Covid-19 als Auftrag für sozial-ökologischen Welthandel 

Das Coronavirus wird unser Leben noch lange Zeit begleiten und tiefe Spuren hinterlassen, da ist sich ein Großteil der Expertinnen und Experten einig. Nachdem die erste Phase der Pandemie vorbei ist, ringen Politikerinnen und Politiker nun um die besten Konzepte für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft in Deutschland. Um diese Diskussion abzubilden, lassen wir auf unserem Blog in den kommenden Wochen Vertreterinnen und Vertreter aller demokratischen Parteien im Bundestag zu Wort kommen. Den Anfang macht in dieser Woche die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Nina Scheer.

Deutschland blickt im internationalen Vergleich bislang auf eine verhältnismäßig niedrige Sterblichkeitsrate und ebenfalls verhältnismäßig geringe Arbeitslosigkeit. Ausreichend Krankenhauskapazitäten aber auch Maßnahmen wie Kurzarbeit trugen hierzu bei. Zugleich sollte nicht unterschätzt werden, dass die Menschen hierzulande die Bilder aus kollabierenden Krankenhäusern in Norditalien wahrnahmen und somit auf einer anderen Alarmstufe Kontaktbeschränkungen aufnahmen. Hierfür spricht etwa, dass in Deutschland während der letzten Wochen auch anderweitig begründetes Aufsuchen von Ärzten deutlich zurückging.

Offenbar haben die Bilder von überfüllten Krankenhäusern aus Spanien und Italien sowie dortige Zahlen über infiziertes Krankenhaus-Personal abschreckende Wirkung, die für den Erfolg im Rückgang der deutschlandweiten Neuinfektionen nicht unterschätzt werden sollte. Letzteres darf nun aber nicht zu dem Trugschluss führen, die Virusgefahr zu relativieren oder sie als Panikmache abzutun. Denn schließlich wären wohl auch hier die Zustände schwer beherrschbar geworden, wenn Maßnahmen zu spät oder weniger eingreifend ausgefallen wären. Dies zeigen die Zustände aus den USA, aber auch Schweden, wo die Sterblichkeitsraten deutlich höher ausfallen. Wer heute auf die Straße geht und gegen Kontaktbeschränkungen protestiert kann dies vielleicht nur deswegen, weil er dank der Beschränkungen vor einer Erkrankung bislang verschont blieb.

„Es muss um eine Neusortierung gesellschaftlicher Begegnung gehen“

Für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft und ihre Disziplin im Umgang mit Covid-19 wird es verstärkt auf das öffentliche Bewusstsein drohender Konsequenzen ankommen. Je harmloser das Virus medial gezeichnet wird, desto eher droht die sogenannte zweite Welle, die offenkundig eine dann gesamtgesellschaftlich noch viel verheerendere Auswirkung nach sich ziehen wird. Es muss also um eine Neusortierung von gesellschaftlicher Begegnung nach Maßgabe von Abstand und mit Atemschutz gehen.

Unverantwortlich ist dabei etwa der von Beginn an von Seiten der FDP vertretene Kurs, dem sich verstärkt etwa auch der nordrhein-westfälische CDU-Ministerpräsident Armin Laschet anschloss, unter Verweis auf fehlende Akzeptanz in der Bevölkerungen Lockerungen vornehmen zu müssen. Es ist nicht die Breite der Bevölkerung, der die Einsicht fehlt – dies zeigen die Umfragen. Menschen förmlich einzureden, ihre Akzeptanz fehle, ist ein Spiel mit dem Feuer. Wenn Regierungsvertreter die Akzeptanzfähigkeit ihrer eigens herbeigeführten – sachlich begründeten – Maßnahmen in Fragen stellen, führt dies zur Verunsicherung, die wiederum die gesamte Krisen-Bewältigung gefährden kann. So mag es kaum verwundern, wenn nun an Pegida erinnernde Demonstrationen von rechts außen und Verschwörungstheoretikern nicht lange auf sich warten ließen. Genau genommen ist dies auch nicht im Interesse der Wirtschaft; schließlich wird eine zweite Infektionswelle in Kauf genommen, die anzunehmenderweise weitaus schwerer zu kontrollieren sein wird, als die erste.

Die Krisenfestigkeit Deutschlands als Beweisführung gegen Neoliberalismus und Privatisierung

Der fälschliche Verweis auf fehlende Akzeptanz ist zudem ein Armutszeugnis für das Verständnis einer freiheitlichen Gesellschaft, wenn die individuelle, zumal kurzfristige Bewegungsfreiheit verwechselt wird mit Freiheit durch Solidarität und durch gegenseitige Verantwortung. Die Freiheit des Einzelnen hat im Lichte unseres Grundgesetzes dort ihre Schranke, wo sie die Freiheit des anderen zu beeinträchtigen droht.

Lernen konnten wir aus der Pandemie, dass sich ein in Finanzkraft und Sicherheiten starker Staat bewährt. Gegenbeispiel: Mit Eigenverantwortung nach dem Modell USA in Form fehlender oder unzureichender Krankenversicherungen und Arbeitnehmerrechte ist nun Massenarbeitslosigkeit gegeben. Rufe nach staatlichen Einnahme-Minderungen, sprich Steuersenkungen, sind insofern genau das Gegenteil der Erkenntnisse über verantwortungsvolles staatliches Handeln, wie wir sie aus den letzten Wochen ziehen konnten: Die relative Krisenfestigkeit Deutschlands ist eine klare Beweisführung gegen Neoliberalismus und Privatisierung. Ein ökonomisch und rechtsstaatlich starker Staat ist unverzichtbar. Mit Neoliberalismus wären all die erfolgreichen Maßnahmen der letzten Wochen nicht erreichbar gewesen.

Neoliberale Marktgläubigkeit kann unmittelbare und in Krisen kaum zu korrigierende Handlungsunfähigkeiten bewirken – mit Bedrohung für Leib und Leben. Auch dies ist eine Erkenntnis aus den letzten Wochen, und zwar am Beispiel der bis heute anhaltenden drastischen Unterversorgung der Bevölkerung mit wirksamen Atemschutzmasken. Obwohl Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2012 eben dies zu vermeiden versuchten, führten ausgelagerte Produktionsprozesse und eine rein auf freien Welthandel gestützte Beschaffungsstrategie dazu, dass für wenige Cent produzierbare sogenannten OP-Masken sogar in Arztpraxen fehlten bzw. bis heute in der Breite nicht überall bzw. frei erhältlich sind.

© Gerd Altmann – pixabay.com

Gemessen an der Bedrohung der Wirtschaft als auch des öffentlichen Lebens, ganz zu schweigen von ausbleibender sozialer Verantwortung gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft, ist es nicht vermittelbar, warum es ein so reiches Land wie Deutschland bis heute nicht geschafft hat, in der Breite der Bevölkerung kostenlos wirksame Atemschutzmasken, etwa zur Erledigung von Einkäufen und Benutzen des ÖPNV, zur Verfügung zu stellen. Hier liegt meines Erachtens ein Versagen insbesondere des Bundesgesundheitsministers, aber auch des Bundeswirtschaftsministers vor: Spätestens mit den Neuregelungen des Infektionsschutzgesetzes Ende März hätte eine Verpflichtung zu heimischer Produktion an Unternehmen ergehen müssen. Anhand von fehlenden Atemschutzmasken ist zu erkennen, dass Marktgläubigkeit, Privatisierung und Gewinnmaximierung, wie sie in der Vergangenheit zur Auslagerung von Produktionsprozessen und Importabhängigkeiten führten, der Handlungs- und Schutzunfähigkeit eines Staates zulasten einer starken Daseinsvorsorge schaden.

Für die Zukunft und Krisenfestigkeit Deutschlands und Europas bedeutet dies, verstärkt in heimische bzw. europäische Produktion systemrelevanter Güter zur Sicherung deren akuter Verfügbarkeit zu investieren – gegebenenfalls unter staatlicher Beteiligung oder gar durch staatliche Unternehmen. Zu reflektieren ist dabei etwa die jüngste Forderung des Direktors der Internationalen Energie Agentur, IEA, wonach – in Reaktion auf Covid-19 – Investitionen in Klimaschutz in den Mittelpunkt von Konjunkturpaketen zu stellen seien.

Covid-19 muss uns Auftrag sein, weder Investitionen noch Zeit zu verschwenden, um auf zukunftsfeste Technologien zu setzen, die zugleich Importabhängigkeiten reduzieren: Allein Deutschland kostet die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen jährlich über 80 Mrd. Euro; Europa über 400 Mrd. Euro – ohne dass hier bereits eine Verwertung der Ressourcen mit eingerechnet wäre. Die Risiken potenzieren sich, wenn Weltwirtschaft – sei es durch klimawandelbedingte Extremwetter, Pandemien oder auch durch absolute Verknappungseffekte unter Stress gerät. Dies soll keine Absage an Globalisierung sein, aber Auftrag, Globalisierung neu zu gestalten: nach sozial-ökologischen und an Gemeinwohlökonomie ausgerichteten Maßgaben.



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