Nachhaltigkeitsberichterstattung im Mittelstand: Wie isst man einen Elefanten?

Prof. Dr. Christina E. BannierJustus-Liebig-Universität Gießen

Nachhaltigkeitsberichterstattung wird regulatorisch von Unternehmen gefordert. Mit dem Aktionsplan „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ hat die EU-Kommission 2018 ein Bündel von Regulierungsmaßnahmen angestoßen, die vor allem die Transparenz nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten erhöhen sollen. Ihr Herzstück ist die Taxonomie-Verordnung, ein Regelwerk, das eine Klassifizierung nachhaltiger Aktivitäten erlaubt.

Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung knüpft dabei unmittelbar an die neue Corporate Sustainability Reporting Richtlinie (CSRD) an, die ab dem Geschäftsjahr 2025 / 2026 erstmals auch mittelständische Unternehmen in Deutschland zur Sammlung von Nachhaltigkeitsdaten verpflichtet.

Wenngleich börsennotierte Großkonzerne bereits seit 2017 über Nachhaltigkeitsthemen berichten müssen, trifft das neue Gesetz viele Mittelständler in Deutschland vollkommen unvorbereitet.

Prof. Dr. Christina Bannier

„Ungetüm“ Nachhaltigkeitsberichterstattung

Nicht nur die (immer noch anhaltende) Unsicherheit darüber, welche Daten konkret erhoben und publiziert werden müssen, sondern auch die scheinbar überbordende Fülle an geforderten Angaben kann selbst dem gegenüber Nachhaltigkeitsthemen aufgeschlossensten Geschäftsleiter die Laune verderben.

Vor allem die zusätzlichen Kosten durch den Aufbau und Betrieb eines entsprechenden Informations- und Kontrollsystems bereiten vielfach Magenschmerzen. Es verwundert somit nicht, dass sich viele Mittelständler fragen, wie sie das „Ungetüm“ der Nachhaltigkeitsberichterstattung verdauen sollen – und ob sich dies jemals für sie auszahlt.

Gleichzeitig spüren jedoch auch die mittelständischen Unternehmen, dass das Interesse an Nachhaltigkeitsinformationen mittlerweile von vielen Seiten beständig an sie herangetragen wird.

Nachhaltigkeit auch von anderer Seite gefragt

Für Kreditgeber und Investoren sind Nachhaltigkeitsangaben mittlerweile zu einem Standard geworden. Nicht wenige Banken haben die Dekarbonisierung in ihrem Kreditportfolio beispielsweise zu einem Kernziel ihrer Vorstandsvergütung gemacht. Eine klare und unumkehrbare Orientierung an entsprechenden Aspekten im Kreditvergabeprozess sollte somit niemanden wundern.

Auch Kunden fragen immer öfter und detaillierter nach Informationen zu Nachhaltigkeitsthemen oder erwarten diese schlichtweg. Dies gilt insbesondere für Firmen, die als Zulieferer für große Konzerne in Branchen wie beispielsweise dem Automobilsektor tätig sind, in denen Nachhaltigkeit eine besonders große Bedeutung hat.

Zudem spielt das Thema Nachhaltigkeit auch für die Kommunikation mit Mitarbeitern bereits jetzt eine große Rolle. In Zeiten eines spürbaren Fachkräftemangels ist die Gewinnung und das Halten von gut ausgebildeten Mitarbeitern eine der zentralen Herausforderungen für den Unternehmenserfolg.

Es stellt sich somit die Frage, wie sich mittelständische Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit möglichst effektiv erschließen können.

Prof. Dr. Christina Bannier

Dabei gilt es zu erkennen, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung zwar für viele Unternehmen derzeit der Anstoß zur Beschäftigung mit der Thematik ist, die Berichterstattung aber keinen Selbstzweck darstellt. Eine gute Berichterstattung steht vielmehr am Ende eines Prozesses, nicht am Anfang.

Das Wichtigste? Die Wesentlichkeitsanalyse

Tatsächlich liegt genau hier der Schlüssel für ein effizientes Vorgehen: Die „ersten Schritte“ müssen „passen“, dann fügt sich alles weitere automatisch in den Prozess ein. Sprich: Die Geschäftsleitung muss sich intensiv und ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, welche Nachhaltigkeitsbereiche wirklich wesentlich für die aktuelle und zukünftige Entwicklung des Unternehmens sind.

Erst wenn hier klare und stichhaltige Antworten gefunden sind, können Nachhaltigkeits-Ziele und -Indikatoren bestimmt werden, die anschließend in die regulären Unternehmensprozesse, vor allem auch ins Risikomanagement und Controlling, überführt werden und über die am Ende des Geschäftsjahres berichtet werden kann.

Die Wesentlichkeitsanalyse ist somit der springende Punkt, der darüber entscheidet, ob das Thema Nachhaltigkeit effizient genutzt werden kann: so, dass unnötige Kostenaufblähungen und ineffektive Parallelstrukturen unterbunden und gleichzeitig zukünftige Entwicklungen im Markt, in der Regulatorik oder durch gesellschaftliche Strömungen produktivitätsstiftend berücksichtigt werden.

Gleichzeitig erlaubt eine stringent durchgeführte Wesentlichkeitsanalyse klare Leistungs- und Risikoindikatoren zu identifizieren, die helfen – beispielsweise im Rahmen der Vergütung oder zur Nutzung spezieller Finanzierungsformen wie nachhaltigkeitsgebundener Kredite – funktionierende Anreize zu setzen und so die strategischen Ziele auch effektiv erreichen zu können.

Zu guter Letzt wird so auch die Gefahr des Greenwashings geschmälert: Es sind ja gerade die schwammig und pauschal-plakativ formulierten Ziele und Ansprüche, die den Verdacht wecken, sich eben nicht ernsthaft mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt zu haben und sich ohne viel Aufwand einen grünen Anstrich geben zu wollen.

Was ist nun aber eine Wesentlichkeitsanalyse?

Die Wesentlichkeits- oder Materialitätsanalyse beantwortet die ganz einfache aber fundamentale unternehmerische Frage: „Was ist für unseren Betrieb wichtig, wie generieren wir Profitabilität, welche Risiken beeinflussen uns?“

Wer glaubt, diese Frage schnell beantworten zu können (oder die Antworten darauf schon in der Schublade zu haben), sollte sich nicht täuschen:

  • Es geht hier um Themen, die zwar konzeptionell nicht neu sind, die wir aber inhaltlich in unseren typischerweise auf Finanzkennzahlen aufbauenden Management- und Kontrollsystemen gerade nicht erfassen.
  • Es geht um die Frage, ob für neue Kundengruppen unsere Produkte zukünftig noch attraktiv sein werden.
  • Oder darum, welche Erwartungen die Mitarbeiter an das Unternehmen stellen, jenseits der Löhne, die sie erhalten.
  • Und auch darum, ob Rohstoffe und Vorleistungen in der Zukunft noch in der bisherigen Form und zu den gewohnten Konditionen zu beziehen sein werden, oder ob (inter-)nationale Regulierungen hier andere Bezugswege und -modalitäten erzwingen werden.

Die Antworten auf diese Fragen sind im höchsten Maß unternehmens-spezifisch. Und gerade darin liegt die Chance, wenn man die Nachhaltigkeitsberichterstattung effizient aufziehen und sie eben nicht nur zu einem enorm großen, neuen Fixkostenblock werden lassen möchte.

Und auch wenn der erste Brocken hier sicherlich der größte ist, gilt dennoch: Einen Elefanten isst man, ganz einfach, Stück für Stück…

Prof. Dr. Christina Bannier

Anregungen und Hilfen für die Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse geben Leitfäden wie der zur Nachhaltigen Governance im Mittelstand.



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