Die Grenzen sind zurück
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist in vielfacher Hinsicht schockierend und stellt eine Zeitenwende dar. Nach der Corona-Pandemie zeigt sich erneut, wie vulnerabel wir sind. Das gilt gegenüber kriegerischen Angriffen, die wir nach dem Zerfall der Sowjetunion für unmöglich hielten. Aber ebenso deutlich zeigt sich unsere Verletzlichkeit bei der Abhängigkeit von Rohstoffen.
Deutschland versucht gerade mit Hochdruck von russischen Erdöl- und Erdgaslieferungen loszukommen, einerseits um den russischen Krieg nicht weiter zu finanzieren, andererseits um gegenüber einem russischen Exportstopp gewappnet zu sein.
In den vergangenen 25 Jahren war Russland Deutschlands wichtigster Lieferant für Erdöl.
- Der Anteil des russischen Öls an den gesamten deutschen Erdölimporten stieg seit den 1990er Jahren von einem Viertel auf gegenwärtig mehr als ein Drittel.
- Beim Erdgas stammen sogar etwa 55 Prozent der deutschen Importe aus Russland.
- Im Jahr 2021 wurden 32 Prozent des deutschen Primärenergieverbrauchs durch Mineralöl gedeckt und 27 Prozent aus Gasen (gegenüber 15% im Jahr 1990).
- Insgesamt sank der Primärenergieverbrauch seit 1990 zwar um ca. 18,2 Prozent, aber die Menge an Energie aus Gas stieg um 41,4%.
Für die deutsche Energiewende wurde die Energieerzeugung aus Erdgas als Brückentechnologie angesehen, auch im Hinblick auf die geplante Wasserstoffwirtschaft. Die Bundesregierung versucht zu voraussichtlich hohen Kosten, russisches Erdgas schnellstmöglich durch Flüssiggas aus den USA oder den Golfstaaten zu ersetzen, weil kurzfristig nicht auf Gas verzichtet werden kann, ohne große Teile der Industrie lahmzulegen.
Erdöl und Erdgas sind nicht nur Energieträger, sondern auch wichtige Grundstoffe in der chemischen Industrie, für die es derzeit häufig keine Alternativen gibt.
Abhängigkeiten auch bei vielen anderen Rohstoffen
Eine starke Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft besteht aber nicht nur bei Erdöl und Erdgas, sondern auch bei vielen anderen sogenannten kritischen Rohstoffen. Seit 2011 führt die EU eine Liste kritischer Rohstoffe, die alle drei Jahre aktualisiert wird.
Die Liste von 2020 enthält 30 Materialien gegenüber 14 im Jahr 2011. Russland gehört zu den weltweit wichtigsten Erzeugern von Antimon, Germanium, Hafnium, Scandium, Titan und Vanadium.
Von Palladium, einem Metall der Platingruppe, kommen sogar 40 Prozent der weltweiten Produktion aus Russland. Palladium ist wichtig für Katalysatoren in Chemie und Automobilindustrie, für Brennstoffzellen und in elektronischen Anwendungen.
Bei vielen kritischen Rohstoffen ist die Abhängigkeit der EU von China noch viel größer als von Russland. China gehört bei 25 der 30 kritischen Rohstoffe der EU-Liste zu den drei größten Produzenten und ist bei einigen mit Abstand der wichtigste Lieferant. Die EU bezieht aus China über
- 98 Prozent der seltenen Erden
- 93 Prozent des Magnesiums
- 93 Prozent des Wismuts
- 47 Prozent des natürlichen Graphits
Selbst bei Kupfer, das zwar nicht als kritischer Rohstoff gilt, aber dennoch von großer Bedeutung ist, kommen 39 Prozent der globalen Produktion aus China. Auf Grund der politischen Nähe zwischen Russland und China und der strategischen Rohstoffpolitik Chinas sind diese Abhängigkeiten mindestens so beunruhigend wie die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas.
Viele der genannten Materialien sind essentiell für die Chemische Industrie, die Automobilindustrie, die elektrotechnische Industrie und schließlich auch für die Erzeugung erneuerbarer Energie.
Parallelen zum Bericht des Club of Rome
Ironischerweise gerät das Thema der Ressourcenabhängigkeit zum 50-jährigen Jubiläum des Berichts „Die Grenzen des Wachstums“ an den Club of Rome wieder ins Blickfeld. Im Zentrum des vielfach geschmähten Berichts stand das Problem des Wirtschaftswachstum in einer Welt mit endlichen Ressourcen.
Der Bericht präsentierte verschiedene Szenarien, die mit dem System-Dynamik-Modell World3 simuliert wurden. Im sogenannten Standardlauf kommt es im 21. Jahrhundert nicht nur zu einem Wachstumsstopp, sondern als Folge von Ressourcenmangel zu einem dramatischen Rückgang von Industrie- und Nahrungsmittelproduktion und der Bevölkerung.
Das Modell wurde von vielen Ökonomen als irrelevant abgetan, weil es den technischen Fortschritt und die Rolle von Marktanpassungen durch Knappheitspreise nicht berücksichtigt. Diese Einschätzung könnte sich als vorschnell und überheblich erweisen.
Neben Erdöl und Erdgas benannte der Bericht bereits 1972 Bauxit, Kobalt, die Metalle der Platingruppe und Wolfram, die heute als kritische Rohstoffe zählen, als begrenzt verfügbare Ressourcen. Hinzu kommen Allerweltsmetalle wie Kupfer, Silber, Gold, Nickel, Chrom, Zink, Zink und Eisen, deren Vorkommen endlich ist.
Die Kritiker des Berichts argumentierten, dass Marktkräfte bei zunehmender Knappheit einerseits zu immer neuer Erschließung zuvor ungenutzter Vorkommen, andererseits zur Substitution dieser Rohstoffe durch andere führen würden, so dass auf absehbare Zeit nicht mit Wachstumsgrenzen zu rechnen sei. Die Substitution hat jedoch oft nicht stattgefunden und ist in vielen Fällen zumindest momentan kaum vorstellbar, was gerade eine Eigenschaft kritischer Rohstoffe ist.
Bezüglich der Erhöhung des Angebots machten die Kritiker mehrere Denkfehler.
Eine Liste von Denkfehlern
Erstens zeigt der russische Krieg, dass es nicht nur um physische, sondern auch um politische Verfügbarkeit geht. Ökonomen glaubten gern an die Idee des politischen Wandels durch Handel. Im Falle Russlands und Chinas sind daran derzeit Zweifel angebracht.
Zweitens erfordert die Erschließung neuer Rohstoffvorkommen einen immer höheren Kapital- und Energieeinsatz. So sank der Energy Return on Investment (EROI) für die Förderung von Erdöl und Ergas in den USA von 25:1 in den 1970ern auf ca. 10:1 im Jahr 2007. Der EROI setzt den Energieertrag ins Verhältnis zum Energieeinsatz in der Produktion. Schieferöl hat z.T. nur einen EROI von 1,5:1, so dass kaum mehr Energie erschlossen wird als für die Produktion eingesetzt werden muss.
Der vielleicht wichtigste Fehler ist, dass auch die Umweltbelastungen durch den Abbau von endlichen Ressourcen zunehmen. Beispiele dafür gibt es en masse: die Zerstörung von tropischem Regenwald durch den Abbau von Kobalt im Kongo oder von Bauxit und Eisen in Brasilien oder die Umweltschäden durch die Ölsandfelder in Kanada. Durch den Bergbau werden Ökosysteme zerstört, Boden degradiert und Wasser vergiftet. Damit werden auch für unser Überleben zwingend notwendige Bioressourcen vernichtet und das, obwohl bereits einige Planetare Grenzen überschritten sind und der ökologische Fußabdruck das 1,7-Fache der global verfügbaren Landfläche beansprucht.
Die Schlussfolgerung müsste also sein, den Verbrauch von Ressourcen massiv zu verringern.
Wie kann man den Verbrauch von Ressourcen verringern?
Dazu wären große Anstrengungen zur Verbesserung der Ressourceneffizienz und der Wiedergewinnung erforderlich. Außerdem müssten Anreize gesetzt werden, dass nicht nur die Ressourceneffizienz erhöht wird, sondern auch der absolute Ressourcenverbrauch sinkt. Leider deutet wenig darauf hin, dass dies bald geschieht.
So stieg zum Beispiel das durchschnittliche Leergewicht von Neuwagen in Deutschland von 2011 bis 2020 um 11,5% auf 1.613 kg. Das Durchschnittsgewicht aktueller Elektrowagen liegt sogar bei 1.940 kg.
Auch die Projektionen für den zukünftigen Strombedarf oder die Mengen an zu importierenden Wasserstoff im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie weisen eher auf weitere Expansion als in die Richtung der Ressourceneinsparung.
Vor diesem Hintergrund befürchte ich, dass das 50-jährige Jubliäum der „Grenzen des Wachstums“ leider nicht nur von historischem Interesse sein wird, sondern erhebliche negative Konsequenzen durch das Überschreiten der Grenzen eintreten werden.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Mögliche wirtschaftliche Auswirkungen des Ukrainekriegs auf Deutschland von Dr. Thieß Petersen, Bertelsmann Stiftung
Ehrlicher Umgang mit Konflikten und Zeitkonstanten – die Herausforderungen für die Energieversorgung von Morgen von Prof. Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal Institut
Ressourceneffiziente Ökonomie und die richtigen Instrumente von Prof. Dr. Friedrich Thießen, TU Chemnitz
Kommentar verfassen