Wasserstoff

Wasserstoffwirtschaft: Chancen und Herausforderungen für die Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft

Dr. Thieß PetersenBertelsmann Stiftung

Für die Dekarbonisierung der Wirtschaft spielt Wasserstoff eine wichtige Rolle. Damit es zu einem umfassenden Einsatz von Wasserstoff kommt, müssen zahlreiche Voraussetzungen erfüllt werden. Das betrifft unter anderem technologische Fortschritte, private und öffentliche Investitionen für den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur, den Ausbau erneuerbarer Energien, arbeitsmarkt-, bildungs- und sozialpolitische Maßnahmen sowie eine außenwirtschaftliche Flankierung. Zudem müssen umfangreiche Abstimmungsprobleme gelöst werden.

Grundlagen des Energieträgers Wasserstoff

Wasserstoff ist das häufigste chemische Element im Weltall und ein Energieträger. Bei der Nutzung von Wasserstoff entstehen keine Treibhausgasemissionen, denn Wasserstoff verbrennt ohne CO2-Ausstoß zu Wasserdampf. Allerdings kommt Wasserstoff in der Natur nur in Verbindung mit anderen Stoffen vor. Um ihn zu isolieren, muss Energie aufgewendet werden.

Aus der Kombination von verschiedenen Ausgangsstoffen und unterschiedlichen Trennungsverfahren ergeben sich verschiedene Wasserstofftypen. Klimaneutral ist dabei letztendlich nur Wasserstoff, der dadurch gewonnen wird, dass Wasser unter Hinzufügung von erneuerbarer Energie in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Der so gewonnene Wasserstoff wird als grüner Wasserstoff bezeichnet.

Einsatzbereiche von Wasserstoff

Zu den wichtigsten technisch möglichen Verwendungen von Wasserstoff gehören der Verkehrsbereich, das Heizen von Gebäuden sowie der Einsatz als Energieträger und Rohstoff in der Industrie. Allerdings ist nicht alles, was technisch möglich ist, wirtschaftlich sinnvoll.

Im Verkehr

Im Bereich der Mobilität kann Wasserstoff zum Antrieb von Fahrzeugen verwendet werden. Grundsätzlich ist der Einsatz von Wasserstoff im gesamten Verkehrswesen denkbar – zu Luft, auf dem Wasser und auf dem Boden.

Technologische Grenzen sprechen jedoch gegen einen umfassenden Einsatz von Wasserstoff im Verkehrswesen. Dazu gehört vor allem der Umstand, dass gasförmiger Wasserstoff große Tanks benötigt. Daher ist es häufig besser, direkt mit erneuerbarem Strom zu arbeiten. Als sinnvoll gilt der Einsatz von Wasserstoff im Bereich des Langstrecken-Luftverkehrs und des Langstrecken-Schiffverkehrs.

Wärmeversorgung

Zur Versorgung von Gebäuden mit Wärme kann Wasserstoff eingesetzt werden, entweder durch den Einsatz von Brennstoffzellen oder Heizkesseln. Allerdings ist auch hier zu beachten, dass fossile Brennstoffe durch eine Reihe von anderen erneuerbaren Energien ersetzt werden können, zum Beispiel durch Solarenergie, Windenergie, Erdwärme bis hin zur Nutzung der Abwärme von technischen Geräten.

Grüner Wasserstoff bietet sich daher nur dort an, wo der Einsatz erneuerbarer Energien nicht möglich oder nicht effizient ist.

In der Industrie

In der Industrie ist Wasserstoff als Energieträger und als Rohstoff nutzbar. Ein Beispiel ist die Stahlindustrie. Ausgangsstoff der Stahlproduktion sind Eisenerze, aus denen der Sauerstoff entfernt werden muss. Die dafür erforderliche chemische Reaktion wird Reduktion genannt.

In der Stahlgewinnung eingesetzte Reduktionsmittel sind aktuell zum Beispiel Kohlenstoff und Koks, was zu einer Freisetzung von entsprechenden CO2-Emissionen führt. Wird Wasserstoff als Reduktionsmittel eingesetzt, lassen sich CO2-Emissionen einsparen.

Weitere Einsatzmöglichkeiten sind unter anderem die chemische Industrie, die Glas-, Keramik- und Zementindustrie, der Einsatz als Kühlmittel von Kraftwerken und industriellen Produktionsanlagen.

Voraussetzungen einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft

Ein zentraler Nachteil von Wasserstoff besteht in dem hohen Energiebedarf, denn die Prozesse zur Trennung des Wasserstoffs von den verschiedenen Ausgangsstoffen besitzen eine hohe Energieintensität. Damit der daraus gewonnene Wasserstoff einen Beitrag zur Emissionsreduzierung leisten kann, muss erneuerbare Energie eingesetzt werden.

Eine klimafreundliche Wasserstoffwirtschaft verlangt also einen Ausbau der erneuerbaren Energien.

Dr. Thieß Petersen

Zusätzlich zur Bereitstellung von ausreichend viel erneuerbarer Energie verlangt der flächendeckende Einsatz von Wasserstoff in der Wirtschaft eine umfangreiche Wasserstoffinfrastruktur:

  • Erzeugungsinfrastruktur: Erforderlich sind Produktionsanlagen zur Erzeugung von Wasserstoff mit der erforderlichen technologischen Ausstattung.
  • Wasserstoffspeicherinfrastruktur: Wasserstoff kann sowohl gasförmig als auch flüssig gespeichert werden. Dies verlangt entsprechende Speicherinfrastrukturen, also zum Beispiel Gasdruckbehälter.
  • CO2-Speicherinfrastruktur: Eine Möglichkeit zur Reduzierung der CO2-Emissionen besteht darin, dass die bei der Wasserstoffgewinnung anfallenden Emissionen aufgefangen und gespeichert werden. Das verlangt physische Anlagen, also zum Beispiel den Umbau von ehemaligen Erdöl- oder Erdgaslagern, in denen CO2 gespeichert wird.
  • Transportinfrastruktur: Gasförmiger Wasserstoff kann mithilfe von Rohrleitungen transportiert werden, was ein Netz von Pipelinetrassen erfordert. Ein Transport mit Lastkraftwagen bzw. Tankwagen, Schiffen oder auf der Schiene setzt für den gasförmigen Wasserstoff Hochdruckbehälter bzw. entsprechende Behälter für verflüssigten Wasserstoff voraus.
  • Sicherheitsinfrastruktur: Da Wasserstoff leicht entzündbar ist, kann bereits die Reibung von Textilien eine Zündung auslösen. Zudem kann Wasserstoff in gasförmiger Gestalt leicht entweichen und sich dabei schnell entzünden. Dies stellt hohe Anforderungen an die Sicherheitstechnologien zur Überwachung von allen benötigten Anlagen.
  • Bildungsinfrastruktur: Eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft benötigt entsprechend ausgebildete Fachkräfte. Wasserstoff ist daher auch ein bildungspolitisches Thema.
  • Innovationsinfrastruktur: Da sich die Wasserstofftechnologien in vielen Bereichen noch in einer frühen Entwicklungsphase befinden, bedarf es umfangreicher Maßnahmen zur Weiterentwicklung dieser Technologien. Davon sind alle Bereiche entlang der gesamten Wasserstoffkette betroffen – also die Wasserstofferzeugung ebenso wie die Technologien zur Speicherung, zum Transport und zur Verwendung von Wasserstoff.

Internationale Aspekte der Wasserstoffindustrie

Da erneuerbare Energien zentral für die Bereitstellung von klimaneutralem Wasserstoff sind, haben sonnen- und windreiche Regionen einen Preisvorteil bei der Herstellung von grünem Wasserstoff. Prognosen erwarten, dass Deutschland bis 2050 rund 75 Prozent des jährlichen Wasserstoffbedarfs durch Importe decken wird. Der Import von Wasserstoff hat jedoch ebenfalls einige Voraussetzungen.

Erstens gilt es, Wasserstoffpartnerschaften mit dem Ausland zu etablieren, um so die Wasserstoffversorgung abzusichern. Das betrifft zum Beispiel eine Abstimmung technischer Details, also zum Beispiel der Aggregatzustand, in dem der Wasserstoff geliefert wird. Dies ist relevant für die in Deutschland erforderliche Transport- und Speicherinfrastruktur.

Zweitens setzt eine Importstrategie eine leistungsfähige internationale Wasserstofftransportinfrastruktur voraus, also entweder Pipelines für gasförmigen Wasserstoff oder Schiffe samt der erforderlichen Anlandungsterminals für Flüssigwasserstoff.

Drittens sind in den sonnen- und wasserreichen Schwellen- und Entwicklungsländern erhebliche Investitionen erforderlich, um die anspruchsvolle Infrastruktur für die Gewinnung und den Export von grünem Wasserstoff zu errichten. Hier bietet sich auch eine Finanzierung durch die entwickelten Volkswirtschaften an. Dafür gibt es verschiedene Finanzierungsinstrumente: private ausländische Direktinvestition, Mittel der nationalen Entwicklungspolitik, multilaterale Fonds wie den Green Climate Fund, um nur einige zu nennen.

Auch wenn geografisch bzw. klimatisch günstige Rahmenbedingungen Schwellen- und Entwicklungsländer des globalen Südens zu einem attraktiven Ort für die Produktion von grünem Wasserstoff machen, sollten zumindest in den nächsten Jahren die Erwartungen an die Höhe der Importmengen begrenzt bleiben.

Neben den Finanzierungsproblemen sind auch realwirtschaftliche Engpässe zu berücksichtigen, also fehlende Produktionskapazitäten vor Ort. Auf absehbare Zeit können aus den Schwellen- und Entwicklungsländern also – wenn überhaupt – nur begrenzte Wasserstoffimporte erwartet werden.

Koordinierungsproblem

Eine große Herausforderung beim Aufbau der erforderlichen Wasserstoffinfrastruktur besteht darin, dass alle Infrastrukturelemente aufeinander abgestimmt werden müssen. Notwendig ist der Aufbau komplexer wasserstoffbasierter Wertschöpfungsketten. Das beginnt bei der Wasserstofferzeugung und betrifft alle weiteren Bereiche – Speicherung, Transport und Nutzung des Wasserstoffs bis hin zur dauerhaften Speicherung von Kohlenstoff.

So setzt beispielsweise der Bau einer Produktionsanlage, die Brennstoffzellen für Lkws herstellt, voraus, dass es eine entsprechend hohe Nachfrage nach wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen gibt. Diese Nachfrage stellt sich jedoch nur ein, wenn die potenziellen Käufer sicher sein können, dass es ein leistungsfähiges und öffentlich zugängliches Versorgungsnetzwerk mit günstigem Wasserstoff gibt.

Neben dem dafür erforderlichen Netz an Wasserstofftankstellen verlangt das auch eine leistungsfähige Logistikinfrastruktur. Diese wird wiederum nur bereitgestellt, wenn die Betreiber davon ausgehen, dass ihre Transportkapazitäten auch in Anspruch genommen werden.

Kurz gefasst liegt somit ein Henne-Ei-Problem vor: „ohne zuverlässige Nachfrage kein Angebot, ohne zuverlässiges Angebot keine Nachfrage„. Das verlangt eine Koordinierung zahlreicher wirtschaftlicher Aktivitäten, an denen wiederum viele private und staatliche Akteure aus ganz Deutschland bzw. sogar Europa beteiligt sind.

Wirtschaftspolitische Herausforderungen

Von zentraler Bedeutung für einen Ausbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland sind somit drei Aspekte: Erstens eine ausreichende Menge an erneuerbarer Energie, zweitens eine leistungsfähige, möglichst emissionsarme Wasserstoffinfrastruktur und drittens technologische Fortschritte bei den Verfahren zur Herstellung von grünem Wasserstoff, der momentan noch so hohe Produktionskosten hat, dass er gegenüber fossilen Brennstoffen nicht wettbewerbsfähig ist. Für die deutsche Wirtschaftspolitik ergeben sich daraus drei konkrete Handlungsansätze:

Preisverzerrungen abschaffen

Um die Wasserstoffwirtschaft preislich wettbewerbsfähiger zu machen, sollten Preisverzerrungen zulasten wasserstoffbasierter Energie abgeschafft werden. Das verlangt den Abbau von Subventionen für fossile Energien und die Einpreisung der negativen externen Effekte, die Treibhausgasemissionen hervorrufen.

Letzteres verlangt einen spürbar höheren CO2-Preis in Deutschland und Europa als jetzt. Dies ist auch ordnungspolitisch geboten, denn eine funktionierende Marktwirtschaft verlangt, dass diese gesamtgesellschaftlichen Zusatzkosten in den Marktpreisen enthalten sind.

Staatliche Förderung

Zur Flankierung der Aktivitäten privater Wirtschaftsakteure sind unterstützende wirtschaftspolitische Maßnahmen erforderlich. Das betrifft vor allem die staatliche Förderung der erforderlichen öffentlichen Transportinfrastruktur, den Ausbau der erneuerbaren Energien, die Intensivierung der öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie die Flankierungen in den Bereichen der Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik sowie eine außenwirtschaftliche Flankierung.

Gesamtwirtschaftliche Strategie

Um die genannten Abstimmungsprobleme im Kontext der erforderlichen simultanen Errichtung umfangreicher Infrastrukturanlagen durch private Akteure in den Griff zu bekommen, sollte der Staat eine koordinierende Rolle übernehmen und eine sektor- und akteursübergreifende gesamtwirtschaftliche Wasserstoffstrategie vorantreiben – idealerweise in enger Abstimmung mit einer entsprechenden Strategie auf Ebene der EU.

Weitere Informationen sind im Focus Paper Wasserstoffwirtschaft – Chancen und Herausforderungen für die Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft zu finden.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Welche Rolle spielt Wasserstoff als Energieträger im globalen Energiesystem? von Matia Riemer und Johannes Ecktein, Fraunhofer ISI

Aus Abgas wird Rohstoff: Carbon Capture and Utilization von Dr. Christoph Rameshan, Montanuniversität Leoben

5-Punkte-Plan für mehr Tempo bei der Transformation von Prof. Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal Institut



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