Algorithmische Preissetzung und die Folgen für den Wettbewerb

Prof. Dr. Hans-Theo NormannDüsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomik (DICE)

Martin SternbergMax Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern

Kurz vor Beginn des 21. Jahrhunderts und damit zu einer Zeit, zu der das Internet und Online-Shopping für viele Menschen noch eine recht exotische Angelegenheit waren, setzte sich die britische Wochenzeitung The Economist mit dieser Frage und dem Wettbewerb auf Online-Märkten auseinander:

Retailing on the Internet, it is said, is almost perfectly competitive. Really? (The Economist, 18. November 1999)

Hintergrund waren die einerseits festgestellten Preisvorteile digitaler Märkte im Kontrast zum stationären Handel und die anderseits online festgestellte – und für wettbewerbliche Märkte eher untypische – Preisstreuung.

Auch über 20 Jahre später ist diese Frage nach dem Wettbewerb auf digitalen Märkten weder beantwortet, noch aus der Zeit gefallen; vielmehr ist sie hochaktuell.

Algorithmische Kartellbildung auf Märkten?

In den vergangenen Jahren haben diverse Erkenntnisse aus Marktsimulationen und empirischen Untersuchungen den Verdacht aufkommen lassen, dass neue Technologien und insbesondere die von Unternehmen vornehmlich online eingesetzten Preissetzungsalgorithmen zu einer Verdrängung des Wettbewerbs und einer algorithmischen Kartellbildung auf digitalen Märkten führen könnten. Die Folgen wären hohe Preise, also Verluste für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt.

Preissetzungsalgorithmen liefern den Unternehmen eine automatisierte Bestimmung von Preisen als Output.

Als Input dienen dabei unterschiedliche Parameter, wie beispielsweise die prognostizierte Nachfrage oder Preise der Wettbewerber.

  • Zum einen kann die Gewichtung der Parameter vorgegeben und stets gleichbleibend sein (statische Algorithmen).
  • Zum anderen kann dem Algorithmus eine Zielfunktion vorgegeben und diesem die Verarbeitung des Inputs zum Output zur bestmöglichen Erfüllung dieser Funktion selbst überlassen sein (selbstlernende Algorithmen).

Simulationen bestätigen preistreibendes Potential

Insbesondere die eigenständige Bestimmung der Preisstrategie durch Algorithmen ist in unterschiedlichen Marktsimulationen untersucht worden. Das größte Aufsehen erzeugten die Simulationen von Calvano et al. (2020), in der diese Reinforcement-Learning-Algorithmen – genauer Q-Learning ­­– in einem Modellmarkt gegeneinander in den Wettbewerb traten.

Die Autoren konnten zeigen, dass die Algorithmen nach längerem Lernen eigenständig Strategien entwickelten, mit denen sie niedrige Preise des Wettbewerbers bestrafen und hohe belohnen konnten. In der Folge erreichten die Algorithmen Preise, die über dem Wettbewerbsniveau lagen.

Das preistreibende Potential der selbstlernenden Q-Learning-Algorithmen ist mittlerweile mehrfach bestätigt worden (weitere Ergebnisse finden sich bei Normann und Sternberg, 2021b).

Weitere Untersuchungen konnten darüber hinaus zeigen, dass dem Q-Learning überlegene Anwendungen mittels Artificial Neural Networks in der Lage waren, bereits nach einer deutlich kürzeren Lernphase zu erhöhten Preis-Gleichgewichten zu finden (Hettich, 2021). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Preissetzungsalgorithmen ohne ausdrückliche Absprachen (die illegal wären) sich stillschweigend koordinieren, mithin auch überhöhte Gewinne realisieren können.

Realität könnte anders aussehen

Allerdings bedeuten die Ergebnisse nicht zwangsläufig, dass entsprechende Algorithmen auch tatsächlich auf realen Märkten höhere Preise erreichen und den Wettbewerb flächendeckend aussetzen.

Zum einen bedienen sich entsprechende Simulationen stark vereinfachter Modellmärkte. Mögliches Overfitting (eine Überanpassung der Algorithmen an die Simulationsumgebung) könnte dazu führen, dass die Algorithmen nach Abschluss der Trainingsphase Schwierigkeiten haben, die erlernte Kollusionsstrategie auf andere Marktgegebenheiten zu übertragen (Eschenbaum et al., 2022).

Zum anderen konnten die selbstlernenden Algorithmen in den Simulationen höhere Preise vor allem im Wettbewerb mit gleichartigen Algorithmen erzielen. Der Wettbewerb auf digitalen Märkten scheint aber eine hohe Heterogenität aufzuweisen (Wieting und Sapi, 2021; EU Kommission 2017; Chen et al., 2016). Auf diesen könnten sich häufig Algorithmen unterschiedlicher Komplexität und Ausführung sowie menschliche Entscheider im Wettbewerb gegenüberstehen.

Empirische Untersuchungen deuten ebenso darauf hin, dass Algorithmen vor allem dort zu erhöhten Preisen gelangen, wo sie ausschließlich unter sich bleiben. Assad et al. (2020) zeigen für deutsche Tankstellenmärkte, dass Unternehmen auf Duopolmärkten, auf denen beidseitig – vermutlich selbstlernende – Algorithmen zum Einsatz kommen, 29% höhere Margen erreichen können. Der Effekt bleibt jedoch aus, sobald nur eines der Unternehmen auf algorithmische Preissetzung setzt.

© Markus Spiske – unsplash.com

Dennoch wettbewerbsschädigendes Potential

Allerdings bergen auch relativ simple – statische – Algorithmen, die auf digitalen Märkten weit verbreitet zu sein scheinen (Wieting und Sapi, 2021; Monopolkommission, 2018), ein hohes wettbewerbsschädigendes Potential.

Algorithmen unterscheiden sich von menschlicher Preissetzung insbesondere in zwei Punkten:

  • Zum einen können sie Marktveränderungen ohne Verzögerung feststellen und auf diese in Echtzeit reagieren.
  • Zum anderen können sie, indem sie eine Strategie fern von irrationalen Einflüssen konsequent durchsetzen, als Commitment Device, das Unternehmen fest an diese Strategie binden. Preisreduktionen werden weniger attraktiv, da die Algorithmen der Wettbewerber direkt reagieren könnten. Darüber hinaus können Wettbewerber eine relativ einfache Strategie des Konkurrenten beobachten und entschlüsseln, um ihre Strategie entsprechend anzupassen.

In einem Laborexperiment mit statischen Algorithmen und menschlichen Entscheidern zeigen wir, dass ein Algorithmus mit einem kooperationsfördernden „wie du mir, so ich dir“ Ansatz (tit-for-tat) im Wettbewerb mit zwei menschlichen Entscheidern zu signifikant höheren Preisen gelangtals es drei Menschen möglich ist (Normann und Sternberg, 2021a).

Wieting und Sapi befürchten sogar, dass „ein Geheimnis erfolgreicher Absprachen […] in der Fähigkeit der Manager liegen [könnte], sich auf einfache Strategien festzulegen.“ Zu dieser Einsicht gelangten auch David P. Byrne und Nicolas de Roos (2019) bei einer Analyse des westaustralischen Tankstellenmarktes. Demnach nutzten „Unternehmen selbst bei perfekter Preisüberwachung einfache Preisstrukturen […], weil sie leicht auszuprobieren und den Konkurrenten mitzuteilen sind.“

Algorithmen haben auch Effizienzvorteile

Zugleich bieten Algorithmen aber auch viele Effizienzvorteile und tragen oft dazu bei, dass der Einkauf online günstiger ist als im stationären Einzelhandel. Darüber hinaus dürfte den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine wichtige Rolle bei der Frage, wie intensiv der Wettbewerb auf digitalen Märkten ausfällt, zukommen.

Je intensiver sie sich die Vorteile des Internets zu Nutzen machen, indem sie Preise vergleichen und auf Veränderungen reagieren, desto attraktiver ist für Unternehmen ein wettbewerbliches Verhalten gegenüber der Konkurrenz.

Um eine Antwort auf die Frage des The Economist zu geben: Digitale Märkte sind sehr wahrscheinlich kein Musterbeispiel des perfekten Wettbewerbs, aber sie sind auch längst noch nicht durch Algorithmen flächendeckend kartelliert. Um es mit den Worten der europäischen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zusammenzufassen:

We certainly shouldn’t panic about the way algorithms are affecting markets. But we do need to keep a close eye on how algorithms are developing.

Literatur

Assad, S., Clark, R., Ershov, D. und Xu, L. (2020). Algorithmic Pricing and Competition: Empirical Evidence from the German Retail Gasoline Market. CESifo Working Paper, No. 8521.

Byrne, D. P. und De Roos, N. (2019). Learning to Coordinate: A Study in Retail Gasoline, American Economic Review, 109(2):591-619.

Calvano, E., Calzolari, G., Denicol`o, V. und Pastorello, S. (2020). Artificial Intelligence, Algorithmic Pricing, and Collusion. American Economic Review, 110(10):3267–3297.

Chen, L., Mislove, A. und Wilson, C. (2016). An Empirical Analysis of Algorithmic Pricing on Amazon Marketplace. WWW ’16: Proceedings of the 25th International Conference on World Wide Web: 1339–1349.

EU Kommission (2017). Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel.

Eschenbaum, N., Mellgren, F. und Zahn, P. (2022). Robust Algorithmic Collusion. Arxiv:2201.00345.

Hettich, M. (2021). Algorithmic Collusion: Insights from Deep Learning. CQE Working Papers 9421.

Monopolkommission (2018). Wettbewerb 2018, XXII. Hauptgutachten der Monopolkommission gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB.

Normann, H. T. und Sternberg, M. (2021a). Human-Algorithm Interaction: Algorithmic Pricing in Hybrid Laboratory Markets. MPI Collective Goods Discussion Paper No. 2021/11.

Normann, H. T. und Sternberg, M. (2021b). Do Machines Collude Better than Humans?. Journal of European Competition Law & Practice, 12(10):765-771.

Wieting, M. und Sapi, G. (2021). Algorithms in the Marketplace: An Empirical Analysis of Automated Pricing in E-Commerce. Working Paper from NET Institute No. 21-06.

 



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