Energetische Vor-Ort-Versorgung: Die Energiewende aus Bürgerhand voranbringen

Arne SurmannFraunhofer Institut für Solare Energiesysteme
Tom BenderFraunhofer IOSB-AST
Sabine PelkaFraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ISI

Für ein Gelingen der Energiewende ist ein massiver Ausbau an erneuerbaren Energien notwendig. Es gilt, alle einfach erschließbaren Flächenpotenziale zu nutzen.

Während auf Einfamilienhäusern durch die Attraktivität des Eigenverbrauchs in Kombination mit einer garantierten Einspeisevergütung bereits seit 20 Jahren PV-Dachanlagen eine lohnende Investition darstellen, sind auf Mehrparteienhäusern nach wie vor kaum Anlagen zu finden.

Durch den Ausbau von EE-Anlagen und ein – im Zuge der Dekarbonisierung der Sektoren Verkehr und Wärme – erhöhtes Aufkommen von Wärmepumpen und Elektroautos ergeben sich neue Herausforderungen für unsere elektrischen Netze (räumlicher Ausgleich) sowie Speicherlösungen (temporaler Ausgleich).

Potenziale durch Vor-Ort-Konzepte erschließen

Vor-Ort-Konzepte können vor diesem Hintergrund einen wichtigen Beitrag leisten, um:

  • Ausbaupotenziale für erneuerbare Energien zu erschließen
  • die Akzeptanz für die Energiewende zu steigern und eine aktive Partizipation von Bürger*innen zu ermöglichen
  • Flexibilitäten gemeinschaftlich und über Sektorengrenzen hinweg zu koordinieren
  • Netz- und marktgetrieben ökonomisch und ökologisch sinnvolle Dienstleistungen lokal zu erbringen

Vor-Ort-Konzepte umfassen in diesem Kontext einzelne Privathäuser, Mehrparteienhäuser, Gewerbebetriebe bis hin zu Industrieanlagen, die sich in räumlicher Nähe zueinander befinden und deren zusammenfassende Betrachtung einen energiewendedienlichen Mehrwert gegenüber der Einzelbetrachtung darstellt.

Aus dem Fraunhofer Cluster Integrierte Energiesysteme (CINES) heraus beschäftigen wir uns mit der Simulation von geplanten und real existierenden Energiegemeinschaften und Quartieren. In einer aktuellen Studie haben wir untersucht, welches Flexibilitätspozential ein konkretes Quartier liefern kann, wenn es als Gemeinschaft geplant und häusergrenzen- sowie sektorenübergreifend optimiert wird.

Im untersuchten Quartier befinden sich PV-Anlagen, Wärmepumpen, Wärmespeicher, Ladesäulen für E-Fahrzeuge und stationäre Batteriespeicher. Eine solche Zusammensetzung bildet vor dem aktuellen politischen Rahmen (Solarpflicht auf Neubauten, Heizsysteme zu 65 Prozent basierend auf erneuerbaren Energien ab 2024, sowie ein CO2-freier Fahrzeugpool ab 2035) einen typischen Anlagenpool für zukünftige Quartiere ab.

Gemeinschaftliche Optimierung sinnvoll

Die Ergebnisse einer cross-sektoralen Simulation zeigen, dass ein großes technisches Potenzial erschlossen werden kann, wenn eine gemeinschaftliche Optimierung erfolgt. Durch den Zusammenschluss von mehreren Gebäuden zu einer Quartiersgemeinschaft kann der Eigenverbrauch ohne jegliche Optimierung um 18 Prozent gesteigert werden. Eine weitere Steigerung um 15 Prozent wird durch den Einsatz eines elektrischen Quartiersspeichers erreicht und eine Optimierung von Ladesäulen und Wärmepumpen fügt 12 Prozentpunkte hinzu.

Vor allem der Einsatz von Wärmepumpen sorgt für eine starke Reduktion des CO2-Fußabdrucks. Insgesamt kann das Quartier den bilanziellen Fußabdruck um 53 Prozent senken, wobei

  • 10 Prozent auf die gemeinschaftliche ungesteuerte PV-Nutzung entfallen
  • 3 Prozent auf den elektrischen Quartiersspeicher
  • 6 Prozent auf die Systemoptimierung
  • 34 Prozent auf eine vorrangige Nutzung der Wärmepumpe bei der thermischen Bedarfsdeckung

Reduktion der Netznutzung möglich

Neben diesen Vorteilen innerhalb des Quartiers können aber auch Vorteile für das vorgelagerte Netz entstehen. Allgemein sorgt eine zeitliche Übereinstimmung von Erzeugung und Energie vor Ort bereits für eine Reduktion der Netznutzung.

Dieser Effekt ist jedoch irrelevant, wenn das Netz dennoch bereitgehalten werden muss, um hohe Last- und Erzeugungsspitzen auszugleichen. Aufgrund der wetterbedingt hohen Gleichzeitigkeit von lokaler erneuerbarer Energiebereitstellung treten Erzeugungsspitzen im Quartier dann auf, wenn diese auch im umliegenden Netzgebiet auftreten.

Eine reine eigenverbrauchsoptimierte Betriebsführung kann mitunter zur Folge haben, dass Flexibilitätspotenziale bereits zur Mittagszeit komplett ausgenutzt wurden und eine auftretende Einspeisespitze vom Netz nicht aufgenommen werden kann, was zu einer Abregelung bzw. einer präventiven Drosselung der PV-Anlagen führen würde.

Eine Regelung, welche eine netzverträgliche Flexibilitätsnutzung vorsieht, konnte in unserer Studie die jährliche Einspeisespitze um 38 Prozent reduzieren, ohne dass dadurch die anderen Mehrwerte im Quartier gemindert wurden. Dabei wurden perfekte Verbrauchs- und Erzeugungsvorhersagen angenommen.

In der Realität bedeutet ein Vorhalten von Flexibilitätsressourcen zur Minderung von Einspeisespitzen je nach Systemzusammenstellung und Prognosegüte meist eine geringe Minderung der Eigenverbrauchsquote, grundsätzlich können Netzverträglichkeit und Quartiersinteressen jedoch gut zusammengebracht werden.

Organisation von Energiegemeinschaften sinnvoll

Eine Organisation in Energiegemeinschaften und eine koordinierte Flexibilitätsnutzung vor Ort stellt entsprechend eine sinnvolle Zwischenebene dar, zwischen der Optimierung einzelner Gebäude und dem Netz-, Speicher- und EE-Ausbau auf (inter)nationaler Ebene.

Herausforderungen, die durch die Umstellung des gesamten Energiesystems auf Erneuerbare resultieren, können bereits lokal adressiert und überwunden werden. Derzeit schafft der regulatorische Rahmen in Deutschland jedoch nur ungenügende Anreize, um eine gebäude- und sektorenübergreifende Optimierung der Energieversorgung zu verwirklichen. Hier bleibt ein enormes Potenzial ungenutzt.

Vor-Ort-Konzepte als Ergänzung

Generell sollte die Vor-Ort-Ebene als sinnvolle Ergänzung zu anderen Maßnahmen der Transformation des Energiesystems verstanden werden. Ein energieautarkes Quartier ist kein volkswirtschaftlich und gesamtenergiesystemdienlich sinnvolles Konstrukt. Es ist eine lohnende Herausforderung, den regulatorischen Rahmen so zu gestalten, dass Bürger*innen motiviert werden, Vor-Ort-Investitionen in EE-Anlagen zu tätigen, Heizsysteme zu erneuern und einen bewussteren Umgang mit der zur Verfügung stehenden Energie zu pflegen, ohne dass dabei geschlossene Gemeinschaften entstehen, die sich von restlichen Energiesystem abschotten und zu einer Entsolidarisierung beitragen.

Die Studie stellt für uns den Auftakt für weiterführende Analysen im Rahmen der CINES-Forschungsaktivitäten zum Thema „Vor-Ort-Versorgung“ dar. In der Studie handelt es sich um ein einzelnes Quartier, welches zwar einen repräsentativen Charakter aufweist, jedoch nicht als das ideale Vor-Ort-System zu verstehen ist. Die quantitativen Aussagen sind daher quartiersspezifisch, qualitativ gelten diese jedoch auch für andere Quartiere.

Letztendlich können verschiedene Vor-Ort-Systemkonfigurationen ausgestaltet werden und Mehrwerte bieten. Die technischen Voraussetzungen für Vor-Ort-Systemoptimierungen sind vorhanden, die Mehrwerte benannt und erste Pilotprojekte gestartet. Was noch fehlt, ist der konkrete Anreiz für eine Gemeinschaft, solch ein System umzusetzen.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Die Kommunen als Umsetzer der Energiewende – Förderprogramme und Leitfäden von Leona Freiberger, FfE München

Netzausbau: Ein Konflikt zwischen Bundesländern von Prof. Dr. Simon Fink, Universität Göttingen

Wenn nicht jetzt, wann dann – wie die Energiewende gelingen kann von Dr. Berit Erlach und Dr. Cyril Stephanos, ESYS



Kommentare

  1. / von Emilija Stefanov

    Der Link zur aktuellen Studie scheint nicht zu funktionieren

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