„Ohne Innovationen keine Energiewende“

Im Gespräch mit Stefan Kapferer, dem Vorsitzenden der Hauptgeschäftsführung und Mitglied des Präsidiums beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

 

Welche Produkt- und Prozessinnovationen sind derzeit in der Energiebranche maßgeblich?
Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Innovationen. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatten wir einen übersichtlichen Erzeugungspark mit einigen hundert einspeisenden Kraftwerken, deren Output noch dazu bestens kalkulierbar war. Heute haben wir eine völlig andere, heterogene Landschaft mit zwei Millionen Anlagen – vom großen Kraftwerk bis hin zum einzelnen Windrad. Und, noch viel wichtiger, wir leben inzwischen in einer dezentralen Energiewelt, die überwiegend auf volatiler Erzeugung fußt. Das bedeutet völlig neue Anforderungen an Lastmanagement, Nachfragesteuerung und Netzsteuerung. Und in naher Zukunft werden wir Millionen von Elektroautos in das System einzubinden haben. Das alles sind gigantische Innovationstreiber. Selbstverständlich gibt es auch im prozessualen Bereich zahlreiche Innovationen, insbesondere bei der Digitalisierung im Kundenmanagement und im Service.

Disruptions- und Transformationsprozesse hat es hierzulande schon einige gegeben. Wie schlägt sich die Energiewirtschaft in diesem Bereich: Wo ist sie besonders stark und wo kann sie besser werden?
Die Energiewirtschaft ist eine Branche, die ganz extreme, disruptive Prozesse in den letzten Jahren erfahren hat. Nicht nur durch die allgegenwärtige Digitalisierung, sondern insbesondere durch politische Prozesse. Wir haben das permanente Postulat der gesicherten Versorgung, parallel die laufende Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien und zeitgleich einen Boom der Elektromobilität, der jetzt zum ganz großen Thema wird – Stichwort Ladeinfrastruktur: Das alles bei permanent wechselnden politischen Rahmenbedingungen. Von daher würde ich sagen, dass die Energiewirtschaft an dieser Stelle ganz ausgezeichnet aufgestellt ist. Natürlich gibt es noch Bereiche, wo wir aufholen können, da geht es insbesondere um die Frage, mit welchen Personalqualifikationen die Branche auf die Zukunft reagiert. Denn wir kommen ja ein Stück weit aus einer stabilen Welt: klassische Versorgungssicherheit, stabile Kundenbeziehungen, nachhaltige Geschäftsmodelle. Jetzt müssen wir viel stärker mit Flexibilitäten und Unsicherheiten leben und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen Wandlungsprozess fit machen.

Wie ist der Stand der Digitalisierung in der Energie- und Wasserbranche?
Wichtig zu wissen ist zunächst einmal: Die Branche ist stark mittelständisch geprägt, weil es sich ja bei vielen Energieversorgern um kommunale Unternehmen handelt. Daher bewegt sich die Branche im Spannungsfeld zwischen den Notwendigkeiten zur Digitalisierung und zur Innovation einerseits und den zum Teil beschränkten personellen und finanziellen Kapazitäten der Unternehmen andererseits. Trotzdem ist die Branche inzwischen sehr aktiv, sie hat die Zeichen der Zeit definitiv erkannt.

Bemerken Sie bei der Struktur der Verbandsmitglieder eine Veränderung in den letzten Jahren?
Ganz definitiv. Inzwischen gibt es in Deutschland an die 1000 Start-ups, die sich im engeren oder weiteren Sinne mit Energiethemen befassen. Das stellen wir auch im Verband fest: In der jüngsten Vergangenheit haben wir mehr und mehr Start-ups als Mitglieder aufgenommen. Daraus ergeben sich tolle Synergien – wir beobachten auch eine zunehmende Kooperationsbereitschaft zwischen etablierten Versorgern und „jungen Wilden“:

Gibt es in der Energiebranche Bereiche, in denen künstliche Intelligenz jetzt schon eine Rolle spielt oder in der nahen/weiteren Zukunft eine Rolle spielen wird?
Der BDEW arbeitet gerade an einer umfangreichen Studie im Hinblick auf KI für die Mitgliedsunternehmen. KI und Big Data werden auch für uns immer wichtiger, und zwar in fast allen Bereichen. Ein ganz zentraler Punkt dabei ist die intelligente Vorhersage von Nachfragespitzen auf der Verbraucherseite und die Kopplung dieser Daten mit den Vorhersagen für Wind und Sonne. Doch auch bei Fragen der Predictive Maintenance und der Kundenbindungsprozesse werden KI und Big Data von Nutzen sein.

Wir beobachten in diversen Bereichen der Wertschöpfung eine Konzentration auf „Superstar-Firmen“, das betrifft insbesondere die Internetbranche. Gibt es dieses Risiko auch in der Energiebranche und – falls ja – wie könnte man dem entgegenwirken?
Wissen Sie, seit ich beim BDEW bin, wurde schon oft die These aufgestellt, dass Google oder Amazon uns demnächst die Stromkunden wegschnappen. Dafür gibt es nach wie vor überhaupt keine Anzeichen – vielleicht auch deshalb, weil die Marge beim reinen Stromvertrieb relativ gering ist. Und zweitens sehen wir immer wieder, dass es beim Thema Versorgung mit Strom, Wasser oder Wärme immer noch eine vergleichsweise hohe Bindung der Kunden an regionale Anbieter gibt. Das ist eben doch noch etwas anderes, als ob man Oberhemden oder Schuhe kauft. Eine größere Herausforderung ist, dass die Sektoren zunehmend zusammenwachsen: Am deutlichsten sehen wir das bei Mobilität und Energie: Wenn zukünftig die Autos mit Strom fahren, ist es ja nicht gottgegeben, dass die Energiebranche den Strom verkauft, das könnten auch Hersteller tun. Umgekehrt gibt es mehr und mehr Versorger, die Dienste wie Carsharing zur Verfügung stellen. Da wachsen Branchen zusammen und da entstehen neue Wettbewerbssituationen. Eine der spannenden Fragen wird sein: Wer hat eigentlich hinterher den Zugriff auf die Daten, die dabei erzeugt werden? Das alles betrachte ich zurzeit als größere Herausforderungen als die Superstars der Plattformökonomie.

Wie beurteilen Sie die politischen Rahmenbedingungen für Ihre Branche – wo sind diese positiv und an welcher Stelle wirken sie als Hemmschuh oder eher als innovationsfeindlich?
Sicherlich ist das größte Problem der letzten Jahre, dass sich die regulatorischen und politischen Bedingungen ständig verändern. Die Ausbauziele für Erneuerbare Energien wurden bisher mit jedem Koalitionsvertrag nach oben geschraubt. In der Folge haben wir – und das gilt für ganz viele Themen unserer Branche – viel zu wenig Planungssicherheit. Und daher stehen genau diese Planungssicherheit und Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen ganz oben auf dem Wunschzettel an die Politik.

Wie kann ein Verband in Bezug auf diese politischen Rahmenbedingungen, aber auch in Bezug auf Wissenstransfer seinen Mitgliedern helfen?
Die Kernkompetenzen eines Verbandes sind die politische Interessenvertretung und die Vermittlung von Wissen. Nun ist der BDEW ein Verband, der seit jeher geprägt ist durch eine Bottom-Up-Willensbildung. Wir haben mehr als 200 Gremien, wo alle energie- und wasserwirtschaftlichen Themen behandelt werden. In diesen Gremien findet ein guter Informationsaustausch der Mitglieder statt. Ansonsten bieten wir klare Anwendungshilfen, beispielsweise in Form von Online-Seminaren zu den aktuellen, immer komplexer werdenden Themen – hier tauschen sich teilweise bis zu 500 Unternehmen miteinander aus. Auch unser jährlicher Kongress ist eine gute Plattform für den Austausch – nicht nur der Unternehmen untereinander, sondern auch mit der Politik und der interessierten Öffentlichkeit. Wir setzen auf offenen Dialog, denn nur gemeinsam können alle beteiligten Player die hohen Herausforderungen der Energiewende stemmen und ihre Chancen nutzen.



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