Drei Herausforderungen für Politik und Wirtschaft nach der Corona-Krise

Dr. Torben StühmeierMonopolkommission

Die globalen Volkswirtschaften erleben gerade einen außergewöhnlich großen exogenen Schock. Ausgehend von den Produktionsausfällen in China kamen immer mehr Wertschöpfungsketten zum Erliegen. Wichtige Vorprodukte und Bauteile aus der weltweit wichtigsten Exportnation fehlen. Letztlich mussten auch viele Produktionsanlagen in Europa und Deutschland schließen. Es ist heute noch nicht absehbar, welche Folgen die Corona-Pandemie für die deutsche Wirtschaft haben wird. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gehen in ihrem Frühjahrsgutachten von einem Minus von 4,2 Prozent für 2020 aus, im zweiten Quartal des Jahres gar von bis zu minus 10 Prozent.

Neben den konjunkturellen Auswirkungen stehen vor allem mögliche strukturelle Folgen für das Wirtschaftssystem im Fokus. Die Bundesregierung hat im März 2020 nach sechs Jahren ohne Neuverschuldung einen Nachtragshaushalt mit einer Neuverschuldung von 156 Milliarden Euro verabschiedet und die Schuldenbremse ausgesetzt. Mit unterschiedlichen Hilfspaketen soll die Liquidität von kleinen und mittleren Unternehmen und Solo-Selbstständigen gesichert werden. Die Finanzierung von Großunternehmen soll mit Stabilisierungsfonds und notfalls durch Staatsbeteiligungen abgesichert werden.

Das Ziel aller Maßnahmen ist die Stabilisierung des vor der Krise existierenden Wirtschaftssystems. Diese Maßnahmen sind derzeit unabdingbar, da die Krise exogen und unverschuldet über die Unternehmen hereinbrach. Andernfalls drohen kurzfristig Insolvenzen und der Verlust von unzähligen Arbeitsplätzen. Vor diesem Hintergrund soll ein zusätzlicher Wirtschaftsstabilisierungsfonds beschlossen werden, der zunächst bis 2021 befristet ist, um den Status quo abzusichern.

Doch nicht erst seit der Corona-Pandemie steht die deutsche Volkswirtschaft vor strukturellen Herausforderungen. Diese sind nicht weniger geworden, stehen derzeit medial aber hinter der täglichen Corona-Berichterstattung zurück. Insofern sollte bei jeder – kurzfristig notwendigen – Sicherungsmaßnahme kritisch geprüft werden, welche Strukturen auch mittel- und langfristig verteidigt werden sollen. Nach der Krise wird die Gelegenheit sein, aus der Not eine Tugend zu machen und die ohnehin anstehenden Herausforderungen anzugehen. In diesem kurzen Beitrag erläutere ich, wie die Krise drei bedeutende Herausforderungen beeinflussen könnte.

Digitalisierung

Das Coronavirus und die Sicherheitsmaßnahmen zwangen viele Unternehmen und Organisationen, ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Besprechungen finden nun nicht mehr in analogen Räumen, sondern im Digitalen statt. An Hochschulen ist eine Präsenzlehre im Sommersemester kaum möglich. Auch hier muss sehr kurzfristig auf digitale Lehrformate umgestellt werden. Grundsätzlich waren diese Möglichkeiten des digitalen Arbeitens und Lernens auch vor der Krise vorhanden, doch viele Organisationen haben an ihren lang bewährten Strukturen und Prozessen festgehalten. Der Zwang eröffnet nun auch Möglichkeiten, diese neuen Arbeits- und Lernformen kennenzulernen und mit bewährten Mustern zu brechen. Die digitalen Formate können den Zugang zu Bildungs- und Weiterbildungsformaten erleichtern. Und gerade hier, bei den Investitionen in die Aus- und Weiterbildung liegt Deutschland abgeschlagen auf dem letzten Platz, etwa 20 Prozent unter dem Durchschnitt der Gruppe der führenden Industrienationen, wie unsere Studie letztes Jahr zeigte.

Auch der Digitalisierung der Produktionsprozesse kann die Krise einen Schub verleihen. Bei vielen Produzenten fehlten wichtige Bauteile, da die Produktion in China wochenlang fast vollständig zum Erliegen kam. Neben der Diversifizierung von Beschaffungsquellen besteht eine weitere Möglichkeit die Abhängigkeit von den internationalen Lieferketten zu reduzieren darin, die Fertigungstiefe zu erhöhen und bestimmte Bauteile z.B. per 3D-Druck selbst herzustellen. Und hier hat Deutschland durchaus große Chancen. Zusammen mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus den USA ist die hiesige Industrie im Bau und der Entwicklung von 3D-Druckern weltweit führend.

Bei der Anwendung in der Industrie werden die deutschen Unternehmen aber derzeit von den Wettbewerbern überholt. Gerade in China wird die 3D-Fertigung als eine der klaren Prioritäten in der wirtschaftspolitischen Strategie festgelegt. „In Deutschland wird noch viel getestet – in die Anwendung für Endprodukte sind die hiesigen Unternehmen noch nicht so stark eingestiegen wie beispielsweise die asiatischen. Das liegt teilweise auch an einer generellen Skepsis und Zurückhaltung in Deutschland, was neue Technologien angeht,“ so eine Studie des Beratungsunternehmens EY aus dem letzten Jahr. Die Krise bietet nun die Gelegenheit, diese Zurückhaltung aufzugeben und verstärkt in digitale Prozesse zu investieren.

Modernisierung der Wirtschaft

Nach Angaben des KfW-Gründungsmonitors 2019 geht die Gründungstätigkeit seit Jahren zurück. Dabei sind Gründer wichtig für die Modernisierung der Wirtschaft. Sie bringen häufig neue Ideen und Technologien in die Märkte und modernisieren so die Wirtschaftsstruktur. Warum, erklärt Hanna Hottenrott auf unserem Blog. „Der Innovationsgrad ist […] gerade bei neuen Unternehmen hoch, da diese weniger in Pfadabhängigkeiten gebunden sind als etablierte Unternehmen,“ so Hottenrott. Das bestätigt auch unsere Studie aus dem letzten Jahr. Unter den Technologieführern und den disruptiven Innovatoren unter den deutschen Unternehmen befinden sich überdurchschnittlich viele Start-ups.

In der jetzigen Krise sind jedoch gerade Start-ups besonders gefährdet, da sie kaum über Rücklagen verfügen. Mit einem zwei Milliarden Euro-Hilfspaket versucht die Bundesregierung diese über die Krise zu retten. Mittelfristig muss die Politik jedoch über robustere Finanzierungsformen für Start-ups nachdenken, um auch für zukünftige Krisen gewappnet zu sein. Ansonsten ist der Innovationsstandort Deutschland akut gefährdet.

Dabei sind die Finanzierungsbedingungen in Deutschland zu verbessern.  Kreditfinanzierung durch Banken ist häufig aufgrund des Risikoprofils neuer und innovativer Unternehmen nur begrenzt möglich. Die Beteiligung durch Wagniskapitalgeber hat in den letzten Jahren zwar zugenommen, der Anteil der Gründungen mit Eigenkapitalfinanzierung ist jedoch mit etwa fünf Prozent immer noch gering. Ein Baustein kann eine staatliche Gründungsfinanzierung sein, die quasi als Gütesiegel und als Multiplikator für private Finanzierungsquellen dienen kann, so Hottenrott.

Selbst die milliardenschweren Hilfspakete der Bundesregierung werden nicht alle Unternehmen retten können. So hart das jedes Unternehmen und die Mitarbeiter treffen wird, bietet der Wandel auch Möglichkeiten, die frei gewordenen Ressourcen neu zu verteilen. Es ist sicher zu früh zu beurteilen, wie die derzeitige Krise die Unternehmenslandschaft verändern wird. Die Krise kann jedoch eine Chance für Gründer sein, wie Erfahrungen aus der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise vor über zehn Jahren zeigen. „The financial crisis was a great time for start-ups“, so Vikas Shah, Professor für Entrepreneurship am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Zwar sei es für Gründer schwerer geworden, an Finanzierungen zu kommen. Auf der anderen Seite jedoch, haben sich viele kluge Köpfe entschieden zu Gründen oder zu einem Start-up zu wechseln, da Stellen in der etablierten Wirtschaft weggebrochen sind. Und dieser Zusammenhang zeigt sich auch in Deutschland. Nach Angaben des KfW-Gründungsmonitors 2019 hat der Arbeitsmarkt seit Jahren einen stark negativen Einfluss auf die Gründungstätigkeit in Deutschland. Potenziellen Gründern boten sich in den letzten Jahren eine Fülle anderer attraktiver Beschäftigungsmöglichkeiten. Der negative Trend der Gründungstätigkeit könnte nun umgekehrt werden, was eine Chance für die Modernisierung der Wirtschaft sein kann.

Nachhaltigkeit

Die Corona-Krise bietet Gelegenheit das Wirtschaftssystem grundsätzlich nachhaltiger zu gestalten. Neue Arbeitsformen des Homeoffice, Videokonferenzen und die Verkürzung von Lieferketten tragen unmittelbar zu einer größeren Nachhaltigkeit des Wirtschaftens bei. All diese bedeuten kürzere Reise- und Transportwege und somit eine Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Allerdings ist die Produktion der Vorprodukte in Europa aufgrund der höheren Lohnkosten in aller Regel teurer als im asiatischen Raum. Daher ist zu erwarten, dass die Unternehmen mit einigem zeitlichen Abstand zur Krise doch wieder auf die günstigeren Bauteile aus Fernost zurückgreifen, allein um gegenüber ihren eigenen Konkurrenten wettbewerbsfähig zu bleiben. Damit die teureren Vorprodukte mit kürzeren Transportwegen selbst wettbewerbsfähig sind, müssen die Transportkosten adäquat die ausgelösten Emissionen widerspiegeln. Ideal wäre eine globale Lösung. Die scheint aber derzeit in weiter Ferne. Daher liegt ein gangbarer Weg in der Ausweitung des Europäischen Emissionshandel (EU ETS) auf das Transportgewerbe. Erst dann werden sich kürzere und CO2-ärmere Transportketten nachhaltig etablieren können.

Auch neue digitale Technologien wie der angesprochene 3D-Druck können in mehrfacher Hinsicht die Nachhaltigkeit erhöhen. Zum einen lassen sich auch hier große Teile der Transportwege sparen, wenn Bauteile nicht um die Welt transportiert, sondern vor Ort produziert werden. Als sogenanntes additives Produktionsverfahren, setzt der 3D-Druck Materialien schichtweise zusammenfügt. Es wird also nur der Materialinput eingesetzt, der am Ende auch in das hergestellte Produkt einfließt, so dass sich auch zum anderen auch der Ressourceneinsatz erheblich reduzieren lässt, wie Thieß Petersen argumentiert.

Und letztlich kann auch eine höhere Gründungstätigkeit eine Chance für mehr Nachhaltigkeit sein. Nach dem jüngsten Deutschen Start-up Monitor gewinnt das Thema Nachhaltigkeit bei Start-ups an Bedeutung. Über ein Drittel der Start-ups ordnet sich im vergangenen Jahr der Green Economy zu, etwa vier Prozent mehr als im Vorjahr. Start-ups leisten häufig  Pionierarbeit, wenn es darum geht, Umweltinnovationen am Markt einzuführen, so Fichter und Olteanu.

Fazit

Grundsätzlich kann die Krise also auch eine Chance sein, die Wirtschaft moderner und nachhaltiger aufzustellen. Die Liquiditätshilfen sind der richtige Weg, Unternehmen über die Krise zu helfen. Mittelfristig muss der Umbau der Wirtschaft über weitere Instrumente, wie einer robusten Gründungsfinanzierung und einer adäquaten Bepreisung von Treibhausgasemissionen erfolgen.



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