Wir brauchen einen Produktivitätsschub

Peter AltmaierBundesministerium für Wirtschaft und Energie

„Produktivität ist nicht alles, auf lange Sicht ist es aber beinahe alles.“ Dieser Ausspruch des Wirtschaftsnobelpreisträgers und US-Ökonomen Paul Krugman hat in den vergangenen Jahren eine neue Aktualität erfahren. Nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Industrieländern ist seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ein spürbarer Rückgang des Produktivitätswachstums zu verzeichnen. Gerade auch mit Blick auf die absehbare demographische Entwicklung in Deutschland ist dieser Trend beunruhigend.

Die schwache Produktivitätsentwicklung in Deutschland hat eine ganze Reihe von möglichen Ursachen. Maßgeblich waren vor allem fünf Faktoren:

  • die Nachwirkungen des deutschen Wiedervereinigungsbooms,
  • die demographische Entwicklung,
  • der sektorale Strukturwandel von der Industrie hin zu Dienstleistungen,
  • vergleichsweise schwache Impulse durch die Digitalisierung und
  • das deutsche „Arbeitsmarktwunder“.

Auf die beiden letzteren Aspekte möchte ich näher eingehen.

Weniger IKT-Investitionen als in den Vereinigten Staaten

Untersuchungen belegen, dass die Digitalisierung das Produktivitätswachstum in Deutschland bisher merklich schwächer stimuliert hat als etwa in den Vereinigten Staaten oder dem Vereinigten Königreich. Zwar wurde das Produktivitätswachstum zwischen 1995 und 2005 auch in Deutschland maßgeblich von den Wirtschaftszweigen getrieben, die digitale Güter herstellen oder intensiv nutzen, doch insgesamt wurde weniger intensiv in moderne Informations- und Kommunikationstechnologien investiert als beispielsweise in den Vereinigten Staaten. Dadurch wurden die Produktivitätspotenziale, die diese Technologien bieten, weniger konsequent ausgeschöpft. Ähnliches gilt für die anderen kontinentaleuropäischen Länder.

Bedeutsam für die unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Ländern erscheinen auch Unterschiede in der digitalen Netzinfrastruktur, im Ausmaß der Regulierung von Güter- und Arbeitsmärkten sowie die vergleichsweise geringere Produktivität kleinerer Unternehmen in Deutschland, die diese neuen Technologien bislang weniger intensiv und effektiv einsetzen als Großunternehmen. In Deutschland hat die Lücke der Innovationsausgaben zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und großen Unternehmen seit 1995 zugenommen. Die Anzahl der KMU mit Innovationsaktivitäten ist rückläufig. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) die Innovationstätigkeit von Unternehmen nur unvollständig erfassen. Drei Viertel der mittelständischen Unternehmen, die keine eigene Forschung und Entwicklung betreiben, und insbesondere kleinste, kleine und mittlere Unternehmen, generieren Innovationen: Dazu gehören sowohl die kontinuierliche Verbesserung von bestehenden Produkten und Dienstleistungen als auch organisatorische sowie Marketing- und Prozessinnovationen. Insbesondere im Dienstleistungsbereich lassen sich neue Angebote und Verbesserungen zum Teil auch ohne eigene FuE-Tätigkeit verwirklichen. Auch im Verarbeitenden Gewerbe gewinnen nicht-technologische Investitionen angesichts der zunehmenden Ergänzung des industriellen Leistungsangebots mit produktnahen Dienstleistungen an Bedeutung. Untersuchungen zeigen jedoch auch, dass Investitionen in wissensbasiertes Kapital, wie z.B. Software, Datenbanken, Patente, Lizenzen und Weiterbildung, als zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung und für Innovationen in deutschen Unternehmen – und insbesondere bei KMU – im internationalen Vergleich bislang eher unterdurchschnittlich ausfallen.

Das „deutsche Arbeitsmarktwunder“ und die rückläufige Produktivität

Durchweg erfreulich stellt sich dagegen die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt dar. Mit einer Erwerbstätigenzahl von zuletzt über 45 Mio. haben wir einen neuen Beschäftigungsrekord in Deutschland erreicht. Allerdings erklärt das – im Ausland vielfach beneidete – „deutsche Arbeitsmarktwunder“ auch einen Teil des rückläufigen Produktivitätswachstums: Der kräftige Beschäftigungszuwachs seit Mitte der 2000er Jahre – selbst über die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hinweg – speiste sich nicht nur aus gut ausgebildeten Beschäftigten, sondern bot gerade auch den geringer Qualifizierten die Möglichkeit, am Arbeitsmarkt zu partizipieren. Diese sozialpolitisch erfreuliche und gewünschte Integration von Arbeitskräften mit eher unterdurchschnittlicher Qualifikation in den Arbeitsmarkt dämpfte allerdings die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität. Die Verlangsamung des Produktivitätswachstums in Deutschland seit Mitte der 2000er Jahre kann zu einem großen Teil durch diese Entwicklung erklärt werden.

Welche wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen können aus den dargestellten Zusammenhängen mit Blick auf eine Steigerung der Produktivität der deutschen Wirtschaft gezogen werden? Wie können vor allem die Produktivitätspotenziale der Digitalisierung stärker genutzt werden? Aus meiner Sicht ergeben sich drei zentrale Handlungsfelder: eine zügige Verbesserung der digitalen Infrastruktur (Festnetz, Mobilfunk), die Unterstützung von KMU bei der Digitalisierung sowie Maßnahmen zur Erleichterung digitaler Innovationen und neuer, digital basierter Geschäftsmodelle.

Digitale Infrastruktur zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands

Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung und damit eine Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in einer digitalisierten Welt ist eine hochleistungsfähige digitale Infrastruktur. Zur Unterstützung des Breitbandausbaus insbesondere im ländlichen Raum bzw. schlecht erschließbaren Gebieten wurde deswegen ein Sondervermögen Digitale Infrastruktur eingerichtet. Im Rahmen des Bundesförderprogramms für den Breitbandausbau sollen Kommunen neben den bisherigen Mitteln in Höhe von 4,4 Milliarden Euro zusätzlich bis zu 12 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode zur Förderung des lokalen Ausbaus gigabitfähiger Netzinfrastrukturen zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist ein möglichst flächendeckender Breitbandausbau unter Anbindung aller Haushalte in Deutschland mit mindestens 1 Gbit/s bis zum Jahr 2025.

Bei Mobilfunk und mobilem Internet müssen wir weiße Flecken zügig schließen und eine flächendeckende leistungsfähige Mobilfunkversorgung für möglichst alle Nutzer erreichen. Gemeinsam mit Ländern, kommunalen Spitzenverbänden sowie Mobilfunknetzbetreibern hat die Bundesregierung beim Mobilfunkgipfel im Juli 2018 ein Maßnahmenprogramm verabschiedet, mit dem bis Ende 2020 insbesondere eine 99-prozentige Mobilfunkversorgung der Haushalte erreicht werden soll. Bei der aktuell anstehenden Frequenzversteigerung werden verpflichtende Ausbauauflagen erlassen, womit ein großer Schritt getan ist für eine flächendeckende Mobilfunkabdeckung zum einen und den Einstieg in die Zukunftstechnologie 5G zum anderen. Weitere Schritte werden folgen, um rasch eine flächendeckende Versorgung mit hochleistungsfähigen mobilen Breitbanddiensten zu gewährleisten.

Digitalisierung im Mittelstand voranbringen

Eine zukunftsfeste digitale Infrastruktur ist aber nur eine – wenn auch zentrale – Voraussetzung für das Gelingen des digitalen Wandels in der deutschen Wirtschaft. Darüber hinaus kommt es auch auf eine erfolgreiche Implementierung digitaler Technologien in den Unternehmen an. Gerade KMU sowie Handwerksbetriebe stellt die Digitalisierung oft vor enorme Herausforderungen: Produktions- und Arbeitsprozesse müssen digitalisiert sowie mit datenbasierten Dienstleistungen verknüpft werden. Mitarbeiter sind zu schulen und Arbeitsplätze müssen angepasst werden. Mit dem Förderschwerpunkt „Mittelstand-Digital“ unterstützt die Bundesregierung die digitale Transformation der Wertschöpfungsprozesse von KMU sowie von Handwerksbetrieben. Mittelstand-Digital bietet praxisnahe Anschauungs- und Erprobungsmöglichkeiten von digitalen Anwendungen, bündelt vorhandenes Wissen zur Digitalisierung und transferiert es an Multiplikatoren. Zentraler Bestandteil des Förderschwerpunktes sind die Mittelstand-4.0-Kompetenzzentren, die ein wissenschaftlich basiertes, kostenfreies und auf KMU und Handwerksbetriebe zugeschnittenes Angebot bereitstellen. Mit einem neuen Förderprogramm „Investitionszuschuss Digitalisierung im Mittelstand“ sollen zudem gezielt Anreize für KMU geschaffen werden, um ihre digitalen Geschäftsprozesse zu verbessern und neue Geschäftsmodelle zu generieren. Hierzu sollen KMU bei Investitionen in notwendige digitale Technologien und in IT-Sicherheit unterstützt werden.

Ein wesentliches Merkmal der Digitalisierung ist die Entstehung neuer, oft als „disruptiv“ bezeichneter Technologien. Dazu zählen der 3D-Druck, die Blockchain-Technologie, Künstliche Intelligenz, aber auch neue Geschäftsmodelle und digitale Plattformen. Nicht selten kann der erste Anbieter auf einem Markt eine dominierende Stellung einnehmen („Winner-takes-it-all“- Dynamik).

Rahmenbedingungen setzen und Innovationen fördern

Neben Fragen einer geeigneten digitalen Wettbewerbsordnung (Wettbewerbsrecht 4.0) ist es daher wichtig, das kreative Potenzial in Deutschland auszuschöpfen und uns selbst an die globale Spitze digitaler Innovationen und potenzieller Anwendungsmöglichkeiten zu setzen. Im Rahmen der „Transferinitiative“ unterstützt die Bundesregierung Unternehmen darin, Forschungsergebnisse schneller in Produkte und Verfahren umzusetzen. Gemeinsam mit den beteiligten Akteuren, insbesondere aus der Wirtschaft, wird erörtert, wie bestehende Instrumente des Technologietransfers verbessert und gegebenenfalls neue entwickelt werden können.

Einen weiteren, unkonventionellen Ansatz der Innovationsförderung verfolgen wir mit der Gründung einer Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen: Die Agentur verschafft herausragenden, kreativen und innovationserfahrenen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Wirtschaft – den sogenannten Innovationsmanagerinnen und -managern – Freiräume, um aus einer konsequenten Anwendungsperspektive heraus hochinnovative Ideen aus Forschung und Entwicklung in anwendungsreife Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen zu überführen.

In Zeiten neuer, digitaler Technologien und Dienstleistungen bei gleichzeitig immer kürzeren Innovationszyklen besteht die Herausforderung, regulatorische Freiräume – unter Wahrung notwendiger Schutzstandards – zu schaffen, die diese Entwicklungen ermöglichen. Mit der Strategie „Reallabore als Testräume für Innovation und Regulierung“ unterstützt die Bundesregierung die Erprobung neuer Technologien und Geschäftsmodelle, die mit dem bestehenden Rechts- und Regulierungsrahmen nur bedingt vereinbar sind, um diese in zeitlich und räumlich begrenzten Experimentierräumen zu testen. Ziel ist nicht zuletzt eine bessere Nutzung bestehender Experimentierklauseln sowie eine innovationsoffene und flexible Weiterentwicklung des regulatorischen Rahmens. Daneben sind die Veröffentlichung eines Handbuchs zu Reallaboren und der Aufbau eines Netzwerks sowie Reallabore-Wettbewerbe geplant.

Die Basis für den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft sind unternehmerische Kreativität, Gründergeist und Innovationsfreude. Mit den dargestellten Maßnahmen wollen wir diese Innovationskraft insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung unterstützen und fördern. Nur so können Produktivitätspotenziale des digitalen Wandels gehoben werden, der Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb um Ideen attraktiv bleiben und auch langfristig Wachstum und Wohlstand in Zeiten der Digitalisierung gesichert werden.



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