwar nicht erstaunlich, aber in dieser speziellen Situation durchaus bedenklich.

Auch der jüngste Gender Gap Index (2020) des Weltwirtschaftsforums WEF stellt bezüglich der ökonomischen Partizipation der Frauen einen Rückschlag fest. Weltweit, so rechnen die Autoren der Studie aus, braucht es noch 99.5 Jahre, bis die Lücken geschlossen sind. Selbst in Westeuropa, das bezüglich Geschlechtergleichheit viel weiter fortgeschritten ist, würden bei gegenwärtigem Tempo noch 54 Jahre (!) vergehen, bis von ökonomischer Gleichheit gesprochen werden kann.[3]

Frauen haben weniger Rechte

Der Missstand ist erdrückend. Und er bedeutet nicht nur Nachteile für die Frauen, sondern schlägt sich überdeutlich auf die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Länder nieder. Eine Studie der Weltbank mit über 187 Volkswirtschaften aus dem Jahr 2019 ergab, dass Frauen global gesehen im Schnitt nur drei Viertel der gesetzlichen und arbeitsrechtlichen Rechte von Männern haben. In der Umfrage wurde unter anderem gefragt, ob Frauen frei reisen und ein Geschäft eröffnen können, ob sie Eigentumsrechte haben und ob sie vor sexueller Belästigung geschützt sind.

Für den Nahen Osten und Nordafrika waren die Ergebnisse frappant: Frauen haben weniger als die Hälfte der Rechte von Männern. An der „Spitze“ dieser Negativ-Rangliste lag Saudi-Arabien. Eine Gleichheit der ökonomischen Rechte stellt die Studie nur in den europäischen Ländern Belgien, Dänemark, Frankreich, Lettland, Luxemburg und Schweden fest. Für Deutschland und die Schweiz fielen namentlich die Lohnunterschiede sowie die Auswirkung von Kindern auf die Karriere negativ ins Gewicht.[4]

Kosten für die Nicht-Beteiligung von Frauen

Linda Scott, die emeritierte Professorin für Entrepreneurship und Innovation der Universität Oxford, dokumentiert in ihrem 2020 auf Englisch und Deutsch erschienenen Werk „Das weibliche Kapital“, welche volkswirtschaftlichen Kosten mit der Nicht-Beteiligung von Frauen in der Wirtschaft verbunden sind.

Daten der Weltbank, die des Weltwirtschaftsforums WEF und die Economist Unit for the Women’s Economic Opportunity zeigen auf eindrückliche Weise, wie die wirtschaftlichen Möglichkeiten von Frauen in einer Volkswirtschaft und deren BIP sowie Wettbewerbsfähigkeit zusammenhängen. Frauenrechte, das ist für sie eindeutig, schlagen sich positiv auf die wirtschaftliche Leistung eines Landes nieder.[5]

Hebel können auf allen Ebenen gesetzt werden

Die Hebel gegen diesen Missstand können auf allen Ebenen angesetzt werden: in der globalen Entwicklungszusammenarbeit, in nationalen Gleichstellungspolitiken, aber auch in Unternehmen selbst. Dazu drei Beispiele aus drei sehr verschiedenen wirtschaftlichen Entwicklungsstadien:

Wieviel allein der Zugang zu Binden, die in unseren Breitengraden selbstverständlich (und in Schottland zwischenzeitlich sogar gratis) sind, bewirken könnte, erfuhr Scott in Ghana. Dort hält die einsetzende Menstruation Mädchen davon ab, zur Schule zu gehen, weil sie Gefahr laufen, als geschlechtsreif „enttarnt“ und damit als „Freiwild“ angesehen zu werden.

Die Folgen: Die Mädchen werden entweder gleich von den Eltern verheiratet, oder, sollten sie das Pech haben, vergewaltigt zu werden, von ihnen verstoßen. Sie fristen ein elendes Leben am Rande der Gesellschaft, oft mit Kindern, und ohne jegliche Chancen, in die Arbeitswelt integriert zu werden.

Walmarts Versuch scheiterte an Standards

Der US-Detailhändler Walmart setzte sich zum Ziel, von Frauen geführte Unternehmen binnen fünf Jahren im Umfang von über 20 Milliarden Dollar in seine Lieferkette zu integrieren. Scott konnte dieses großartige Vorhaben wissenschaftlich begleiten. Es scheiterte jedoch allein schon an den hohen Standards, die sich Walmart selbst gesetzt hatte, um drohende Kritiken seitens der NGO abzuwenden.

Einzelhändlerinnen in Entwicklungsländern, also Frauen, die landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte hätten liefern können, konnten die von Industrieländern gesetzten Anforderungen an Arbeitsplatzsicherheit, Kinderschutz oder Infrastruktur schlicht nicht erfüllen.

Flexible Arbeitsbedingungen

ZURICH Insurance UK war das erste Unternehmen in Großbritannien, das im Jahr 2019 sämtliche Stellen konsequent mit flexiblen Arbeitsbedingungen ausgeschrieben hatte. Über die Teilzeit-Möglichkeit hinaus enthielten sämtliche Stelleninserate den Hinweis auf die Möglichkeit zum Job-Sharing und den Grundsatz der Flexibilität. Sie waren in einer geschlechterneutralen Sprache formuliert und mit dem expliziten Hinweis versehen, dass das Unternehmen die beste Person für diese Rolle suche, und sich bewusst sei, dass diese vielleicht nicht zu 100 Prozent zur Verfügung stehen kann.

Die Resultate, die im Rahmen einer Studie der Regierung erhoben wurden, sprechen für sich: Insgesamt bewarben sich 16 Prozent mehr Frauen für ausgeschriebene Stellen; bei Führungspositionen waren es sogar 19 Prozent mehr Frauen – und, als direktes Resultat dieser Aktionen – wurden um einen Drittel mehr Frauen in Führungspositionen befördert.[6] Teilzeit, Job-Sharing und Flexibilität sind offenbar jene Wörter, die nahezu ein Wunder bewirken können.

Die Chancen für die Zukunft sind enorm

Diese drei Beispiele sind lediglich Illustrationen, was es bedeuten kann, Frauen in die Arbeitswelt und Volkswirtschaft zu integrieren. Das Phänomen ist evident, und es sollte für die Zukunft genutzt werden – die Chancen sind enorm.

McKinsey zeigt auf der Basis bisheriger Daten und anhand beispielhafter Berechnungen für sechs Länder aus allen Kontinenten – Frankreich, Indien, Indonesien, Kenya, Nigeria und den USA – , in welchem Maß gleichstellungspolitische Maßnahmen die künftige Entwicklung einer Volkswirtschaft beeinflussen können. Die Effekte von drei möglichen Szenarien – „Nichts tun“, „Abwarten“ und „Sofort handeln“ – sind eindeutig: Denjenigen Ländern, die sofort und entschieden handeln, wird per 2050 gegenüber jenen, die einfach abwarten, ein über 10mal höheres Wirtschaftswachstum in Aussicht gestellt.[7]

Es lohnt sich also, auf Frauen zu setzen – für uns alle.

Literatur

[1] ILO Monitor: COVID-19 and the world of work. 7th Edition, 25.1.2021

[2] Compliance or complacence? Attitudes to UK lockdown rules. The Policy Institute, King’s College London. 1.12.2020

[3] Global Gender Gap Index 2020; World Economic Forum

[4] World Bank Group: Women, Business and the Law 2019.

[5] Linda Scott, 2020: Das weibliche Kapital, Hanser Verlag; S. 20

[6] Encouraging employers to advertise jobs as flexible; Government Equalities Office; Interim Report; Kristina Londakova et al., September 2019

[7] McKinsey Global Institute: COVID-19 and gender equality: Countering the regressive effects



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