Deutschland braucht Fachkräfte – in der Pandemie und auch danach

Dr. Matthias M. MayerBertelsmann Stiftung

Der strategischen Fachkräftesicherung kommt eine große Bedeutung für die Zukunft des deutschen Wirtschaftsstandorts und für die Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu. Denn zu gewährleisten, dass dem Arbeitsmarkt genügend gut ausgebildete Arbeitnehmer:innen zur Verfügung stehen, wirkt Engpässen und mangelnden Passgenauigkeiten auf dem Arbeitsmarkt entgegen.

Diese treten unter anderem wegen Lücken zwischen Angebot und Nachfrage in Bezug auf Qualifikationen, Regionen und Sektoren auf. Aber auch der Blick nach vorne ist von zentraler Bedeutung, da Digitalisierung, der demografische Wandel und die sozial-ökologische Transformation das Verhältnis von Arbeitsangebot und -nachfrage in den kommenden Jahren massiv beeinflussen werden.

Fachkräfteengpässe treten auch während der COVID-19-Krise auf

Selbst in Zeiten der Corona-Pandemie, in der Unternehmen weniger rekrutieren als davor, stellen Engpässe bei Fachkräften – also bei Personen mit Hochschulabschluss oder einer Berufsausbildung – eine Herausforderung für die deutsche Wirtschaft dar.

So zeigt der Fachkräftemigrationsmonitor der Bertelsmann Stiftung, dass 54 Prozent der Unternehmen mit Fachkräfteengpässen für das Jahr 2021 rechnen. Im vergangenen Herbst gaben 55 Prozent der Unternehmen an, über weniger Fachkräfte als benötigt zu verfügen.

Am stärksten war der Bedarf an Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung (37 %), gefolgt von Akademiker:innen (27 %).

Die Situation stellt sich je nach Betriebsgröße, Berufsfeld und Region unterschiedlich dar.

Der Bedarf an Hochschulabsolvent:innen steigt mit der Unternehmensgröße. So klagen etwa ein Drittel der Unternehmensentscheider:innen in großen Unternehmen über Engpässe, bei kleinen Unternehmen waren es nur knapp ein Fünftel.

 

Situation stellt sich in Ostdeutschland anders dar

Betrachtet man die Befragungsergebnisse nach den ost- und westdeutschen Bundesländern getrennt, fallen ein paar kleinere Unterschiede auf.

So gaben im Befragungszeitraum (Herbst 2020) etwas mehr Unternehmen in den westdeutschen Bundesländern an (56 %), Fachkräfteengpässe zu verzeichnen als in den ostdeutschen Bundesländern (knapp 52 %). Außerdem sind in Westdeutschland (28 %) die Engpässe bei Akademiker:innen stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland (21 %).

Anders ist die Situation bei Engpässen bei Personen im mittleren Qualifikationssegment. Ostdeutsche Unternehmensentscheider:innen (38 %) geben an, dass sie hier geringfügig höhere Engpässe haben als ihre westdeutschen Kolleg:innen (37 %).

Mit Blick auf die erwarteten Engpässe im Jahr 2021 fällt auf, dass 57 Prozent der ostdeutschen Unternehmen mit Fachkräfteengpässen rechnen. Für westdeutsche Unternehmen ist die Zahl mit knapp 54 Prozent ein wenig niedriger.

Fachkräftegewinnung aus dem Ausland mit untergeordneter Rolle

Um dem Mangel an Fachkräften entgegenzuwirken, setzen die befragten Unternehmen in erster Linie darauf, neue Mitarbeiter:innen auszubilden sowie das vorhandene Personal durch Weiterbildung und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf im eigenen Betrieb zu halten. Nur 17 Prozent gaben dagegen an, Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren.

Auffällig ist, dass ostdeutsche Unternehmen generell weniger unternehmen, um Fachkräfteengpässe aktiv zu reduzieren.

28 Prozent der ostdeutschen Unternehmensentscheider:innen gaben beispielsweise an, nichts gegen Fachkräfteengpässe zu unternehmen, in Westdeutschland waren es nur 18 Prozent.

Außerdem rekrutieren auch deutlich weniger ostdeutsche Unternehmen Fachkräfte aus dem Ausland, nämlich nur 12,5 Prozent. Dieser Wert liegt deutlich unter den 18 Prozent der westdeutschen Unternehmen, die angeben, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.

Unternehmen, die Fachkräfte aus dem Ausland rekrutieren, berichten, dass sie vor allem Personal aus der EU sowie anderen europäischen Ländern anwerben, gefolgt von Asien und dem Mittleren Osten. Sehr wenig Erfahrung gibt es mit Fachkräften aus Afrika.

Als größte Hürden bei der Anwerbung aus dem Ausland nennen die Unternehmen sprachliche Verständigungsprobleme sowie die Schwierigkeit, die im Herkunftsland erworbenen Qualifikationen richtig einzuschätzen. Rechtliche Hürden sowie Corona-bedingte Einreisebeschränkungen spielen hingegen nur eine untergeordnete Rolle.

Arbeitsmigration aus Drittstaaten 2019 auf niedrigem Niveau

Die vergleichsweise geringe Bedeutung ausländischer Fachkräfte für die Rekrutierungsbemühungen der Unternehmen spiegelt sich in den übergeordneten Trends der Zuwanderungsdaten wider.

Im Jahr 2019 – und damit vor Ausbruch der Corona-Pandemie – ging die Zahl der Zuzüge aus anderen EU-Staaten nach Deutschland um rund sieben Prozent zurück, bei einer gleichzeitig steigenden Abwanderung von EU-Bürger:innen aus der Bundesrepublik.

Die Fachkräftezuwanderung aus Drittstaaten nach Deutschlang stieg 2019 im Vorjahresvergleich unwesentlich um knapp zwei Prozent auf 39.394 und bleibt somit auf niedrigem Niveau.

Die Attraktivitätsindikatoren der OECD liefern eine Erklärung, warum die Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Deutschland bietet ihnen demnach im Vergleich mit anderen OECD-Staaten schlechtere berufliche Chancen.

Das bestätigt der Fachkräftemigrationsmonitor, da Ausländer:innen beispielsweise in geringerem Maße eine ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeit ausüben als Deutsche.

Fachkräfte aus dem Ausland werden eine wichtige Rolle spielen

Wie genau sich die Corona-Krise in Deutschland auf den Bedarf und die Zuwanderung von Fachkräften auswirken wird, ist noch nicht absehbar.

Nach aktuellem Kenntnisstand kann davon ausgegangen werden, dass die Pandemie nichts an der strukturellen Herausforderung des demografischen Wandels für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft ändert. Tatsächlich führte der Corona-bedingte Rückgang der Migration zu einem Bevölkerungsrückgang im ersten Halbjahr 2020, dem ersten seit 2010.

Zudem ist damit zu rechnen, dass die in den letzten Jahren sehr hohe EU-Zuwanderung perspektivisch sinken wird, da die meisten europäischen Mitgliedstaaten ähnlichen demografischen Entwicklungen entgegensehen wie Deutschland. Damit ist von einer gewissen ökonomischen Konvergenz auszugehen.

Deswegen wird auch die Zuwanderung aus Drittstaaten ein wichtiges Puzzlestück in der Bewältigung des demografischen Wandels sein.

Das Anfang 2020 verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiges Instrument, um Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten leichter anwerben zu können.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie konnte das Gesetz seine Wirkung aber nur eingeschränkt entfalten.

Unabhängig davon bleiben einige Stelleschrauben, an denen gedreht werden muss, um das Potenzial ausländischer Fachkräfte für Deutschland noch besser zu erschließen – auch in Anbetracht, dass nur eine kleine Zahl von Unternehmen tatsächlich Fachkräfte aus dem Ausland rekrutiert.

So ist es nötig, größere Transparenz über berufsfachliche Kompetenzen ausländischer Fachkräfte herzustellen und die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen zu erleichtern.

Eine neue Perspektive wird auch mit den sogenannten Talentpartnerschaften im EU-Migrationspakt eröffnet: Gerade im Ausbildungsbereich bedarf es internationaler Kooperationen, um die Vereinbarkeit ausländischer Berufsbildungssysteme mit dem der Bundesrepublik zu steigern.

Deutschland könnte international sogar ein Vorreiter für transnationale Ausbildungspartnerschaften werden. Dabei handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Ziel- und Herkunftsländern zur Vermittlung, Anerkennung oder Qualifizierung von Fachkräften in bestimmten Ausbildungsberufen, zum Beispiel in der Pflege.

Maßnahmen-Mix gegen Fachkräfte-Engpässe

Die nachhaltige und strategische Reduktion von Fachkräfteengpässen – auch mit Blick auf Veränderungen durch Digitalisierung, dem demografischen Wandel sowie die sozial-ökologische Transformation – braucht es einen ganzheitlichen Ansatz, der aus mehreren Wirkungshebeln besteht:

  1. Teilhabe und Beschäftigungsfähigkeit fördern, durch Aufbau, Anerkennung und Weiterentwicklung von Kompetenzen über den gesamten Erwerbsverlauf.
  2. Rahmenbedingungen für gute Arbeit, attraktive Arbeitgeber:innen und die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf schaffen.
  3. Die Ermöglichung von fairer Migration aus der EU und Drittstaaten.

So können wir als Gesellschaft die anstehenden arbeitsmarktlichen Veränderungen proaktiv und erfolgreich gestalten. Das einzuleiten wird eine Hauptaufgabe der nächsten Bundesregierung sein.

 

 



Kommentare

  1. / von Roland Schäfer

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    beim Maßnahmenmix haben Sie meiner Meinung und Erfahrung nach etwas sehr Wichtiges vergessen. Ich bin Integrationslehrer und leite meist Vorbereitungskurse für die Telc-B2 Prüfung. Ich fühle mich ausgesprochen privilegiert, diese Tätigkeit ausüben zu dürfen, weil meine Teilnehmer von vier Kontinenten kommen: Lateinamerika, Afrika, Asien und natürlich Europa. Der Austausch mit ihnen ist eine meiner wichtigsten Inspirationsquellen, da ich nur dann meine Aufgabe gut erfüllen kann, wenn ich mich selbst und meine kulturelle Identität täglich (!) infrage stelle. Durch einen Austausch, der auf dem Prinzip beruht, das wir alle zunächst und vor allem nur Menschen sind, werden mir viele falsche Gedankenkonzepte bewusst. Diese kursieren in Gesellschaft und Wirtschaft und behindern damit eine der wichtigsten Herausforderungen aller Volkswirtschaften in der Welt, nämlich die der Migrationswellen im 21. Jahrhundert. Klima, Digitalisierung, Migration müssen auf einen Nenner gebracht werden, was nur gelingen kann, wenn der Mensch in seinem Wesen berücksichtigt wird.
    Bei Ihrem Maßnahmenmix haben Sie vergessen, wie man am besten die Fähigkeiten eines Menschen erkennen kann, die/der aus einem anderen Kulturkreis kommt. Unsere Maßstäbe zur Beurteilung der Qualifikationen von Einwanderern sind natürlich westeuropäisch geprägt. Am liebsten wäre es uns, dass wir jemanden kurz einweisen und dann läuft alles wie von selbst, so wie Google, effiziente Gewinnmaximierung eben. Wenn ich in eine Umfrage gerate, dann fehlen meistens die für mich wichtigsten Fragen, weil sie der Funktionalität des Computers angepasst ist. Was sich heutzutage nicht in Zahlen ausdrücken lässt, existiert für uns einfach nicht, fertig. So entgehen uns viele potentielle Hochkaräter, die mit aus ihrer Sicht minderwertiger Arbeit abgespeist werden. Was fehlt, ist eine interkulturelle Matrix zur Beurteilung menschlicher, genauer, beruflicher Fähigkeiten. Abgesehen davon sind Deutsche trotz Reiseweltmeister keine Kosmopoliten. D.h. sie sind oft blind für Möglichkeiten, die sich jenseits des deutschen Geistes bieten. So könnten aber ganz nebenbei viele Innovationen entstehen. Mein heutiges geistiges Kapital habe ich nicht nur an Schule und Universität, sondern auch 15 Jahre im Ausland erworben. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, das Wesentlichste zu sagen.

Kommentar verfassen