Ein Markt für Werterhalt ist wichtig, um Produkten einen längeren Lebenszyklus zu ermöglichen

Daniel BüchleAfB-Group

Julia ScheererBertelsmann Stiftung

AfB steht für „Arbeit für Menschen mit Behinderung“. Das Ettlinger Unternehmen ist vielfach national und international für seinen Ansatz der „social & green IT“ ausgezeichnet und bietet mehr als 500 Menschen mit und ohne Behinderung an Standorten in Deutschland, Frankreich, Schweiz, Österreich und der Slowakei Arbeit.

Die AfB Group kauft gebrauchte Laptops, PCs, Handys und Drucker von Unternehmen und Behörden und bereitet sie nach zertifizierter Datenvernichtung wieder auf. Dadurch wird die Nutzungsdauer der Geräte verlängert. 2020 hat das Unternehmen rund 470 000 IT-Geräte bearbeitet und davon knapp 70% „refurbished“. Julia Scheerer von der Bertelsmann Stiftung war im Gespräch mit Daniel Büchle, einem der Geschäftsführer der AfB Group. 

Wir „treffen uns heute via Microsoft-Teams“. Was würdet ihr an einem PC oder Laptop von 2006 upgraden, damit wir das Gespräch so führen können?

Da sprichst Du gleich den Kern eines großen Nachhaltigkeitsproblems im IT-Bereich an. Ein Endgerät besteht immer aus Hard- und Software. Auch, wenn die Hardware funktional bestimmt 15 Jahre einsatzfähig ist, genügt sie den Ansprüchen, die die Software an sie stellt, dann leider oft nicht mehr. Somit müssten Prozessor, Speicher, Grafikkarte etc. ausgetauscht werden, um ansatzweise die Ansprüche der Software zu erfüllen. Bei Endgeräten, die mit Freeware laufen ist das oft weniger problematisch.

In einem Interview mit der SZ hast Du neulich gesagt: „15 Jahre Lebensdauer wären möglich“. Was müsste sich verändern, damit 15 Jahre Lebensdauer Standard werden?

Ich sehe da zwei Möglichkeiten. Zum einen moderatere Ressourcenanforderungen der Software. Zum anderen – und das ist der Punkt, an dem wir auch ansetzen – verschiedene Ansprüche der Nutzer sollten in den Lebenszyklus eines Produkts mit einfließen. So könnte ein Rechner beispielsweise die ersten 5 Jahre seiner Nutzungszeit im Wirtschaftssektor eingesetzt werden, weil dort die Anforderungen besonders hoch sind. Weitere 5 Jahre könnte er im privaten Bereich genutzt werden.

Die meisten privaten Nutzer brauchen weniger als 50% dessen, was ihr Rechner wirklich kann.

In den letzten 5 Jahren könnte der Rechner sogenannte Basisarbeit leisten und für ganz einfache Tätigkeiten eingesetzt werden.

Klingt logisch und ziemlich simpel, warum läuft das noch nicht so?

Leider gibt es da an jeder Stelle Hürden. Und diese bauen sich schon bei der Anschaffung von IT-Geräten auf. Hier ist es wichtig auf gute Qualität zu achten. Geräte, die gesteckt oder geschraubt sind lassen sich einfacher refurbishen als Geräte, die geklebt oder gelötet sind. Weiterhin ist der sorgsame Umgang mit den Geräten, der schon von Anfang an darauf abzielt, dass die aktuelle Nutzungsstation nicht die letzte ist, wichtig.

Ein kleines Beispiel: Eine Gravur im Laptop lässt sich schwer entfernen und mindert oft den Wiederverkaufswert des Gerätes soweit, dass es nicht mehr wirtschaftlich ist das Gerät aufzubereiten und weiter zu vermarkten.

Auch könnte das Elektro- und Elektronikgerätegesetz “Refurbishment“ noch stärker fördern. Vieles ist hier Auslegungssache und zu oft auf Re-Cycling fokussiert. Wann hat ein IT-Gerät Abfalleigenschaften und wann ist es als Gebrauchtgerät einzuordnen? Viele mögliche Gebrauchtgeräte werden erst dadurch, dass sie wie Abfallgeräte behandelt werden auch zu solchen, obwohl sie gut und gerne noch einige Jahre Nutzungszeit gehabt hätten. Hier muss ein Umdenken auf der Ebene der Nutzer und ein Umlenken auf der Gesetzgeberebene stattfinden.

Denken wir mal an eine Utopie – damit die Ressourcenwende im IT-Sektor möglich wird – was müsste aus Deiner Sicht passieren?

Eine Pflicht zur IT-Begutachtung, die über Re-Cycling oder Re-Marketing entscheidet, wäre ein erster hilfreicher Schritt. Was sich bei Unternehmen schon besser durchsetzt, ist bei Privatpersonen noch wenig angekommen.

Eine ganz wichtige Schnittstelle können da lokale Wertstoffhöfe sein. Hier wird leider kaum Aufklärungsarbeit geleistet. Wenn der Wertstoffhof zum Prüfungshof für weitere Ressourcenverwendung wird, ist viel erreicht.

© Artem Beliaikin – unsplash.com

Du hast an der Circular Economy Roadmap für Deutschland mitgearbeitet – eine schöne Idee, Deutschland zu einem Kreislaufwirtschaftsland zu machen. Was sind aus Deiner Sicht die wichtigsten Schritte die jetzt unternommen werden müssen, damit aus der Roadmap ein gut genutzter Pilgerweg wird?

Die Roadmap war ein beindruckender Prozess. Wie viele große Unternehmen anfangen, sich über Kreislaufwirtschaft Gedanken zu machen, ist klasse. Der Business Case zeichnet sich ab. Das ist gut. Grundsätzlich müssen wir weg von einem „klassischen Produktverständnis“ als etwas, das man anschafft, besitzt, nutzt und wegwirft. Wichtiger ist es, ein Produkt als etwas zu verstehen, dass Nutzungsphasen hat und einen Lebenszyklus besitzt.

Wichtig dafür ist es, einen Markt des Werterhalts zu schaffen, weg von der Tendenz so schnell wie möglich den Markt mit soviel wie möglich zu fluten. Da ist die Ressourceneffizienz dann auch egal, wenn wahlweise ein Rebound-Effekt einsetzt oder ein Produkt weder refurbished noch recycled werden kann.

Damit das Realität wird, braucht es die Betroffenheit für freiwillige Schritte und gesetzliche Vorgaben, die den Markt für Werterhalt attraktiver machen. Der EU Green New Deal schlägt erste gute Schritte in diese Richtung vor. In Frankreich gibt es eine Gesetzesinitiative, die den Einsatz von Gebrauchtprodukten stärkt.

Auch ein realistischer C0²-Preis auf Neuprodukte würde Werterhalt und Erneuerung von Produkten attraktiver machen.

Würden Neugeräte teurer, weil das bei der Herstellung emittierte CO² eingepreist würde, wäre es im Fall eines Defektes deutlich günstiger zu reparieren, statt sofort neuanzuschaffen. 50-100€ Preissteigerung bei neuen IT-Geräten würde Refurbishment schon deutlich fördern.

Eine gute Initiative gibt es auch in Thüringen, hier werden Reparaturen mit einem Bonus von bis zu 50% subventioniert.

Aktuell liest man viel über desolate internationale Lieferketten und Rohstoffmangel, zum Beispiel im Bausektor. Inwiefern betreffen Euch diese Entwicklungen?

Im Positiven, wie im Negativen sind wir Teil dieser Entwicklung. Die in der Coronapandemie gestiegene Nachfrage nach IT-Geräten, verbunden mit Lieferschwierigkeiten der Hersteller von Neuware hat definitiv dazu geführt, dass sich mehr Menschen für refurbished IT-Geräte interessieren, auf der positiven Seite.

Auf der negativen Seite ist jedoch auch klar, dass ein Produktionsstau dazu führt, dass wir von Unternehmen und Behörden weniger Geräte bekommen, die wir refurbishen und weitervermarkten können. Außerdem sind viele Unternehmen jetzt eher sparsam und wo früher die IT-Hardware nach 2-3 Jahren getauscht wurde, überlegt man jetzt, die Geräte länger in Betrieb zu behalten, um Investitionen zu sparen.

In der Sache – Verlängerung des Produktnutzungszyklus könnte das natürlich hilfreich sein, nur für unsere eigene Lieferkette kann das natürlich zu einer nachgelagerten Verknappung führen. Lieferschwierigkeiten auf Ebene von Halbleitern hat es auch schon vor der Covid-Pandemie und dem Stau im Suez Kanal zum Beispiel durch künstliche Verknappung des Rohstoffabbaus gegeben. Bis auf diese Ebene ist es aber nicht möglich, wirtschaftlich zu refurbishen. Wir tauschen eher ganze Grafikkarten, Festplatten, Arbeitsspeicher etc. .

AfB ist ein Inklusionsunternehmen. Diesen wird öfter mal vorgeworfen, „Doppelverdiener zu sein“, weil sie auch von staatlicher Förderung profitieren. Wäre es sinnvoll, Subventionen für Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung abzuschaffen?

Für Inklusionsunternehmen gelten im Vergleich zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung mehr oder weniger dieselben Gesetze wie für alle Wirtschaftsunternehmen, z.B. auch das Mindestlohngesetz. Wir verhandeln Löhne mit allen Beschäftigten nah am ersten Arbeitsmarkt – und es kommt durchaus vor, dass Menschen mit Behinderung ein höheres Gehalt als Menschen ohne Behinderung erhalten.

Das, was bei Inklusionsunternehmen gefördert wird, wie zum Beispiel Arbeitsplatzausstattung, unterscheidet sich kaum von dem, was bei jedem anderen Unternehmen gefördert wird, wenn es Menschen mit Behinderung einstellt. Insofern entsteht keine Verzerrung.

In vielen größeren Städten oder wirtschaftsstarken Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit ist es für uns schon tatsächlich schwierig, Menschen mit Behinderung zu finden, die wir einstellen können. Hier ist die Förderung dann auch oft geringer.

Solange jedoch die rein wirtschaftliche Produktivität einer Arbeitskraft gerechnet wird, braucht es Subventionen, wenn Menschen dadurch Beschäftigung finden, die dieses Maß nicht vollumfänglich erreichen können. Erst, wenn das Produktivitätsmaß ganzheitlich gemessen würde oder die Kunden Inklusionsunternehmen stärker belohnen, ließen sich Subventionen aufheben.

Öffentliche Einrichtungen sind ein großer Kundenkreis – können diese Inklusionsunternehmen gezielt fördern?

Zum einen können öffentliche Einrichtungen viele Aufträge freihändig vergeben oder GWB konform (Anmerkung: GWB steht für Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung) vorbehaltlich der Beteiligung von Sozialunternehmen eine beschränkte Ausschreibung machen. Das Land NRW fördert die Vergabe von Aufträgen an Sozialunternehmen zum Beispiel dadurch, dass diese bis zu 15% teurer sein dürfen.

Transparenzhinweis: Die Bertelsmann Stiftung übergibt nicht mehr benötigte IT-Geräte an die AfB Group und Julia Scheerer ist Mitglied des Stakeholderboards der AfB.

 

 



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