Wahre Kosten: Wie Klimakosten zu Marktanreizen beitragen
Im September 2020 zeichnete der Lebensmittel-Discounter Penny in dessen Filiale Berlin-Spandau eine geringe Anzahl an Lebensmittel-Produkten mit deren wahren Verkaufspreisen aus – inklusive der Klimakosten. Im Unterschied zu den herkömmlichen Preisen zeichnen sich diese sogenannten wahren Kosten (True Costs) von Produkten dadurch aus, dass in diese auch Umwelt- und soziale Folgekosten eingehen (so genannte Externalitäten), die bei der Herstellung der entsprechenden Produkte entstehen.
Im vorliegenden Fall von Penny hätten diese wahren Kosten zu durchschnittlichen Preisaufschlägen von 52 Prozent für konventionelle und 32 Prozent für ökologische Lebensmittelprodukte für die Penny-Kunden geführt.
In unserer aktuellen Untersuchung über die Produktion von Stahlschrauben konnten wir feststellen, dass die wahren Kosten bei herkömmlicher Produktionstechnologie, Lieferkette und Energiemix sowie aktuellen CO2e-Zuschlagssätzen nach dem EU-ETS nur um rund 1 Prozent steigen würden. Ist dies nun ein (für die Industrie) beruhigendes oder aus ökologischer Sicht erschütterndes Ergebnis?
Sinn & Zweck von wahren Kosten
Zunächst bleibt festzuhalten, dass es bei der Quantifizierung und Analyse der wahren Kosten nicht darum geht, die Preise für die Kunden der nächsten Wertschöpfungsstufe möglichst hoch zu setzen, um Sorge und Unbehagen bei den Kunden auszulösen und somit „Attention“ zu kreieren.
Vornehmliches Ziel der Quantifizierung und Bepreisung der Externalitäten muss es sein, Marktanreize für eine klimafreundlichere Produktion und Logistik zu schaffen.
Zum Beispiel ist eine klimafreundlichere Herstellung von Stahl – basierend auf Wasserstoff und Lichtbogenofen – mit höheren Investitionen verbunden als der traditionelle Hochofenprozess mit bestehendem Energiemix. Diese Mehrinvestitionen in grüne Technologien und Produkte können sich jedoch marktwirtschaftlich lohnen, wenn der entsprechende CO2e-Fussabdruck der resultierenden Stahlprodukte entsprechend bepreist wird. Wahre Kosten können so zu einer Transformation in eine klimafreundlichere Produktion beitragen sowie die Nachfrage und den Konsum von grünen Produkten erhöhen.
Wichtigkeit der Industrie
Warum ist die Betrachtung der Industrie und des verarbeitenden Gewerbes besonders sinnvoll?
Großer Hebel: Obgleich etwa Lebensmittelprodukte und die Landwirtschaft (siehe Penny-Beispiel) für einen großen Teil der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, ist der Anteil der Emissionen aus der Industrie – sowohl innerhalb Deutschlands als auch auf globaler Ebene – höher. 34 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entstehen aus letzterem Sektor. Man kann hierbei also von einem großen Hebel sprechen.
IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change 2022
Abbildung 1 zeigt links die gesamten globalen anthropogenen direkten und indirekten Treibhausgasemissionen für das Jahr 2019 (in GtCO2e) nach Sektoren und Teilsektoren. Direkte Emissionsschätzungen ordnen die Emissionen dem Sektor zu, in dem sie entstehen (Scope-1-Berichterstattung). Indirekte Emissionen – wie hier verwendet – beziehen sich auf die Umverteilung von Emissionen aus Strom und Wärme in den Sektor der Endnutzung (Scope-2-Berichterstattung). Die Emissionen werden in CO2-Äquivalente auf der Grundlage des globalen Erwärmungspotenzials mit einem Zeithorizont von 100 Jahren (GWP100) umgerechnet. Aufgrund von Rundungen an der zweiten signifikanten Stelle summieren sich die Prozentsätze in den einzelnen Kategorien möglicherweise nicht auf 100. AFOLU = Landwirtschaft, Forstwirtschaft und andere Landnutzung. Rechts: Beispielhafte Produkte der Metallindustrie: verzinkte und gehärtete selbstbohrende Sechskantschrauben.
Bedeutung für Deutschland: Neben diesen ökologischen Gegebenheiten spielt gerade für Deutschland die Industrie im Hinblick auf die ökonomische und soziale Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle. Das verarbeitende Gewerbe trägt 20,4 Prozent zur gesamten Bruttowertschöpfung Deutschlands bei und stellt jeden fünften Arbeitsplatz.
Komplexität: Der Industriegüterbereich ist durch eine hohe Internationalisierung und komplexe globale Lieferketten charakterisiert. Die verwendeten Rohstoffe wie Stahl und Aluminium werden hierbei zum Großteil in Asien und hier vor allem in China produziert- Der Weltmarkanteil von China belief sich in der Stahlerzeugung 2021 auf 53 Prozent, der Anteil an der Aluminiumherstellung in ähnlichem Größensegment. Dies bedeutet, dass grenzüberschreitende Wettbewerbsmechanismen notwendig sind.
Mögliche Effekte
Szenarien über die Wertschöpfungskette von Stahlschrauben – als Referenz für das Industriegütersegment – zeigen, dass bei traditioneller Herstellungstechnologie mit Hochöfen bei aktuellem Energiemix in Asien und bei aktueller Logistik (Containerschiff (HFO) und LkW (Diesel)) zur späteren Verkaufsregion Deutschland
- knapp 80 Prozent des Treibhauspotential in der Stahl- und Halbzeugherstellung entstehen
- die wahren Kosten nur um 1,4 Prozent erhöht würden– basierend auf den durchschnittlichen aktuellen CO2e-Zuschlagssätzen der EU-ETS mit 43€/to CO2e.
Diese Ergebnisse verdeutlichen zum einen, dass die Größenordnung der aktuellen CO2e-Zuschlagssätze kein ausreichender Hebel ist, um Investitionsanreize in eine klimafreundlichere Produktion zu schaffen. Ferner zeigt der hohe Emissionsanteil in der Stahlerzeugung – welche aktuell zu einem großen Teil in Asien stattfindet – die Notwendigkeit, die entsprechenden Länder und Regionen mit für die Gestaltung und Anwendung eines einheitlichen Klima- und Emissionshandelssystem (= Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) zu gewinnen.
Die Analyse der Zuschlagssätze entlang der Wertschöpfungskette zeigt auf, dass die betrachteten Produkte am Anfang der Wertschöpfung für jeden umgesetzten Euro signifikant viele Emissionen ausstoßen. Im Verlauf der Veredelung steigt der Produktpreis dann in exponentieller Weise an, der CO2e-Fußabdruck wächst dagegen degressiv an. Dies hat zur Folge, dass die relativen Zuschlagskosten mit höherem Veredelungsgrad sinken. Müsste jeder Akteur in der Wertschöpfungskette seine Emissionen alleinig internalisieren, würde dies stark überproportional zu Lasten der Produzenten am Anfang der Kette erfolgen.
Abbildung 2: Kumulierte relative Entwicklung der CO2e-Emissionen und des Produktpreises entlang der Wertschöpfungskette des Beispielproduktes
Marktanzreize durch wahre Kosten?
Durch die Berechnung eines grünen Szenarios der Schraubenwertschöpfung (= regionale Produktion in der EU mit Recyclingmaterial sowie grünem Storm und regionalen Transportwegen) kann aufgezeigt werden, dass bei Anhebung der CO2e-Zuschlagssätze bei vollständiger Einhaltung der Generationengerechtigkeit eine Einsparung von knapp 20 Prozent der gesamten wahren Kosten gegenüber der bisherigen Herstellung erzielt werden kann. Hiermit wäre ein Anreiz für Investitionen in eine klimafreundlichere Produktion geschaffen . Die angesprochenen CO2e-Zuschlagssätze bei vollständiger Einhaltung der Generationengerechtigkeit würden jedoch eine Verzehnfachung der aktuellen Zuschlagssätze bedeuten.
Wahre Kosten – und damit die Integration und Bepreisung von ökologischen (und sozialen) Folgekosten –können somit zu Marktanreizen für eine klimafreundlichere Produktion und der Verwendung von klimafreundlichen Technologien führen. Hierfür bedarf es – im vorliegenden Beispiel der Industrie – einer strikten und effizienten Regulierung (Porter Hypothese) inklusive des starken Anhebens der CO2e-Zuschlagssätze. Um das Ausweichen in Länder mit laxer Umweltgesetzgebung zu verhindern (Pollution Haven Theory), muss ein grenzüberschreitendes CO2e-Emissionshandelssytem in Form von Cross Border Adjustment Mechanisms (CBAM) oder sogenannter Klima-Clubs erfolgen.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Mehr staatliche Unterstützung für CO2-Beseitigung von Dr. Max Franks, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Kollegen
Außenwirtschaftliches Gleichgewicht: Handelspolitik im Zeichen der Internalisierung externer Effekte von Dr. Martin Braml, Munich Economist und Prof. Gabriel Felbermayr, WIFO
Zwischen Klimaschutz und Industrie-Erhalt: Warum der CBAM der EU nicht ausreicht von Sara Holzmann, Bertelsmann Stiftung
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