Brandenburg im Wandel – viel mehr als Du denkst!
Kein einziges ostdeutsches Flächenland reicht in Sachen Produktivität an das westdeutsche Schlusslicht, das Saarland, heran. Das zeigt die im März 2019 erschiene Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Das ist eine wenig erstaunliche, aber dennoch alarmierende Analyse. Denn die Schlüsse des IWH sind folgenschwer für unsere ländlichen Regionen. Es gelte vor allem die Städte zu stärken, wenn sich die Wirtschaftskraft in Ost und West weiter annähern solle, „denn dort entstehen jene hochwertigen Dienstleistungen, die die Wirtschaft mehr und mehr bestimmen. In der Wissensgesellschaft sind Städte die zentralen Orte von Forschung, Innovation und Wertschöpfung – und damit für Wohlstand.“ Kann man das so stehen lassen? Blicken wir etwas genauer in ein ostdeutsches Bundesland, an dieser Stelle nach Brandenburg. Hier zeigt sich eine erstaunliche Entwicklung.
Warum Brandenburg mehr verdient
Zuvorderst gilt es, sich der Trends zu vergewissern, denen Wertschöpfung und Arbeit ausgesetzt sind und die sie massiv verändern (Vgl. das methodische Vorgehen in allen Handlungsfeldern einer Digitalisierungsstrategie, hier insbes. S. 132-145: Wertschöpfung und Arbeit, in: Kaczorowski / Swarat: Smartes Land – von der Smart City zur Digitalen Region. Impulse für die Digitalisierung ländlicher Regionen; Schriftenreihe des Innovators Club des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Glückstadt: Werner Hülsbusch, 2018.). Einige sind beispielsweise: Der Fachkräftemangel, die Vernetzung des Arbeitsplatzes, zunehmend mobiles Arbeiten, dezentrale Wertschöpfung, Automatisierung und Robotisierung, Kollaboration und Interaktion zwischen Mensch und Maschine und maschinelles Lernen bzw. Künstliche Intelligenz. Doch gerade in der Veränderung unserer Arbeitswelt steckt das Potenzial, die Herausforderungen an der Epochenschwelle vom industriellen ins digitalen Zeitalter mithilfe neuer Geschäftsmodelle und Organisationsformen in Chancen zu verwandeln. Und zwar nicht nur für unsere Ballungszentren, sondern gerade für ländliche Regionen.
In vielerlei Hinsicht ist Brandenburg im Vormarsch:
Das Potsdamer Startup komoot hat sich entschieden ein „remote-first“-Unternehmen zu werden. Die Gründe liegen im Kampf um die klugen Köpfe, die eben nicht alle in Potsdam oder Berlin leben und es ist niemanden zu erklären, weshalb er zweimal 1-1,5h fahren soll, um sich an einen Computer zu setzen – der Pendelverkehr ist einfach zu belastend. Die Arbeitswelt ist hier also flexibler und ortsunabhängiger geworden bei gleichzeitig steigender internationaler Team-Arbeit. Hier stellen sich nun andere Fragen: Was bedeutet es beispielsweise für das Management, wenn man sich nicht mehr sieht und über den Weg läuft? Hat „Führung“ überhaupt etwas mit Kontrolle zu tun? Komoot fährt mit dieser Strategie offenbar gut: „Fiola, verantwortlich für Kommunikation und PR, wohnt in der Grafschaft Kerry in Irland, direkt an der Küste. Es gibt dort keine Jobs. Sie ist hingezogen, um bei ihren Eltern sein zu können. Vorher war sie Head of Global Communications bei einem großen Rennradhersteller. „Solche Leute hätten wir vorher nicht gekriegt“, sagt einer der Gründer. Komoot zeigt also, wie dem Fachkräftemangel mit einer zunehmenden Vernetzung des Arbeitsplatzes und der Ausnutzung der Möglichkeit von mobilen und dezentralen Teams begegnet wird. Außerdem wird zur Vernetzung der Mitarbeiter ein Coffee-Bot eingesetzt, der die MitarbeiterInnen zu einer gemeinsamen Kaffee-Pause motiviert, die zumeist virtuell stattfindet.
Oder wer kennt das Schnuckidu aus Herzberg, die beweisen, dass mit einer guten Verbindung von on- und offline Vertrieb ein Ladengeschäft Erfolg haben kann, dass wir spontan eher in Kreuzberg platzieren würden? Hier werden jedoch in der Provinz Stoffe und Kurzwaren vertrieben und 12 MitarbeiterInnen beschäftigt. Das Ladengeschäft hat drei Tage die Woche offen und das Hauptgeschäft wird online abgewickelt. In Herzberg gibt es außerdem einen Coworking-Space, eine Rückkehrer-Initiative und Generationenprojekte. Durch das Engagement einzelner Menschen hat sich offenbar ein neues Verständnis und Dynamik entwickelt, die Region gemeinsam nach vorn zu bringen.
Das erfolgreichste Beispiel in Brandenburg ist das Coconat Workation Retreat bei Bad Belzig. Durch den preisgekrönten Erfolg und die dadurch entwickelte Anziehungskraft bilden sich mittlerweile um das Coconat herum neue kleine Geschäftsideen wie z.B. eine mobile Saftmosterei, Massage-Angebote und die Rückkehrer-Initiative Landwärts. Menschen sind in die Region gezogen und vielfältige neue Kooperationen z.B. mit der Medienanstalt Berlin-Brandenburg im Zuge von Smart Village oder der Landesregierung sind entstanden.
Eine weitere Retreat-Initiative aus Berlin, die sich die „zirkuläre Wirtschaft“ auf die Fahnen geschrieben hat, ist von Neukölln aus nun nach Pretschen ausgezogen, um ein neues Konzept von einem zirkulären Retreat-Zentrum zu entwickeln. Im Haus Pretschen können alternative Arbeits- und Wohnformen (Co-Living & Coworking) erprobt und neue Produkte entwickelt oder altes Handwerk wiederentdeckt werden.
Zudem gibt es eine Vielzahl von innovativen Startups in Potsdam und Brandenburg, die u.a. Lösungen entwickeln, die dezentrale Innovation, Produktion und Wertschöpfung in der Region befördern können, wie ein Startup zum 3D-Druck aus Hennigsdorf oder Wearebales für die Industrie aus Potsdam. Beides kann Wartung und Produktion „on demand“ unterstützen und eine Vielzahl an minifactorys hervorbringen.
Die Community der Gründerinnen und Gründer
All das sind nur kleine Erfolge, die eine der Stärken Deutschlands, die dezentrale Wertschöpfung, unterstreichen und die sich die Trends zunutze machen, um ihre Ideen umzusetzen. Sie werden in Brandenburg beispielsgebend sein, da sich die Community immer mehr vernetzt. So bietet beispielsweise die Wirtschaftsförderung Brandenburg um Till Meyer einen SmartCountry-Roundtable an und Visionäre wie Philipp Hentschel betreiben Webseiten wie Kreativorte Brandenburg, die die Initiativen sichtbar machen. So bildet sich immer mehr ein stabiles Netzwerk heraus, das sich aus Berlin und Potsdam in die Region ausbreitet, wie es z.B. die Neopreneurs beweisen, die ein Netzwerk in Südbrandenburg mit rund 80 Jung- und Neuunternehmern aufgebaut haben.
Niemand braucht eine Großstadt, um erfolgreich zu sein
Der Digitalisierung sei Dank braucht niemand auf Dauer eine Großstadt, um erfolgreich zu sein. Das ist neue Wertschöpfung und Produktivität, die im ländlichen Raum funktioniert, denn sie ist grenzenlos.
Zukunft wird nämlich von Menschen gestaltet und nicht von der Diskussion über 5G bis zu jeder Milchkanne oder dem Onlinezugangsgesetz. Viel wichtiger sind die Einzelpersonen, die lokale Strohfeuer im Rahmen ihrer Kräfte entfachen und Alltagserfahrungen des täglichen Lebens der Menschen zum Positiven wandeln. Eine Forderung, diese Kräfte zu bündeln und zu unterstützen, das wäre ein Abschluss-Statement in o.g. Untersuchung wert gewesen.
Brandenburg hat also weitgehend unter dem Radar der Berliner Blase eine Dynamik aus der Community entfaltet, die dafür beispielgebend ist, was motivierte Menschen alles erreichen können, wenn andernorts noch über die Rahmenbedingungen und Abwrackprämien diskutiert wird.
Brandenburg – es kann so einfach sein!
Sie sind ein kommunaler Entscheider und fragen sich: Was können Kommunen tun?
Sprechen Sie die genannten Akteure an, vernetzen Sie motivierte Menschen und digitale Treiber und stellen Sie Open Data bereit. Schaffen Sie attraktive soziale Orte, die Begegnungs- und Arbeitsorte werden. Das können Bibliotheken sein oder wie es St. Oberholz in Frankfurt (Oder) zeigt, ausgediente Bankfilialen. Schaffen Sie Stadtlabore, wie es Ulm mit dem Verschwörhaus beweist. Unterstützen Sie New Work, einen Kulturwandel auch innerhalb der Verwaltung. Diskutieren Sie mit dem Einzelhandel, wie regionale Produktion erfolgreich sein kann.
Kommentare
Wir freuen uns, dass wir im Artikel über „Wearables für die Industrie“ verlinkt wurden. Hier nochmal die url: http;//www.nxtbase.io