Energieeffizienz: 100.000 Sozial-Immobilien sanieren
In dem imaginären „Bundesamt für nachhaltige Transformationsverhinderung“ lautet die Aufgabenstellung: Wie kann in der Immobilien-Branche ein Segment mit relevantem CO2-Ausstoß gesellschaftlich so organisiert werden, dass Eigentümer, Betreiber, Mieter und Investoren nachhaltig keine Anreize haben, Bestandsimmobilien energetisch zu sanieren?
Der „Lösungsraum“ hat folgende Form und entspricht weitgehend der Logik der tradierten deutschen Sozialwirtschaft:
- Dem Eigentümer der Immobilie muss verboten werden, Rücklagen zu bilden, die über eine 50-jährige Abschreibungsfrist hinausgehen. Als hilfreich erweist sich für die Investitionsblockade hier das Gemeinnützigkeitsrecht – mit einem jetzt schon eingebauten Rücklagenverbot.
- Dem Betreiber und Mieter der Immobilie könnte man als Nicht-Investitionsanreiz zusichern, dass alle energetischen Verbrauchsmengen und deren Kosten, aber auch die Kosten für Frischwasser, Brauchwasser oder Müll an eine öffentliche Hand weitergereicht werden können.
- Dieser öffentlichen Hand, die für die Verbrauchskosten zuständig ist, ist die Übernahme von Investitionskosten untersagt. Das sollte vertraglich geregelt werden: Verbrauch und Instandhaltung auf der einen Seite und Investitionen auf der anderen Seite sollen nicht zu einer rationalen Überlegung verknüpft werden können.
- Potenzielle Investoren könnte man darauf hinweisen, dass die Kosten für energetische Investitionen nicht an den Mieter und Betreiber weitergereicht werden können, sondern lediglich die Insolvenzwahrscheinlichkeit des Mieters und Betreibers erhöhen.
- Weiterhin geht die Botschaft an den potenziellen Investor: die Investitionskosten bleiben beim Investor, den Ertrag bekommt ein anderer.
Akteure in der Sozialwirtschaft: Sprungbereit Richtung Dekarbonisierung
Jedoch gibt es auch eine Alternative. Die sozialwirtschaftlichen Verbände, Unternehmen, Investoren, kirchlichen Immobilien-Gesellschaften und Kapitalverwaltungsgesellschaften sind, noch überzeugter und ernsthafter als andere volkswirtschaftlichen Branchen, bereit, die energetische Sanierung ihrer Gebäude zeitnah anzupacken.
Im „Quasi-Markt“ der Sozialwirtschaft werden pro Jahr ca. 100 Milliarden Euro für soziale Dienstleistungen in Kindergärten, Pflegeheimen, Suchtkliniken, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Tagespflege- und tagesstrukturierende Einrichtungen, Seniorenresidenzen, Wohnstätten für obdachlose Menschen, Therapieeinrichtungen, Kinder- und Jugend-Wohnheime, Fachschulen für Sozialberufe, Hospize, Internate, Beratungsstellen, Reha-Einrichtungen, Jugendbildungsstätten, Übergangswohnheime für geflüchtete Menschen, Bahnhofsmissionen, Frauenhäuser oder Wohnstätten für Menschen mit Behinderung usw. ohne Krankenhäuser umgesetzt.
Wir schätzen (und zählen), dass die Sozialwirtschaft in Deutschland – ohne Akutkrankenhäuser – ca. 85.000 bis 100.000 Gebäude in allen Größenklassen betreibt.
Die durch den Betrieb der Sozial-Immobilien, also das Heizsystem, das Warmwassersystem, durch die Fensterqualität, den Dämmzustand, die Beleuchtung und den gebäudebezogenen Stromverbrauch verursachten Emissionen – ohne Berücksichtigung der die durch den Konsum der Bewohner und der Mitarbeiter oder durch Mobilität erzeugten Emissionen – belaufen sich auf eine jährlich emittierte Menge von 14.353.346 Tonnen.
Die Gebäude befinden sich in unterschiedlichen Lebenszyklen, für die wir folgende Durchschnittswerte ermittelt haben:
Mit Blick auf den vom Umweltbundesamt vorgeschlagenen CO2-Tonnenpreis von 201 Euro, den wir als „politisches Preisschild“ für den Schnittpunkt der vermiedenen externen Kosten und der wirtschaftlichen Kosten sehen, liegen bei einer linearen Betrachtung die für die nächsten zehn Jahre jährlich zu vermeidenden gesellschaftlichen Umweltkosten bei 2.885.022.546 Euro.
Das bestehende Refinanzierungssystem schafft, wie skizziert, ein kontraproduktives Anreizkorsett.
Bernd Halfar und Jürgen Zerth
Nachhaltigkeit wird bisher nicht belohnt
Wenn Sozialunternehmen aus eigenen Finanzierungsquellen energetische Verbesserungen im Gebäude durchführen und diese Investitionen würden zu geringeren Emissionen und Kostensenkungen des Sozialbetriebes führen, sänken bei einer selbstkostenbasierten Finanzierungssystematik auch die erstattungsfähigen Kostenansätze, die die Leistungs-/Kostenträgern finanzieren.
Es käme zu einem Einspareffekt beim Leistungs-/Kostenträger, der aber keinen Beitrag zur Re-Finanzierung der Folgekosten einer energetischen Investition leistet.
Im Konzept der regulierten Preise und bei Berücksichtigung der dualen Finanzierung – in der Regel gelten in der Sozialwirtschaft unterschiedliche Regelungen für die (Re-)Finanzierung der Betriebskosten und für die Finanzierung von Gebäuden und langfristigen Investitionen – ist somit festzustellen, dass effizientes Verhalten nicht belohnt und „Nachhaltigkeit“ in Verhandlungen mit Leistungs-/Kostenträgern nicht als operationalisierte Wirtschaftlichkeit (Blick auf die Betriebskosten) gesehen wird.
Da sich die Leistungs-/Kostenträger aber ausschließlich an tatsächlichen Kosten orientieren, und die Kategorie „vermiedene Kosten“ nicht kennen und administrativ nicht verarbeiten können/wollen, lohnen sich solche energetischen Investitionen für das Sozialunternehmen nicht. Wohl aber für Sozialstaat und Gesellschaft.
Somit liegt ein Anreizdilemmata vor, das auch durch Verlagerung auf die öffentliche Hand sich wohl kaum lösen ließe.
Bernd Halfar und Jürgen Zerth
Eine Verlagerung der Investitionsfinanzierung auf die bestehenden Kostenträger (wie Jugendämter, Sozialämter, überörtliche Sozialhilfeträger, Sozialversicherungen usw.) würde diese vor erhebliche finanzielle und fachliche Herausforderungen stellen. Sie müssten über die Zweckmäßigkeit und Angemessenheit der Investition entscheiden können, müssten entsprechende gebäudetechnische Kompetenzen und einen guten Überblick über technologische Innovationen gewährleisten.
In finanzieller Hinsicht kämen auf die Kostenträger insbesondere bei der Bewilligung von Investitionen erhebliche Transaktionskosten zu. Weitere Hürden für eine umfassende Förderung allein durch die Kostenträger sind die komplizierten rechtlichen Rahmenbedingungen insbesondere in den Rechtsgebieten, die duale Finanzierungen (der Betriebs- bzw. der Investitionskosten) durch unterschiedliche Leistungs-/Kostenträger vorsehen (so z.B. im Krankenhausbereich).
Transformation durch attraktive Anreize
Eine relativ schnelle Transformation könnte durch attraktive Anreize für „nicht-aggressives privates Kapital“ in Gang gesetzt werden. Die Finanzierung unseres Konzeptes basiert dann
- einerseits auf einem staatlich definierten Kostensatz pro „CO2-Tonne Sozialwirtschaft“ als Preisuntergrenze
- und andererseits einem auf die Sozialwirtschaft begrenzten Zertifikate-Handel als Innovationsbeschleuniger und Gratifikation für eine zeitnahe Umsetzung von energetischen Investitionen
Die Kosten der Karbonisierung werden vom Staat mit einem Tonnen-Preis als Untergrenze versehen und würden kontinuierlich steigen. Somit wachsen ceteris paribus die Grenzkosten der Vermeidung in der Zeit. Um den Anreiz zu steigern, zeitnah in eine Investition zur Umweltvermeidung einzusteigen, kommen nun Zertifikate ins Spiel, die sich auf eine politisch ex ante festgelegte Menge von zugelassenen Emissionen bis zum Jahr 2035 beziehen soll.
Ein Investitionsanreiz außerhalb des üblichen Finanzierungsmodells entsteht nun, wenn die Grenzerlöse einer vermiedenen C02-Tonne größer sind als die Grenzkosten einer nicht vermiedenen Tonne. Die letzte Kategorie wird durch die wachsende CO2-Steuer im Sinne nach Pigou steigen.
Ein Anreiz besteht nun, frühzeitig zu investieren, wenn etwa durch eine Ausgabe von Zertifikaten zu einem definierten Zeitpunkt/Zeitraum t0 ein Garantiepreis staatlich definiert würde, der oberhalb der Grenzkosten liegt, letztgenannte steigen aber durch die wachsende CO2-Steuer, so dass ein „Investitionsfenster“ für eine kluge Strategie erwachsen kann.
Wie ließe sich diese Strategie umsetzen?
In Anlehnung an das „Großvaterprinzip“ gibt der Staat für jede Sozialimmobilie, unterschieden nach dem Typus der Dienstleistung, der Quadratmeter und/oder der Plätze, zu einem definierten Zeitpunkt t0 eine Anzahl CO2 – Zertifikate aus, die die aktuellen durchschnittlichen Emissionskosten abbilden.
Die Zertifikate verlieren im Jahre 2035 ihre Gültigkeit und sind dann wertlos. Nach der initialen Ausgabe nach dem Großvaterprinzip können Sozialunternehmen weitere Zertifikate nur noch durch den innersektoralen Handel erwerben.
Eine Handelsoption über den Sozialsektor hinaus wäre wohl abzulehnen, da aufgrund der besonderen Finanzierungslogik in der Sozialwirtschaft – nämlich der regulierten Preise einerseits und der einhergehenden Investitionsverpflichtung zur Gewährleistung gesellschaftlich definierter Ziele andererseits – zwar eine Privilegierung der Sozialwirtschaft über das Großvaterprinzip legitimierbar wäre, aber eine Vermischung mit anderen Sektoren zu allokativen Ineffizienzen und zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnte.
Förderung durch Rückkaufsverpflichtung
Die besondere Förderung der Sozialwirtschaft würde sich nun dadurch auszeichnen, dass der Staat – die Bundesebene in Deutschland – eine Rückkaufsverpflichtung mit definierten Zertifikatspreisen bis zum Jahr 2035 eingehen müsste.
Es bleibt dem Diskussionsprozess vorbehalten, ob die Garantiepreise selbst leicht degressiv ausgestaltet sind oder als „Pauschalpreis“ angesetzt werden. Mit zunehmender Degression verringert sich in der Zeit der Spielraum, aus eigenwirtschaftlichem Interesse heraus Investitionen in eine Verringerung zu vollziehen, mit einem Pauschalpreis wird der zeitliche Spielraum etwas ausgedehnt. An dieser Stelle gilt es, die projektierte Anreizsituation nochmals etwas genauer zu betrachten:
Die Eigentümer der Sozial-Immobilien werden durch festgelegte Zertifikatspreise angestiftet (bei parallel wachsenden CO2-Preis!), möglichst zeitnah ihre Immobilien energetisch zu sanieren. Dies stärker, wenn der garantierte Zertifikatspreis selbst degressiv verläuft.
Im Sinne einer allokativen Systemeffizienz ist ein Zertifikatehandel zwischen den sozialwirtschaftlichen Organisationen nicht nur möglich, sondern durchaus erwünscht. Hier wäre zu überlegen, nach welchem ordnungspolitischen Muster ein Weiterverkauf zu handhaben ist.
- Einerseits könnten nicht mehr benötigte Zertifikate – im Fall einer frühzeitigen Investition eines Sozialunternehmens und messbar nachvollziehbaren Energiezielen – an den Staat bis spätestens 2035 zurückverkauft werden. Dies hätte dann eine Angebotsverknappung von Zertifikaten zur Folge.
- Andererseits dazu könnte auch ein sektorinterner Handel möglich sein, wo Sozialunternehmen nicht mehr benötigte Zertifikate an andere Sozialunternehmen verkaufen könnten (aber kein sektorübergreifender Handel, wie oben beschrieben). Hier wäre zu überlegen, ob ein (regulierter) Aufschlag im Sinne einer marktwirtschaftlichen Preisbildung möglich sein könnte.
Einsparungen durch geringere Energiekosten
Wie im größeren Diskussionspapier festgehalten wurde , gilt es aber durchaus, die sozialrechtliche Verortung nachhaltiger Investitionen zu verankern. Nämlich um den „Turbo“ eines Emissionshandelns auch mit einer Möglichkeit zu verknüpfen, Einsparungen aufgrund geringerer Energiekosten, die durch wirksame energetische Investitionen zu erwarten sind, degressiv mit dem Kostenträger abbauen zu können, um auch hier eine Beteiligung sowohl der Finanzierungsträger als auch der Leistungserbringer in der Sozialwirtschaft zu ermöglichen.
Es gibt also, Alternativen zur bisherigen institutionellen Finanzierungslogik aufzuzeigen und somit auch das Potenzial für eine ordnungspolitische Weiterentwicklung der Sozialwirtschaft weiter zu entwickeln. Letztendlich können somit auch noch – sicherlich noch näher zu spezifizierende – Wege eröffnet werden, das Potenzial der Sozialwirtschaft zur wirksamen Nachhaltigkeit zu nutzen, nämlich im Grunde durch eine ordnungspolitische Innovation besonderer Natur.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Energiekrise: „Energiearmut stand lange nicht auf der Agenda“ mit Dr. Katja, Schumacher, Öko-Institut
Die Kommunen als Umsetzer der Energiewende – Förderprogramme und Leitfäden von Leona Freiberger, FfE München
Wenn nicht jetzt, wann dann – wie die Energiewende gelingen kann von Dr. Berit Erlach und Dr. Cyril Stephanos, ESYS
Kommentar verfassen