Innovation for Transformation: Austausch und Vernetzung in missionsorientierten Innovationsprozessen

Dr. Daniel Schraad-TischlerBertelsmann Stiftung

Dr. Jan C. BreitingerProgramm Nachhaltig Wirtschaften

Dr. Hendrik BerghäuserFraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI

Dr. Thomas Jackwerth-RiceFraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI

Dr. Ralf LindnerFraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI

Wie kann man die Innovationskraft in Deutschland und Europa fördern? Gemeinsam mit dem Fraunhofer ISI macht die Bertelsmann Stiftung Vorschläge für Strategien, Politiken und Instrumente, die auf einer umfangreichen internationalen Good-Practice-Recherche basieren. Die Autoren der entstandenen Ergebnispapiere fassen ihre Erkenntnisse in der Serie „Innovation for Transformation“ für uns zusammen. Im zweiten Beitrag geht es darum, wie sich übersektorale Innovationsprozesse realisieren lassen.

Es klingt trivial: Innovation entsteht durch Zusammenarbeit und Austausch über Grenzen aller Art hinweg. Damit Neues entstehen kann, müssen unverbundene Punkte miteinander verknüpft, müssen Informationen in neuen Formen zusammengesetzt werden.

Im Innovationsdiskurs ist daher viel von Offenheit und Perspektivenvielfalt die Rede. Aber: Was heißt das in der Praxis? Wie schafft man die Rahmenbedingungen für einen fruchtbaren Austausch über sektorale und sonstige Grenzen hinweg und bringt verschiedene Akteure dazu, ihr Handeln auf ein gemeinsames Ziel auszurichten?

Gesellschaftliche Bedürfnisse gemeinsam erkennen und stillen

Insbesondere für Innovationen mit gesellschaftlicher Relevanz sind diese Fragen von Bedeutung, finden gesellschaftliche Bedürfnisse bisher doch nur selten Eingang in (unternehmerische) Innovationsaktivitäten. Dabei sind es gerade diese Bedürfnisse, die vor allem durch eine verstärkte Zusammenarbeit von Unternehmen, öffentlichem Sektor, Wissenschaft und Zivilgesellschaft identifiziert und schließlich gestillt werden können.

Ob es um die Umsetzung von Circular-Economy-Konzepten, die Etablierung nachhaltiger Mobilitätssysteme oder die Nutzung von KI in der Pflege geht – zu vielgestaltig und querschnittsartig sind die Herausforderungen, als dass sie nur von einem Sektor bewältigt werden könnten.

Es braucht daher mehr Austausch und Vernetzung zwischen Akteuren verschiedenster Herkunft, und dies auf zwei Ebenen: Zum Ersten auf der Strategieebene, auf der innovationspolitische Missionen gemeinschaftlich ausgehandelt werden müssen. Und zum Zweiten in der praktischen Innovationsarbeit – also dort, wo neue Produkte und Dienstleistungen erdacht und kreiert werden.

Wir gehen dabei von der Annahme aus, dass die institutionalisierte Vernetzung verschiedener Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, dem öffentlichen Sektor und der Zivilgesellschaft eine wesentliche Bedingung ist, um mittels innovativer Technologien und Lösungen die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und gleichzeitig drängende gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen.

Durch die strategische Vernetzung dieser Akteure können Kompetenzen komplementär verbunden und Neuerungen zielgenauer an gesellschaftlichen Bedarfen ausgerichtet werden. Zudem können Innovationen auf diese Weise besser diffundieren. Der Aufbau von Infrastrukturen für derlei Austauschprozesse ist damit ein wichtiger Baustein eines ganzheitlichen Innovationsansatzes (s. Abbildung).

 

Drei Formen der Vernetzung

Von den vielen Vernetzungsformen, die sich in der praktischen Innovationsarbeit finden lassen, stehen hier drei im Mittelpunkt:

  • Cluster-Konzepte, durch die geographisch konzentrierte, jedoch heterogene Akteure an gemeinsamen Zielen arbeiten können
  • Matching-Lösungen, die Anbieter und Nachfrager von Innovationen zusammenbringen
  • Kooperative (Forschungs-)Infrastrukturen zur langfristigen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Form einer Public-Private-Partnership

Bei allen drei Vernetzungsformen handelt es sich um eher „klassische“ Instrumente der (regionalen) Innovations- und F&E-Förderung. Unsere Beispiele zeigen jedoch, wie sich diese Instrumente weiterentwickeln lassen, um neben der Förderung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls Ziele einer missionsorientierten Innovationspolitik zu erreichen.

Cluster-Konzepte: Heterogene Akteure mit gemeinsamen Zielen regional verbinden

Unterschiedliche Akteure aus einer Region an einem Ort zusammenbringen, um gemeinsam an neuen Ideen zu arbeiten – was einfach klingt, ist in der Praxis oft herausfordernd. Dies gilt insbesondere für die Arbeit an gesellschaftlich relevanten Innovationen. Zwar gibt es auch in Deutschland zahlreiche  Cluster und Innovationszentren, allerdings mangelt es oft an der Einbeziehung politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure, wodurch letztlich wichtige Perspektiven und Kompetenzen außen vor bleiben.

Die Beispiele der schwedischen Science Parks Lindholmen (Göteborg) und Ideon (Lund) veranschaulichen, dass es auch anders geht. Beiden Parks ist der sogenannte Quadruple-Helix-Ansatz gemein: Neben privatwirtschaftlichen Akteuren (Konzerne und Start-ups) und Forschungseinrichtungen wirken auch der öffentliche Sektor und die Zivilgesellschaft an Innovationsprojekten mit. In Lindholmen sind das beispielsweise Vertreter:innen der Stadt sowie der Region Västra Götaland.

So stellt man sicher, dass bei Innovationen in Querschnittsbereichen – wie etwa im Mobilitätssektor – alle relevanten Stakeholder mit am Tisch sitzen. In der Folge diskutieren politische Entscheidungsträger:innen mit Umsetzer:innen und potenziellen Endnutzer:innen – die Passgenauigkeit von Neuerungen erhöht sich so enorm.

Auch in Deutschland ließe sich die bestehende Vernetzungsinfrastruktur stärker auf gesellschaftliche Problemlagen ausrichten. Vielversprechende Ansatzpunkte wären der Auf- und Ausbau von Quadruple-Helix-Strukturen und zudem die inhaltliche Orientierung von Innovationszentren an gesellschaftlichen Bedarfen – zum Beispiel in Form der SDG.

Matching-Lösungen: Nachfrage und Problemlösung schnell und effektiv zusammenführen

Auch das Konzept der Matching-Lösung – allseits bekannt durch  zahlreiche digitale Plattformen in allen möglichen Bereichen – lässt sich als innovationspolitisches Instrument nutzen. Gerade digitale Plattformen bieten sich dabei aufgrund niedriger Transaktionskosten, starker Netzwerkeffekte und einer potenziell großen räumlichen Reichweite an.

Als Erfolgsbeispiel zu nennen ist Start-Up Nation Central aus Israel, eine Plattform, auf der sich israelische (Hightech-)Start-ups mit Großunternehmen verknüpfen können. Die Plattform vergrößert die (internationale) Sichtbarkeit der jungen Unternehmen und positioniert diese als impulsgebende Trendsetter.

Zwar fokussiert die Plattform hauptsächlich die Förderung des Gründungsstandorts Israel, jedoch hat man in den vergangenen Jahren auch Programme zur Inklusion unterrepräsentierter oder benachteiligter Bevölkerungsgruppen entwickelt, wie etwa Frauen in MINT-Berufen. Auf diese Weise leistet Start-Up Nation Central über die Start-up-Förderung hinaus einen Beitrag zur gesellschaftlichen Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung.

© Taylor Brandon – unsplash.com

Ein weiteres Beispiel wäre die von der EU bis 2019 betriebene Social Challenges Innovation Platform, die Anbieter:innen und Nachfrager:innen sozialer Innovationen verband. Durch die explizite Ausrichtung an vorab definierten Herausforderungen stärkte diese digitale Plattform die Entstehung und Verbreitung gemeinnütziger Innovationen.

Weiterhin ist das Angebot an solchen Matching-Plattformen in Deutschland und Europa deutlich ausbaufähig, vor allem zur Förderung von Start-ups und gesellschaftlich wünschenswerter Innovationen.

Oder auch zur Verbesserung des Personaltransfer zwischen Forschung und Anwendung, wofür die kanadische Organisation Mitacs vorbildlich wäre. Der Aufbau entsprechender Plattformen wäre also durchaus angeraten. Beispielsweise könnte ein Ansatz darin bestehen, die Konzepte von Start-Up Nation Central und der europäischen Social Challenges Innovation Platform zu verbinden und so eine Matching-Plattform zu erschaffen, auf der (Hightech-)Unternehmen ihre Lösungen für gesellschaftlich relevante Probleme weithin sichtbar präsentieren können.

Kooperative Infrastrukturen: Forschung und Privatwirtschaft strategisch verknüpfen

Kooperative (Forschungs-)Infrastrukturen,etwa in Form von Industry-on-Campus-Konzepten,  dienen typischerweise der langfristigen Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen und Privatunternehmen (Public-Private-Partnership) zur Umsetzung von Entwicklungsvorhaben. Auch diese Art der Zusammenarbeit lässt sich zur Lösung gesellschaftlicher Probleme nutzbar machen, wie der Blick nach Australien und Kanada zeigt.

So widmet sich das australische Cooperative Research Centres Program Herausforderungen wie Katastrophenschutz oder Cybersicherheit. Dabei wird das herkömmliche Instrument der Public-Private-Partnerships um eine starke Endnutzerorientierung sowie den Fokus auf gesellschaftliche und regionalspezifische Herausforderungen erweitert.

Das höchst renommierte Mila (Montreal Institute for Learning Algorithms) mit Sitz in Montreal zielt auf eine wertebasierte und gesellschaftlich wünschenswerte Entwicklung von KI ab.

Zu diesem Zweck verknüpft dieses außeruniversitäre Forschungslabor Grundlagenforschung mit unternehmerischer Anwendung, betreibt interdisziplinäre Forschungsprojekte und pflegt ein weltweites Forschungsnetzwerk. Zudem war Mila an der Entwicklung der Montreal Declaration for a Responsible Development of AI beteiligt, einer normativen Richtlinie für die KI-Entwicklung in Kanada.

Auch von diesen Beispielen ließe sich in Deutschland etwas lernen. So könnten hiesige Kooperationsinitiativen stärker werteorientiert und sektorenübergreifend angelegt werden und den Endnutzer stärker ins Zentrum ihres Wirkens rücken. Das bestehende Forschungscampus-Programm böte hierfür eine gute Ausgangsbasis, die thematisch und organisatorisch entsprechend weiterentwickelt werden könnte.

Das vorhandene Instrumentarium neu ausrichten

Die Fallbeispiele verdeutlichen, wie die Vernetzung verschiedener Akteure, die Öffnung von Innovationsprozessen und das Zusammenspiel komplementärer Kompetenzen und Wissensbestände Synergien schaffen können – mit positiven Folgen für Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie gesellschaftlichen Fortschritt.

Auch in Deutschland braucht es mehr Maßnahmen, um sektorale Grenzen zu überwinden sowie Innovationsprozesse offen und partizipativ zu gestalten und auf gesellschaftliche Problemstellungen auszurichten.

Dabei lässt sich auf die dichte und ausdifferenzierte Vernetzungsinfrastruktur zurückgreifen, die in den letzten Jahrzehnten hierzulande entstanden ist. Es muss also nicht alles neu erfunden werden; vielmehr gilt es, mittels ambitionierter Visionen und beherzter politischer Führung das bestehende Instrumentarium im Sinne eines ganzheitlichen und zukunftsfähigen Innovationsansatzes neu zu gestalten.

 

Diesem Beitrag liegt die gemeinsam von der Bertelsmann Stiftung und dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ISI verfasste Studie „Good-Practice-Beispiele für missionsorientierte Innovationsstrategien und ihre Umsetzung“ zugrunde. Diese erscheint in der Serie „Innovation for Transformation“. In dieser stellen wir Strategien, Politiken und Instrumente vor, die geeignet sind, die Innovationskraft in Deutschland und Europa zu fördern. Zum einen, um technologisch – und damit wirtschaftlich – wettbewerbsfähig zu bleiben. Und zum anderen, um durch Innovation die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Hierfür wurden Good-Practice-Beispiele aus 13 Ländern analysiert.

Der nächste Beitrag dieser Serie befasst sich mit dem Thema Sprunginnovationen.



Kommentar verfassen