Treibt die Corona-Pandemie das Gründungsgeschehen?

Dr. Rosemarie KayInstitut für Mittelstandsforschung Bonn

Die Corona-Pandemie und die in deren Zuge erlassenen Einschränkungen haben ihre Spuren auch im Gründungsgeschehen in Deutschland hinterlassen. Für den gewerblichen Teil der Wirtschaft liegen bis zum September 2020 reichende Daten vor (vgl. Abbildung 1). Diese zeigen, dass die Anzahl der gewerblichen Existenzgründungen im März und April 2020 erheblich zurückgegangen ist. Seither ist wieder eine ansteigende Tendenz zu beobachten. Gleichwohl bleibt die Anzahl der gewerblichen Existenzgründungen weiter hinter dem Vorjahresniveau zurück.

Abbildung 1:    Monatliche Anzahl der gewerblichen Existenzgründungen, 2016-2020

Quelle: Statistik der gewerblichen Existenzgründungen und Liquidationen des IfM Bonn (Basis: Gewerbeanzeigenstatistik des StBA Wiesbaden).

Damit scheint die Frage, ob die Corona-Pandemie das Gründungsgeschehen treibt, schon beantwortet zu sein. Aber womöglich ist es noch zu früh für abschließende Antworten, denn zum einen hält die Pandemie noch an und zum anderen nimmt die Entwicklung und Umsetzung von Gründungsplänen einige Zeit in Anspruch (vgl. z. B. Brink et al. 2018). Deshalb sei der Blick auch in die nähere Zukunft gerichtet: Welche Entwicklungen sind zu erwarten?

Aus der Gründungsforschung wissen wir, dass die Gründungsneigung von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Einige sind auf der persönlichen Ebene verortet wie die Qualifikation, die Risikoneigung oder das Streben nach Unabhängigkeit. Andere Faktoren sind im makroökonomischen Umfeld angesiedelt, vor allem zu nennen sind im vorliegenden Kontext die konjunkturelle Lage und die Arbeitsmarktsituation.

Fritsch et al. (2015) haben für den Zeitraum 1996 bis 2010 gezeigt, dass es weniger die konjunkturelle Lage war, die das Ausmaß der Gründungsaktivitäten beeinflusst. Dies dürfte u.a. daran liegen, dass sich eine gute bzw. schlechte konjunkturelle Lage positiv bzw. negativ auf die Gründungsentscheidung auswirken kann. Hohe Gewinnerwartungen während einer Hochkonjunkturphase beispielsweise begünstigen die Entscheidung zur Gründung, mit einer Hochkonjunktur einhergehende hohe Arbeits- und Produktionskosten wirken sich jedoch gleichzeitig negativ aus. Weitaus stärkeren Einfluss hatte nach Fritsch et al. (2015) die Lage am Arbeitsmarkt. Eine hohe Zahl an Arbeitslosen ging mit einer hohen Zahl an Gründungen einher. Je mehr Alternativen sich dann aber am Arbeitsmarkt boten, desto rückläufiger entwickelte sich das Gründungsgeschehen (vgl. IfM Bonn 2020).

Was folgt daraus für die gegenwärtige Situation?

Abgesehen von den Wirtschaftsbereichen, in denen die Geschäftstätigkeit seit Beginn der Corona-Pandemie mehr oder weniger vollständig zum Erliegen gekommen und in denen auch erst mit einer weitgehenden Eindämmung der Pandemie wieder mit einem Normalbetrieb zu rechnen ist, sollte die konjunkturelle Entwicklung keinen nennenswerten Einfluss auf die Gründungsaktivitäten im Allgemeinen haben.

Anders möglicherweise die Situation auf dem Arbeitsmarkt, die durch ein sehr hohes Ausmaß an Kurzarbeit und einen vergleichsweise moderaten Anstieg der Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. Konkret ist die Anzahl der Arbeitslosen nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit (2020) bis Juni 2020 bedingt durch Corona um etwa 638.000 gestiegen. Bis November 2020 ist sie bereits wieder um mehr als 100.000 gesunken.

Diese Zahlen deuten auf ein gewisses zusätzliches Gründungspotenzial hin, dessen Größenordnung jedoch nicht genauer spezifiziert werden kann. Aufgrund früherer Erfahrungen ist damit zu rechnen, dass sich dieses zusätzliche Gründungspotenzial ab Jahresbeginn 2021 in der Gründungsstatistik widerspiegelt: Laut KfW-Gründungsmonitor waren 2008 rund 87 % der Gründer mindestens 13 Wochen, häufig noch länger vor der Gründung arbeitslos (vgl. Kohn et al. 2010).

Schwerer noch ist vorherzusehen, in welchen Branchen die Gründungen stattfinden werden. In der Vergangenheit entfiel die weit überwiegende Mehrheit der Gründungen auf den Dienstleistungssektor. Eine relativ große Rolle spielte auch das Baugewerbe, insbesondere das Ausbaugewerbe. Hier ist seit Februar 2020 ein erheblicher Rückgang zu beobachten, der weniger auf die Pandemie als vielmehr auf die Wiedereinführung der Meisterpflicht in einigen Gewerken zurückzuführen ist.

Da sich viele Gründerinnen und Gründer in den Branchen selbstständig machen, in denen sie bereits berufliche Erfahrungen gesammelt haben, lohnt sich ein Blick auf die Branchen, die die meisten Arbeitslosen aufgrund der Pandemie zu verzeichnen haben. Dies sind das Gastgewerbe, der Handel, Verkehr und Lagerei, qualifizierte Unternehmensdienstleistungen sowie die Metall-, Elektro- und Stahlindustrie (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2020). Gastgewerbe und Handel sind traditionell gründungsstarke Branchen, auch während der Corona-Pandemie. Von ihnen sind eher weniger innovative Gründungen zu erwarten, wenngleich hier wie in anderen Branchen auch mit viel Kreativität auf die Pandemie reagiert wurde.

Innovative Gründungen sind eher in den forschungsintensiven Industrien und den wissensintensiven Dienstleistungen angesiedelt, wobei Gründungen in forschungsintensiven Industrien seit Jahren sehr selten sind. Angesichts des Anstiegs der Arbeitslosigkeit auch hochqualifizierter Beschäftigter in den qualifizierten Unternehmensdienstleistungen sowie in Information und Kommunikation ist eher eine Zunahme von Gründungen in den wissensintensiven Dienstleistungen zu erwarten.

Alles in allem zeichnet sich zu Beginn des Winters 2020/21 eine gewisse Normalisierung des Gründungsgeschehens ab. Es werden also etwa wieder so viele Unternehmen gegründet wie im Vorjahr. Möglicherweise wird der Mitte Dezember 2020 verhängte Lockdown diesen Prozess wieder zurückwerfen. Ein Gründungsboom ist gegenwärtig nicht abzusehen. Möglicherweise werden die Gründungsaktivitäten im nächsten Jahr moderat zunehmen, wie in der Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009.

Ob (hoch)qualifizierte Beschäftigte, die gegenwärtig von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht sind, dies zum Anlass nehmen, sich selbstständig zu machen, hängt sicherlich auch davon ab, ob sich der Arbeitsmarkt im kommenden Jahr weiter erholt oder nicht. Bei aller Unsicherheit über die Zukunft: Zurzeit deutet nichts darauf hin, dass die Pandemie ein nennenswerter Treiber des Gründungsgeschehens sein wird.

Literatur

Brink, S.; Ivens, S.; Nielen, S.; Schlömer-Laufen, N. (2018): Neugegründete Unternehmen und ihre Entwicklung: Eine empirische Analyse anhand verschiedener Erfolgsdimensionen, IfM Bonn: IfM-Materialien Nr. 271, Bonn.

Bundesagentur für Arbeit (2020): Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Nürnberg, November 2020.

Fritsch, M.; Kritikos, A.; Pijnenburg, K. (2015): Business cycles, unemployment and entrepreneurial entry – evidence from Germany, International Entrepreneurship and Management Journal, 11, 267-286.

IfM Bonn (2020): Gewerbliche Existenzgründungen und Liquidationen (Aufgaben),  abgerufen am 2.12.2020.

Kohn, K.; Niefert, M.; Ullrich, K. (2010): Gründer aus der Arbeitslosigkeit: Motive, Projekte und Beitrag zum Gründungsgeschehen, in: KfW, Creditreform, IfM, RWI, ZEW (Hrsg.): Konjunkturelle Stabilisierung im Mittelstand – aber viele Belastungsfaktoren bleiben.

MittelstandsMonitor 2010 – Jährlicher Bericht zu Konjunktur- und Strukturfragen kleiner und mittlerer Unternehmen, Frankfurt am Main, 71-107.



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