Digitalisierung und betriebliches Gesundheitsmanagement – eine notwendige und starke Kombination

Prof. Dr. Anabel Ternès von HattburgInstitut für Nachhaltigkeitsmanagement SRH Berlin

Die fortschreitende Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt nachhaltig und hat in drei Bereichen starke Auswirkungen: Erstens steigt der Druck auf die Mitarbeiter, zweitens vermischen sich Arbeit und Privatleben immer stärker, drittens führt die ständige Erreichbarkeit bei vielen Arbeitnehmern zu Stress.

Es ist die Aufgabe eines modernen betrieblichen Gesundheitsmanagements, kurz BGM, diese drei Bereiche zu behandeln, um negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeiter zu vermeiden.

Gleichzeitig ist die Digitalisierung eine große Chance, da die Unterstützung des BGM mit digitalen Tools bedeutende Vorteile hat. Digitalisierung und BGM sind eine notwendige und starke Kombination.

BGM im Kontext der Digitalisierung wichtiger denn je

Ständig neue Technologie, Tools und Veränderungen der Geschäftsprozesse führen zu einem starken Druck auf die Mitarbeiter, da sie sich stets neue Fähigkeiten aneignen müssen. Die immer kürzeren Technologiezyklen führen zu einer noch stärkeren Änderungsdynamik.

Die große Gefahr für Arbeitnehmer, die diesen Änderungen nicht offen gegenüberstehen und mitlernen, ist, überfordert zu werden. Insbesondere ältere Arbeitnehmer haben damit zu kämpfen.

Die ständige Erreichbarkeit führt bei vielen Mitarbeitern ebenso zu erhöhtem Druck. Mobiltelefonie, Internet und Chat-Apps haben Erreichbarkeit rund um die Uhr und an jedem Ort zur Folge.

Häufig sind die Regeln nicht ausreichend präzise definiert, ob und wie ein Mitarbeiter erreichbar sein muss was wiederum den Druck erhöhen kann, wenn der Mitarbeiter im Zweifelsfall der Meinung ist, erreichbar sein zu müssen. Die Auswirkungen auf die Work-Life-Balance sind nachhaltig negativ.

Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben schwinden zunehmend. Viele Arbeitnehmer leisten einen Teil ihrer Arbeit im Homeoffice. Da der Arbeitsweg entfällt, ist die Abgrenzung von Arbeit und Privatleben ein häufiges Problem. Die Technik macht es zudem möglich, berufliche E-Mails oder Benachrichtigungen noch schnell in der Freizeit zu beantworten.

Regelmäßig Pausen zu machen ist wichtig, insbesondere wenn viel Arbeit zu erledigen ist und Arbeitnehmer im Homeoffice tätig sind. Verzichten Mitarbeiter auf regelmäßige Pausen, so tritt im Lauf der Zeit Ermüdung ein, die Stimmung und das Wohlbefinden verschlechtern sich, die Produktivität sinkt merkbar. Im Extremfall besteht die Gefahr eines Erschöpfungssyndroms.

BGM fördert Ausgleich und Balance

Wird im Unternehmen Digitalisierung vorangetrieben, so stellt dies für die Mitarbeiter eine große Herausforderung dar, da es zu einer Transformation und mitunter Disruption bestehender Prozesse kommt. Viele Abläufe, Regeln und Strukturen aus der Ära vor der Digitalisierung werden infrage gestellt und gegebenenfalls aufgebrochen.

Technologien und Werkzeuge für die Handhabung der tagtäglich zu verrichtenden Arbeit werden ausgetauscht, die Komplexität erhöht sich zum Teil beträchtlich, Unsicherheiten können in Bereichen wie der Kommunikation, der Ablauforganisation etc. auftreten.

Ein gutes BGM setzt gezielte Maßnahmen, um die Überforderung der Mitarbeiter in einem oder mehreren der folgenden Bereiche zu vermeiden:

  • Neue Technologie und Tools: Regelmäßige Schulungen bzw. Webinare für die Mitarbeiter sind unverzichtbar, damit sie sich neue Technologien und Tools rasch aneignen bzw. das Know-how auffrischen. Hochwertige Schulungen schaffen Akzeptanz und bilden eine wichtige Feedback-Schleife
  • Geschwindigkeit und Änderungsdynamik: Die Strategie und zeitliche Abfolge zur Einführung neuer Tools bzw. Prozesse sollte mit Bedacht gewählt werden. Mehrere große Änderungen zur gleichen Zeit können Frustration und Widerstand unter den Mitarbeitern auslösen und die Produktivität der Mitarbeiter stark negativ beeinflussen
  • Anforderungen an die Flexibilität der Mitarbeiter: Klare und klar kommunizierte Regeln hinsichtlich der erwarteten Verfügbarkeit der Mitarbeiter, der zulässigen Kommunikationsmittel und eine saubere Abgrenzung von Arbeit und Freizeit sind hier unerlässlich
  • Fehlerphilosophie: Der Umgang mit Fehlern im Unternehmen sollte transparent und positiv gestaltet werden. Im besten Fall leben Führungskräfte die vermittelte Fehlerphilosophie vor
  • Wettbewerb zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitern: Jüngere Kollegen haben teils weniger fachliches Know-how, sind aber gewandt und ungezwungen im Umgang mit IT-Tools. Nicht selten überschätzen sich jüngere Mitarbeiter oder nehmen die aus Überarbeitung resultierende Erschöpfung nicht wahr. Wichtige Aufgabe des BGM ist die Vermittlung des Prinzips der Salutogenese, also wie Gesundheit entsteht und erhalten werden kann. Offenen Auges mögliche Warnsignale bei Überarbeitung zu erkennen, ist ein wichtiger Aspekt. Resilienz ist ein Prinzip, das vom BGM vermittelt und unterstützt werden sollte. Speziell für ältere Arbeitnehmer kann es notwendig sein, Resilienz, also auf Probleme und Veränderungen mit Anpassung des Verhaltens zu reagieren, zu erlernen
© Lindsay Henwood – unsplash.com

Digitales BGM: die Vorteile

Ein digitales BGM nutzt digitale Methoden und Instrumente, um die definierten Ziele zu erreichen. Folgende Typen von BGM-Tools stehen zur Verfügung:

  • Gesundheitsapps: Im privaten Bereich finden Aktivitätsapps, Lauf-Apps und Apps zum Abnehmen breite Verwendung, sind aber für die Nutzung im Arbeitsumfeld weniger geeignet. Mittlerweile gibt es jedoch eine Vielzahl von Anbietern, um Teams, Abteilungen oder ganze Standorte des Unternehmens in einen freundschaftlichen Aktivitätswettbewerb treten zu lassen
  • Wearables: Fitnesstracker und Smartwatches können auch für das Gesundheitsmanagement genutzt werden. Meist zeichnen die Geräte wichtige Vitaldaten und die Schritt-Anzahl auf
  • Gesundheitsplattform: Als Internet-Portal bzw. Website sind Gesundheitsplattformen in der Regel über das Internet erreichbar. Wichtige Dokumente und Informationen für das BGM können hier gesammelt werden
  • Online Coaching Plattformen: Online angebotene Beratung hat den Vorteil großer Flexibilität für alle Beteiligten. Über eine Videokonferenz können Mitarbeiter zum Beispiel auch im Homeoffice oder nach langer Krankheit in Form eines Wiedereingliederungsgespräches betreut werden. Gesundheitstrainings, wie beispielsweise ein Video zu Nacken- und Schulterkräftigung, können interaktiv oder als aufgezeichnetes Video für die Mitarbeiter angeboten werden
  • BGM-Komplettsysteme: Ziel ist die ganzheitlich digitale Abbildung des BGM. Von Gesundheitsförderung über Arbeitsschutz bis zur betrieblichen Wiedereingliederung

Digitale BGM-Tools haben wichtige Vorteile und bieten große Chancen, um BGM aufleben zu lassen. Einige Herausforderungen und Risiken sollten jedoch berücksichtigt werden:

  • Das digitale Angebot ist meist zeit- und ortsunabhängig. Jedoch muss bei personenbezogenen Daten der Mitarbeiter großer Wert auf den Datenschutz gelegt werden
  • Die zentrale Steuerbarkeit des digitalen Angebotes hat unzweifelhaft große Vorteile. So wie für andere digitale Dienste müssen auch für die BGM-Tools Regeln für eine klare Abgrenzung von Arbeit und Privatleben sichergestellt werden
  • BGM-Tools haben das Potenzial der Individualisierbarkeit, um spezifisch auf die Bedürfnisse des Einzelnen eingehen zu können. Für eine effektive Nutzung ist wie bei anderen digitalen Services auch digitale Kompetenz erforderlich. Leistungsdruck kann bei Mitarbeitern entstehen, die keine hohe IT-Affinität haben

Kennzahlen für die Erfolgsmessung

Das BGM ist in Zeiten der Digitalisierung stärker denn je gefordert, um gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen sicherzustellen, die den Mitarbeitern und dem Unternehmen zugutekommen.

Für ein erfolgreiches BGM müssen gesetzte Maßnahmen auch auf ihre Wirkung hin untersucht werden. Mögliche Kennzahlen für die Erfolgsmessung können der Prozentanteil teilnehmender Mitarbeiter an BGM-Maßnahmen, der Prozentanteil von Mitarbeitern, die eine BGM-Maßnahme umsetzen oder die durch eine Befragung gemessene Mitarbeiterzufriedenheit sein.



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