Produktivitätsdialog: Die Corona-Krise und der Strukturwandel

Claudia WiggenbrökerFreie Wirtschaftsjournalistin

Gestern Nachmittag lud der Sachverständigenrat, gerne auch „Wirtschaftsweise“ genannt, zum dritten Mal zu einem „Nationalen Produktivitätsdialog“* ein. Dieser ist auch uns einen Bericht wert – da unser Blog Inclusive Productivity sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt, wie die Transformation der deutschen Wirtschaft gelingen kann.

„Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Lage“

Das sagte Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrats und Professorin für Wirtschaftstheorie.  Deutschland steckt in einer tiefgreifenden Transformation, nun auch mit einer neuen Regierung. Und es hofft auf das Ende einer Pandemie.

Das aktuelle Gutachten der Wirtschaftsweisen steht daher im Zeichen der Corona-Krise und des Strukturwandels. In der gestrigen Diskussion wurden daraus folgende Punkte, die Deutschland zukünftig beachten sollte, aufgegriffen:

  • Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit in den Fokus rücken
  • Das Potential der Datenökonomie heben
  • Rahmenbedingungen für private Investitionen verbessern
  • Subventionen auf den Prüfstand stellen und abbauen, Überförderung vermeiden
  • Rahmenbedingungen für Gründungen und geordnete Marktaustritte verbessern

Hilfsmaßnahmen und ihre Schattenseiten

Die Corona-Krise, so Veronika Grimm, sei „keine normale Krise“ gewesen. Die Zahl der Insolvenzen und der Jobverluste war wesentlich geringer. Dass diese Welle noch nachgeholt werden könnte, prognostizieren die Sachverständigen nicht. Zurückzuführen ist die positive Entwicklung auf die diversen Hilfsmaßnahmen. Die Wirtschaftsweisen mahnen hier allerdings auch die Gefahren an.

Diese sieht auch Mitdiskutant und Gewerkschafter Michael Vassiliadis. Mit Kurzarbeit und dem Eingriff des Staates habe man „nicht nur Gutes getan“. Dies hätte für Verzögerungen in der wirtschaftlichen Dynamik gesorgt. Die Hilfsmaßnahmen nicht zu ergreifen, wäre allerdings auch nicht zielführend gewesen.

Steffen Saebisch, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, folgt der Einschätzung. Dass der Sachverständigenrat keine Insolvenzwelle prognostiziert, zeige, dass die Mittel erfolgreich eingesetzt wurden. Im nächsten halben Jahr müsse man aber verstärkt darauf schauen, welche Branche man stärker beachten muss – und wo man Überförderung vermeiden sollte.

Der Staatssekretär teilt die Forderung der Sachverständigen, private Investitionen – die einen Großteil des Investitionsvolumens in Deutschland ausmachen – zu fördern und anzureizen. Dafür müssten auch administrative Hürden abgebaut werden. Auch Sachverständige Grimm betont, wie wichtig es ist, die Umsetzung von Investitionsvorhaben zu beschleunigen.

„Es geht darum, Tempo zu entfalten.“

Fachkräfte anwerben

Deutschland brauche Dynamik, sagt auch Sven Giegold. Er ist Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Dafür seien Innovationen und Wettbewerb nötig – und Fachkräfte. „Wir müssen eine Doppelstrategie fahren.“ Man müsse mehr Personal aus dem Ausland gewinnen. Und man bräuchte eine Produktivitätssteigerung beim Faktor Arbeit – durch Bildung.

Die Gründerin Miriam Wohlfahrt kennt den Fachkräftemangel aus der Praxis. Vor allem Software-Entwickler seien schwer zu finden. Man müsse mehr Frauen in diese Berufe holen.

Wohlfahrt rekrutiert weltweit, um genug Personal zu bekommen. Doch die deutsche Bürokratie macht es ihr nicht leichter. Es sei ein hoher Aufwand, Arbeitsvisa zu beantragen. Sie verweist nach Frankreich, wo es „Tech Visa“ gibt. Sie zielen speziell darauf ab, Start up-Talente ins Land zu holen. Zudem müsste in deutschen Unternehmen Englisch zur Firmensprache werden, auch wenn dies teils mühsam sei.

Ein weiteres Hindernis sieht OECD-Generalsekretär Mathias Cormann: Für 70 Prozent der Berufe in Deutschland sei es nötig, Zertifizierungen vorzuweisen – mit Abstand der höchste Wert in der OECD. Das sei zwar gut gemeint, beispielsweise im Sinne des Verbraucherschutzes, könne aber die Dynamik lähmen.

Fachkräfte ausbilden

Im Bildungsbereich habe man nun die Chance, an den Digitalisierungsschub anzuknüpfen, sagt Sachverständige Grimm. „Aber es gibt noch viel zu tun.“ Zunächst müssten die Lernrückstände aus der Corona-Zeit aufgeholt werden. Zudem müsse man die Chancengleichheit unter den Schülerinnen und Schülern verbessern.

Grimm betont, dass es ebenfalls wichtig ist, lebenslanges Lernen zu erleichtern. Manche Berufe könne man körperlich nicht bis zur Rente ausüben. Zudem bräuchten Menschen Chancen, um auf Krisen zu reagieren.

„Die Stärkung von Weiterbildung dürfte entscheidend sein.“

Nachhaltig werden

Entscheidend für die grüne Transformation sei dieses Jahrzehnt, so Grimm weiter. „Hier ist Mut zur Veränderung gefragt.“ Und der Mut des Staates, den Ordnungsrahmen für eine nachhaltigere Entwicklung zu schaffen. Das käme in der Gesellschaft nicht nur gut an.

Michael Vassiliadis, Chef der IG BCE, begrüßt es, dass Nachhaltigkeit von der neuen Bundesregierung in den Fokus gerückt wurde. Er hat allerdings den Eindruck, dass ein Punkt bislang zu kurz kommt: Es ginge nicht nur darum, dass man das Ziel einer emissionsarmen Wirtschaft erreicht – sondern auch darum, dass man dieses Ziel effizient erreicht. Man müsse sich fragen, ob man den „besten Weg“ einschlägt. „Ich will das damit nicht erschweren, aber das ist ein Gebot des Realismus und des Projekterfolgs.“

Nachhaltigkeit und Soziales vereinen

Grimm betont, dass auch die soziale Komponente nicht zu kurz kommen darf. Man müsse Klimaschutz betreiben und gleichzeitig die Chancen der Menschen am Arbeitsmarkt stützen. „Die größte Herausforderung ist, Chancen auf Dauer zu wahren.“ Und zwar jene der aktuellen Akteure und jene zukünftiger Generationen – auch, wenn die Diskussion schwierig sei.

Gerade in der schwierigen Übergangsphase müsse man effizient, pragmatisch und ehrlich sein. Und Akteuren signalisieren: „Das geht alles.“ Nur dann würden auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen berechenbar.

Plattformdienste nutzen

Gerade in der Shutdown-Phase habe es eine wachsende Bedeutung von Daten in der Wertschöpfung gegeben, sagt Monika Schnitzer. Sie ist Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung und Mitglied des Sachverständigenrats. In Deutschland habe die private Plattformnutzung zugenommen, beispielsweise von Lieferdiensten oder digitalen Marktplätzen.

Der Anteil von Unternehmen, die Plattformdienste und Cloud-Ökosysteme nutzten, war indes gering. Die Gründe dafür liegen laut den Betrieben in einer fehlenden Anschlussfähigkeit und in Bedenken beim Datenschutz. Dabei könnte gerade Cloud-Computing die Produktivität steigern, so Schnitzer, da Unternehmen nicht selbst eine IKT-Infrastruktur aufbauen müssen. Hinzu komme eine hohe Flexibilität. Aber auch hier gäbe es wieder Bedenken beim Datenschutz. Betriebe fürchteten unberechtigten Zugriffe auf sensible Daten.

Henning Kargermann erlebt ein Déjá vu. Er ist Mitglied des Beirats „Zukunft der Arbeit“ der IG Metall. Schon vor nahezu 20 Jahren habe man unter anderem über die digitale Transformation der Verwaltung gesprochen. In der Krise habe man gesehen, wie wichtig Fortschritte hier gewesen wären.

Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder betont, dass es nicht so sei, als ob man sich in Deutschland gar nicht bewegt hätte.

„Wir müssen aber feststellen, dass andere schneller sind als wir.“

OECD-Generalsekretär Mathias Cormann sieht unter anderem strukturelle Hindernisse. Der Anteil von Glasfaser in Deutschland sei zu gering. Der Ausbau gerade auf dem Land sei bedeutsam, besonders, um die Digitalisierung von kleineren Unternehmen zu fördern.

© Discover Savsat – unsplash.com

Haltung zu Plattformen verändern

Rohleder von Bitkom sieht ebenfalls ein Haltungsproblem in Deutschland. „Wir haben Spaß daran, große und erfolgreiche Unternehmen zu kritisieren.“ Natürlich gäbe es bei den großen Playern viele Punkte für berechtige Kritik. Dennoch dürfe man nicht vernachlässigen, dass Amazon und Co. die Bedürfnisse der Kunden erkennen und befriedigen.

Teils können sie auch Märkte demokratisieren. Dies sei beispielsweise beim Musik-Streamingdienst Spotify der Fall. Künstler hätten nun fernab großer Labels die Möglichkeit, ihre Musik zu veröffentlichen.

Ferner sei es auch einfach nicht realistisch, solche Anbieter vom deutschen Markt ausschließen zu wollen. Auch Henning Kargermann betont, dass die Dienste in allen Bereichen Vorteile haben. „Wir brauchen die Plattformen.“

Eigene Plattformdienste etablieren

Doch nicht nur bei der Nutzung gehörten die deutschen Unternehmen nicht zur Spitze. Sie waren in der EU auch nicht unter den Profiteuren der gestiegenen Plattform-Nutzung. Im Vergleich zu amerikanischen oder chinesischen IKT-Firmen sei man sogar weit abgeschlagen im Bereich Big Data.

Es gebe aber noch Chancen, im Bereich Plattform-Ökonomie erfolgreich zu werden, meint Rohleder: In den Branchen, in denen man mit hochsensiblen Daten zu tun habe. Das gelte für die Bildung und die Gesundheit. Gerade bei Letzterem sieht Rohleder Potentiale. Ebenfalls interessant sei der Mobilitätsdaten-Raum. „Mit dem werden wir Deutschland, Europa, vielleicht auch die Welt auf das autonome Fahren vorbereiten.“ Es sei aber relevant, schnell zu skalieren, schnell zu internationalisieren, schnell groß zu werden.

Auf den Bereich Automobilität blickt Monika Schnitzer pessimistischer. „Man sieht in der Branche ein großes Beharrungsvermögen.“ Weder die Industrie noch die alternde Gesellschaft habe erkannt, dass man durch autonomes Fahren das Mobilitätspotential im Alter steigern könne. Hinzu käme, dass man in Europa keinen einheitlichen Markt habe, sondern eine fragmentierte Regulierung. Das mache das Skalieren schwierig.

Immerhin, wirft Kargermann ein, habe Deutschland die Gesetze schnell angepasst, um den Weg für das autonome Fahren frei zu machen. Rohleder vom Branchenverband Bitkom meint, dass wir in Deutschland zu viel über Politik reden. Natürlich brauche man einen politischen Rahmen – aber Unternehmen bräuchten auch ein hellwaches Management. Viele Manger würden gegenüber Bitkom angeben, dass sie in ihrer Tätigkeit keine Zeit für digitale Belange hätten.

 

*Produktivitätsbericht ergänzt Jahresbericht des SVR

Vor dem Hintergrund stagnierender Produktivitätsentwicklung in fast allen entwickelten Volkswirtschafen wurde auf Vorschlag der Europäischen Kommission in jedem Land der Eurozone ein so genanntes „National Productivity Board“ eingerichtet.

In Deutschland hat der SVR diese Rolle übernommen. Seither wird der herkömmliche Jahresbericht des SVR durch einen Produktivitätsbericht ergänzt. Dessen Ergebnisse werden beim jährlichen „Nationalen Produktivitätsdialog“ präsentiert und diskutiert.



Kommentar verfassen