Fairer Kohleausstieg für alle: Jobwechsel statt Frühverrentung fördern
Bedenken über den Verlust von Arbeitsplätzen stehen häufig im Mittelpunkt klimapolitischer Diskussion. Dies gilt ganz besonders für die traditionsreiche Kohleindustrie, die einst viele hochbezahlte Arbeitsplätze bot. In Deutschland soll spätestens 2038 Schluss mit dem Kohlebergbau und der Kohleverstromung sein, laut Ampel-Koalitionsvertrag möglichst schon 2030.
Um Perspektiven für die Belegschaften zu bieten, stellt der deutsche Staat neben umfänglichen regionalen Fördermitteln 5 Milliarden Euro für ein „Anpassungsgeld“ für Beschäftigte bereit: Sie können dadurch mit 58 abschlagsfrei in Rente. Ein aktuelles Forschungspapier von Luke Haywood, Markus Janser und Nicolas Koch prüft, wie hoch die Arbeitsmarktkosten des deutschen Kohleausstiegs sind und welche arbeitsmarktpolitische Maßnahme wirklich Abhilfe schafft.
Das Fazit lautet: Der soziale Ausgleich wäre viel effizienter, wenn man statt der Frühverrentung den Jobwechsel förderte.
Arbeitslosigkeit ist nicht das Problem
Zunächst seziert die Studie, warum der Kohleausstieg für Beschäftigte ein Problem ist. Im Fokus stehen die rund 10.000 Beschäftigten im Braunkohletagebau, vor allem in der Lausitz und im Rheinland, inklusive angehängter Dienstleister.
Um die Kosten des Ausstiegs für diese Beschäftigten empirisch fundiert abzuschätzen, stützt sich die Studie auf umfassende, anonymisierte Sozialversicherungsdaten zu den Arbeitsmarktbiografien sämtlicher Personen, die zwischen 1975 und 2017 in der Braunkohlebranche gearbeitet haben.
Die statistische Auswertung dieser flächendeckenden Erwerbsbiografien zeigt deutlich, dass der Haupttreiber der Arbeitsmarktkosten nicht die Arbeitslosigkeit ist, sondern vielmehr der Wechsel von höher bezahlten, relativ sicheren Jobs im Kohlebergbau zu weniger gut bezahlten und weniger sicheren Jobs in anderen Industrien. Neue Jobs außerhalb der Kohleindustrie bedeuten im Schnitt rund ein Viertel weniger Lohn.
Beschäftigte mittleren Alters verlieren am meisten
Dies erklärt auch, warum weder die Jüngeren noch die Älteren am meisten verlieren, sondern Beschäftigte mittleren Alters. Sie haben sich schon auf einen hohen Lohn hochgearbeitet, den sie ohne Kohleausstieg auch noch über viele Jahre erhalten würden.
Je früher der Kohleausstieg kommt, also zum Beispiel bereits 2030 statt 2038, desto mehr 30- bis 50-jährige Beschäftigte werden vom Beschäftigungsabbau und den damit einhergehenden schlechteren Job-Optionen und Verdienstmöglichkeiten betroffen sein.
Ausstiegszeitpunkt hat einen starken Einfluss auf Kosten
Die Studie beziffert ein Drittel höhere Wohlfahrtskosten für einen früheren Kohleausstieg ohne begleitende Maßnahmen in 2030 – insgesamt etwa 2,2 Milliarden Euro. Treiber dieser Zusatzkosten ist die Alterszusammensetzung der Beschäftigten.
Die Daten zeigen klar, dass die Arbeitskräfte der Braunkohlebranche immer älter werden. So stieg das Durchschnittsalter von 38 Jahren im Jahr 1992 auf 46 Jahre im Jahr 2017 an. Ein Arbeitsplatzabbau vollzieht sich seit eh und je über die Verrentung. Der Studie zufolge würden auch in den kommenden Jahren viele Beschäftigte aus dem Erwerbsleben ausscheiden: zwischen 2030 und 2038 rund 1.500 Beschäftigte. Sie wären von einem früheren Kohleausstieg in 2030 besonders betroffen.
Anpassungsgeld ist teuer und nicht zielgenau
Die mit dem Anpassungsgeld eingeführte staatlich subventionierte Frühverrentung scheint daher ein natürlicher Ansatz zum sozialverträglichen Beschäftigungsabbau. Das Anpassungsgeld hat aber maßgebliche Nachteile.
Erstens ersetzt es größtenteils bestehende Betriebsrenten. Großzügige betriebliche Vorruhestandsregelungen waren seit Langem gängige Praxis in der Braunkohleindustrie.
- In der Lausitz gingen bereits in der Vergangenheit mehr als die Hälfte der Braunkohlebeschäftigten vor Erreichen des Alters von 58 Jahren in Rente.
- Im Alter von 60 waren bereits über drei Viertel der ehemaligen Beschäftigten von Braunkohletagebauen in Rente.
Seit 2020 ersetzt das Anpassungsgeld nun die Betriebsrenten der Firmen und das ist für den Staat teuer.
Zweitens steht das Anpassungsgeld nur Beschäftigten über 58 Jahre zur Verfügung, obwohl gerade Beschäftigte mittleren Alters die größten Kosten tragen. Da das Anpassungsgeld zudem nur Beschäftigte betrifft, deren Stellen abgebaut werden, ermöglicht es den Leuten nicht, selbst auf vielversprechende Angebote auf dem Arbeitsmarkt zu reagieren. Angesichts des allgemeinen Fachkräftemangels braucht es aber Anreize zum beruflich aktiv bleiben.
Statt Vorruhestand alternative Beschäftigungsmöglichkeiten fördern
80 Prozent der ehemaligen Braunkohle-Bergleute wechseln den Daten nach in Berufe, die ebenfalls zu den zehn häufigsten Berufen innerhalb des Braunkohlebergbaus gehören.
Die beiden am häufigsten zu findenden Berufe – das sind Maschinen- und Fahrzeugmechaniker sowie Lkw-Fahrer – finden die Forscher nach dem Ausscheiden aus dem Braunkohlebergbau bei einem Drittel aller ausgeübten Berufe wieder. Diese beiden Berufe scheinen sehr robust gegenüber makroökonomischen Krisen zu sein und sind nicht auf bestimmte Branchen oder Unternehmen konzentriert. Das zeigt, dass viele der Braunkohle-Beschäftigten auch außerhalb ihrer bisherigen Branche Arbeitsoptionen haben.
Anstatt durch staatliche Zuschüsse die gängige Praxis des Vorruhestands zu fördern, könnte der Staat die Steuergelder besser dafür verwenden, es Beschäftigten zu erleichtern, mit ihrem Beruf in eine andere Branche umzusteigen.
Markus Janser und Nicolas Koch
Entgeltsicherung würde Kosten auf nahe null drücken
Die Studie schlägt hierfür eine „Entgeltsicherung“ vor: Der Staat könnte allen, die auf eine schlechter bezahlte Stelle außerhalb der Kohle wechseln, für einen begrenzten Zeitraum – zum Beispiel fünf Jahre – den Gehaltsunterschied erstatten, damit sie ihr Lohnniveau halten.
Die Inanspruchnahme der Entgeltsicherung wäre freiwillig und würde den Braunkohle-Beschäftigten die Möglichkeit geben, selbst die Initiative zu ergreifen, einen anderen Job zu suchen, ohne auf Gehalt zu verzichten. Eine ähnliche Aufstockungslösung gab es in Deutschland bereits für ältere Langzeitarbeitslose – was zeigt, dass eine Umsetzung machbar ist.
Die Analyse belegt, dass die Entgeltsicherung gerade für die heute 30- bis 50-Jährigen attraktiv sein würde, denen bislang keine Unterstützung geboten wird. Mit dem befristeten Lohnausgleich blieben sie länger in Lohn und Brot. Das kostet den Staat laut der Studie zwar 0,6 Milliarden Euro, doch die Arbeitsmarktkosten des Kohleausstiegs würden sich maßgeblich verringern – um über 90 Prozent bei einem Ausstieg in 2030, also fast auf null.
Arbeitsmarktpolitik für das postfossile Zeitalter
Anreize, um Fachkräfte im Arbeitsmarkt zu halten, sind also das A und O um die sozialen Kosten des Kohleausstiegs zu minimieren. Dass die Erkenntnisse auch auf andere Länder und Branchen übertragbar sind, etwa Kohle in den USA oder Öl und Gas in Norwegen und den Niederlanden, kann auch in der freiverfügbaren Version der Studie nachgelesen werden.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Die Gestaltung gerechter Strukturwandelprozesse: Perspektiven aus der Lausitz von Konrad Gürtler, IASS Potsdam
Wie eine Kohleregion durch Kulturarbeit grün wurde von Dr. Julia Plessing, Deutsch-Französisches Zukunftswerk
Regionale Disparitäten in der Transformation von Prof. Dr. Jens Südekum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Daniel Posch, Bertelsmann Stiftung
Kommentar verfassen