Bioökonomie in Europa: Mit welchen Ansätzen kann sie gestärkt werden?

Dr. Sven WydraFraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung

Dr. Bärbel HüsingFraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung

Die Bioökonomie bietet Lösungen für große gesellschaftliche Herausforderungen, die im direkten Zusammenhang mit der Überschreitung der planetaren Grenzen, mit einer wachsenden (und alternden) Bevölkerung, dem Klimawandel und dem Verlust der biologischen Vielfalt stehen. Sie kann auch zur Stärkung der Resilienz Europas in Zeiten geopolitischen Wandels beitragen.

In der Bioökonomie werden fossile Rohstoffe weitgehend durch Rohstoffe aus biogenen Quellen wie der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei sowie biogenen Rest- und Abfallstoffen ersetzt, in großem Umfang biotechnische Produktionsverfahren eingesetzt und Rohstoffe und Produkte im Sinne einer zirkulären (Bio-)Ökonomie effizient möglichst im Kreislauf geführt.

Herausforderungen für die Bioökonomie bestehen

Herausforderungen für die Bioökonomie bestehen darin, dass die einzelnen Sektoren der Bioökonomie häufig noch fragmentiert in Silos arbeiten, in der EU geografisch große Unterschiede im Entwicklungsstand der Bioökonomie bestehen sowie politische Maßnahmen über verschiedene Akteure verteilt sind und keine ausreichende Kohärenz aufweisen.

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI hat diese Problematik kürzlich im Rahmen des Horizon-Europe Projekts ShapingBio untersucht, um die Frage zu beantworten, wo das europäische Innovationsökosystem der Bioökonomie aktuell steht und wie die Zusammenarbeit verschiedener Wirtschaftssektoren verbessert werden kann.

Strategische Ansätze der EU in der Bioökonomie

Die EU-Kommission plant, im November 2025 ihre neue Bioökonomiestrategie zu veröffentlichen. Diese wird die bisherige Strategie ablösen, die zuletzt 2018 aktualisiert wurde. Die neue Strategie wird vier zentrale Säulen umfassen:

  • Schaffung einer effizienten Nachfrage nach mehr Wert aus weniger Ressourcen
  • Vom Labor zur Fabrik – Prioritäten für die Skalierung
  • Ein global wettbewerbsfähiger europäischer Bioökonomiesektor
  • Sicherung einer nachhaltigen Versorgung mit Biomasse

Während die EU-Kommission mit dieser neuen Strategie einen kohärenten strategischen Ansatz für die Bioökonomie zu verfolgen scheint, sieht es auf nationaler und regionaler Ebene bislang fragmentiert aus. Bisher haben (nur) elf EU-Mitgliedstaaten und einige Regionen eine spezifisch auf die Bioökonomie ausgerichtete Strategie oder ein entsprechendes politisches Dokument veröffentlicht und auch Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen.

Die untere Grafik zeigt, welche Wege die Mitgliedstaaten bisher eingeschlagen und wie sie unterschiedliche Ansätze bei der Strategieentwicklung und -umsetzung verfolgt haben. Während einige Länder spezielle Strategien und Aktionspläne für die Bioökonomie entwickelt haben (z. B. Österreich, Frankreich, Irland), sind andere Länder zwar durchaus mit Politik- und Fördermaßnahmen auf dem Gebiet der Bioökonomie aktiv, ohne jedoch spezifische Strategien oder Aktionspläne aufzusetzen (z. B. Dänemark, Belgien, Schweden).

Wenn sich Europa jedoch im globalen Wettbewerb in der Bioökonomie behaupten will, dann muss zum einen europaweit, das heißt in allen Mitgliedsstaaten, der Bioökonomie ein hoher politischer Stellenwert zugemessen werden. Dies ist wichtig, da es keinen „one size fits all“ gibt, sondern die nationalen oder regionalen Strategien spezifisch auf die jeweiligen Gegebenheiten ausgerichtet sein müssen.

Politikkoordination über Ressortgrenzen hinweg

Zum anderen kommt der Politikkohärenz und- koordination zwischen den beteiligten Akteuren eine zentrale Rolle zu. Typisch für die sektorenübergreifende Bioökonomie ist, dass sie Schnittmengen mit mehreren etablierten Politikfeldern (Landwirtschaft, Forschung, Innovation, Wirtschaft, Energie, Klima, Umwelt) aufweist.

Dies erfordert die horizontale Koordination zwischen verschiedenen nationalen Ministerien und Behörden, um die Bioökonomiepolitik mit anderen Politikfeldern wie Industriepolitik, Kreislaufwirtschaft, Forschungs- und Innovationspolitik, Umwelt- und Klimapolitik zu koordinieren: Entscheidungen in diesen Politikfeldern können erhebliche Auswirkungen auf die Bioökonomie haben, und diese kann wiederum wichtige Lösungen zu Herausforderungen in diesen Politikfeldern beitragen.

In EU-Mitgliedstaaten wurden unterschiedliche Optionen zur Koordinierung in der Bioökonomie etabliert: Diese reichen von einer formell eingerichteten Koordinierungsstelle (z. B. Italien) bis hin zu einer eher netzwerkartigen Koordinierung (z. B. Deutschland). Auch wenn es keine einheitliche Lösung gibt, gibt es erfolgsentscheidende Faktoren, ein koordinierungsförderndes Umfeld zu schaffen:

  • die sorgfältige Auswahl der Institution, des Ministeriums oder der Person, die den Koordinierungsprozess leitet,
  • effiziente Koordinierungsplattformen und -prozesse zwischen den beteiligten Stellen,
  • klar definierte Mandate und Aufgabenbereiche,
  • die Fokussierung auf mögliche Lösungen statt auf Grundsatzdiskussionen sowie
  • die Bereitstellung ausreichender Ressourcen in Bezug auf Budget, Personal und Zeit für (mitunter ressourcenintensive) Koordinierungsprozesse.

Sektorenübergreifende Zusammenarbeit als dauerhafte Aufgabe

Integraler Bestandteil vieler Wertschöpfungsketten der Bioökonomie ist die Zusammenarbeit von Unternehmen aus unterschiedlichen Wirtschaftssektoren – beispielsweise Rohstofflieferung durch die Land- oder Forstwirtschaft, deren Verarbeitung zu biobasierten Materialien durch die chemische Industrie, usw.

Innovative biobasierte Prozesse, Produkte und Dienstleistungen können nur durch diese sich ergänzenden Perspektiven, Fachkenntnisse und Ressourcen hervorgebracht werden. Allerdings erfordert dies auch das Zusammenbringen unterschiedlicher Mentalitäten, Unternehmenskulturen und Geschäftsmodelle.

Die zentrale Bedeutung der Zusammenarbeit in der Bioökonomie ist bereits von der Politik und den Bioökonomie-Communities erkannt worden. So sind zahlreiche Cluster sektorenübergreifend und international in der Bioökonomie tätig. Sie stehen aber vor der dauerhaften Herausforderung, ihre Aktivitäten und Dienstleistungen kontinuierlich an das sich stetig verändernde Umfeld und die sich wandelnden Bedarfe ihrer Mitglieder anzupassen.

Beispielsweise sind Kooperationen zwischen einer wachsenden Vielfalt an Stakeholdergruppen entlang der Wertschöpfungsketten der Bioökonomie anzubahnen. So ist die intensivere Einbindung von Agrar- oder Forstwirten in Lieferketten der chemischen Industrie erforderlich und der Aufbau zirkulärer Kreisläufe in der Bioökonomie erfordert die Einbindung von Entsorgungs- und Recycling-Akteuren.

Potenziale der Regionen in der Bioökonomie ausschöpfen

Neben dem unterschiedlichen Stand bei strategischen Aktivitäten in der Bioökonomie bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten und deren Regionen in ihrem Innovationsverhalten und der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung der Bioökonomie. So unterscheiden sie sich beispielsweise hinsichtlich der Forschungs- und Entwicklungsprogramme und -aktivitäten, der Patentierung, in der Anzahl und Ausrüstung der Pilot- und Demonstrationsanlagen zur Skalierung und in der industriellen Entwicklung in der Bioökonomie.

Vor allem, aber nicht nur, liegen mittel- und osteuropäische Länder und Regionen zurück. Dabei haben viele Regionen (sehr spezifische) Potenziale in der Bioökonomie: Dies ist beispielsweise ein Reichtum an bestimmten Arten von Biomasse als Rohstoff für biobasierte Produktionsprozesse, regionale Wirtschaftskreisläufe, die biogen geschlossen werden könnten oder bestimmte Anwenderindustrien.

Die europäische Bioökonomie könnte ihre Potenziale entfalten, wenn diese regionalen und nationalen Möglichkeiten auch in den gegenüber dem EU-Durchschnitt etwas zurück liegenden Länder noch stärker umgesetzt würden. Dazu ist aber häufig ein Bewusstseinswandel bei Entscheidungsträgern notwendig, um die entsprechenden strategischen und umsetzungsorientierten Maßnahmen zu implementieren.

Ziel kann es aber nicht sein, gleiche Kapazitäten und Infrastrukturen in jedem EU-Land aufzubauen. Vielmehr geht es darum, die landesspezifischen Stärken in ein EU-Gesamtbild einzufügen und innerhalb der EU auf Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zu setzen als Schlüssel, um Europa als starken Wettbewerber in der Bioökonomie gegenüber anderen Weltregionen zu positionieren.

Bioökonomie würde von verstärkter Koordination profitieren

Die Entwicklung der europäischen Bioökonomie würde von einer verstärkten Koordination und Zusammenarbeit aller Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sehr profitieren. Die Zusammenarbeit müsste sich über alle Innovationsphasen von der angewandten Forschung, der Skalierung in den industriellen Maßstab, deren Finanzierung sowie der Schaffung von Märkten durch nachfrageorientierte Politikmaßnahmen erstrecken und alle bioökonomie-relevanten Wirtschaftssektoren umfassen.

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