Mehr Inklusion, weniger Ungleichheit, mehr (Krisen-)Prävention durch Vermögensbildung
Die „Lockdowns“ werden zwar weltweit langsam zurückgenommen, aber noch immer hält ein Virus die Welt in Atem. Und es dürfte wohl nicht die letzte Pandemie gewesen sein, welche die Erde heimsucht. Dieser Beitrag zeigt: Eine gezielte Politik zur Vermögensbildung kann dazu beitragen, gestärkt aus einer Krise hervorzugehen. Last, not least bedeutet mehr Vermögensbildung auch ganz praktisch mehr Inklusion.
Auch fiskalisch wird die Welt eine andere sein – nach der Corona-Krise. Die unmittelbar und mittelbar fiskalisch wirksamen Gegenmaßnahmen belaufen sich in die Milliarden. Dabei ist nicht absehbar, was noch an zusätzlichen Konjunkturpaketen notwendig werden wird. Ein Zurück zur Normalität und eine konjunkturelle Unterstützung sind nicht die alleinigen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht. Im Gegenteil. Das „Methusalem-Komplott“ (Frank Schirrmacher) findet statt. Die Industrie 4.0 ist in vollem Gange und es gilt, den Standort Deutschland als Hochlohnland zu sichern. Der „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard) muss in die nächste Phase fortgeschrieben werden. „Teilhabe“/“Inklusion“ finden ihre Zuspitzung in einer zunehmenden Debatte um die Ungleichheit.
Kapital- trifft Anlagenotstand
Der Kapitalnotstand des Staates, der sich zwangsläufig in höheren Schulden und ggf. auch höheren Steuern ausdrücken wird, trifft auf den Anlagenotstand der Bürger. Denn eines zeichnet sich schon jetzt ab: War das Anlagespektrum der (Staats-)Anleihen schon vor Ausbruch der Corona-Krise von extremen Niedrig-/Negativrenditen gekennzeichnet, so dürfte dieses Renditeumfeld nach der Krise noch länger andauern. Und es dürfte breitere Segmente erreichen, als dies bereits vor der Krise zu erwarten war.
Die Zentralbanken, die weltweit ihre ohnehin schon expansive Geldpolitik auf noch expansiver umgesteuert haben, mittels Zinssenkungen und Anleihenkäufen, werden ihren Teil dazu beitragen. Gemessen am ICE Bank of America Merrill Lynch-Index für die Anleihenmärkte weisen knapp 20 Prozent des weltweiten Marktes für Staatsanleihen eine negative Rendite aus. Knapp 60 Prozent liegen unter einem Prozent. Stand Ende Mai 2020 verzeichnen 90 Prozent aller deutschen Staatsanleihen eine Negativrendite. Nominal. Von Kaufkrafterhalt kann da nicht die Rede sein.
Der Kapitalbedarf ist immens. Der Anlagebedarf ist aber ebenso groß. Gemäß Bundesbank verfügen die Deutschen über ein Geldvermögen von – brutto – deutlich über sechs Billionen Euro. 42 Prozent davon finden sich in Anleihen oder auf Bankkonten. Nur ca. 20 Prozent sind in Aktien oder Anteilen an Investmentfonds investiert. Dabei liegt von den 10 Prozent in Fonds investierten Geldern nur ca. ein Drittel in Aktienfonds. Vermögensaufbau ist bei dieser Anlagestruktur nicht zu erwarten, obwohl diese für die Altersvorsorge und den Vermögensaufbau (z.B. zwecks späteren Erwerbs von Wohneigentum) dringend benötigt würde. Die Deutschen arbeiten für ihr Geld, statt ihr Geld für sich arbeiten zu lassen. Nicht von ungefähr schreibt Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick davon, dass die Deutschen „Weltmeister im Kapitalexport“ sind, bei der Rentierlichkeit der Anlagen aber nur „Kreisklasse“.
Warum dieses Kapital nicht aktivieren? Indem sich private Investoren direkt an Infrastrukturinvestitionen privater oder öffentlicher Projektoren beteiligen können? In der Erwartung einer Rendite, die über jener von Staatsanleihen liegt? Bei einer Volatilität, die niedriger ist als bei Aktien? – Denn eines scheint klar: Während Staatsanleihen als Anleihenvehikel ausfallen, kann unter Risikoaspekten die Lösung nicht allein bei Investitionen in Aktien liegen.
Pendelnde Daten statt pendelnder Menschen
Infrastrukturmaßnahmen, inklusive Datenautobahnen, sind u. a. für den Standortwettbewerb und die Stärkung von Regionen wichtig. Standortwettbewerb: Auch die Globalisierung wird nach der Pandemie eine andere sein, als sie dies bisher war. Lieferketten haben sich nicht als reißfest erwiesen. Sie müssen stärker zu Liefernetzwerken werden: Produktion, die an mehreren Standorten rund um den Globus erfolgt, ist weniger störanfällig. Gleichzeitig ist die Produktion vor Ort, nahe am Kunden, klimafreundlicher. Dezentrale Produktion muss deshalb aber nicht unbedingt teurer sein.
„The robots are coming“ schreibt der Consultant Deloitte und stellt fest, dass Prozessautomatisierung zu weiteren Einsparungen führt. Kostet ein Vollzeitbeschäftigter in der Fertigung in Niedriglohnländern 35 Prozent dessen, was für eine entsprechende Tätigkeit in den Industriestaaten benötigt würde, so kostet ein Roboter nur 10 Prozent davon. Die von Adidas entwickelte „Speedfactory“ zeigt exemplarisch, wohin die nächste Welle der Globalisierung geht: Re-Globalisierung nach der Krise als De-Globalisierung. Produktion wird lokaler. Deutschland sollte zu den Gewinnern gehören.
Förderung der Regionen: Die Infrastrukturmaßnahmen könnten auch für die Stärkung von Regionen und die Entballung von Zentren genutzt werden. „Agglomerationseffekte“ mögen die Großstädte fördern, aber eben genau in den Ballungszentren können die Viren besonders schnell ihre Kreise ziehen. Wäre Dezentralisierung nicht eine wichtige Pandemie-Prävention? Umso mehr, als es nicht zu verstehen ist, dass die Menschen mittels gewaltiger Pendlerströme zur Arbeit kommen und nicht umgekehrt die Arbeit zu den Menschen. Pendelnde Daten statt pendelnder Menschen.
Die jüngsten Erfahrungen mit dem „Home-Office“ zeigen, eine 100-Prozentige-Anwesenheit am Arbeitsplatz ist in weiten Bereichen obsolet. Und spricht der Ökonom Richard Baldwin nicht zu Recht von „Telemigration“, die er u. a. zwischen Asien und Europa beobachtet? Warum also soll eine Dienstleistung, die beispielsweise per „Teleworking“ aus Bangalore oder Krakau in Frankfurt/Main erbracht wird, nicht auch von Frankfurt/Oder aus in München erbracht werden können? Datenautobahnen werden im Standortwettbewerb dringend benötigt. Warum sollten sie nicht denen gehören, für die sie die Daten transportieren? Die Beteiligung an der Datenautobahn als Teil der Vermögensbildung.
Und würde die Entballung nicht auch dazu führen, die Lage in den bevorzugten Wohnregionen zu entspannen und gleichzeitig deutlich günstigeren Wohnraum in der Region zu nutzen? Es könnten mehr Menschen privaten Wohnraum erwerben und größere Wohneinheiten wären erschwinglicher. Mit Blick auf höheren Bedarf an „Home-Office“ und ggf. auch „Home-Schooling“ wäre dies nicht nur ein wichtiger Beitrag für die Eigentumsverhältnisse in Deutschland – und damit gegen die Ungleichheit – es wäre auch ein Beitrag zur Krisenprävention.
Mit einer Wohneigentumsquote von unter 50 Prozent nimmt Deutschland beim Wohneigentum einen der hinteren Plätze im Vergleich mit anderen Industriestaaten ein. In Berlin besitzen sogar nur 16 Prozent der Einwohner die vier Wände, in denen sie leben. Und das mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall. In Anbetracht dieser Zahlen muss auch darüber nachgedacht werden, wie Menschen zu Wohneigentum verholfen werden kann, die es sich nicht leisten können. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat dazu das Modell des staatlich geförderten Mietkaufs in die Diskussion gebracht, das einkommensschwachen Familien den Weg in die eigene Wohnung ebnen soll .
Dekonzentration des Kapitals fördern
„Inklusion“ heißt aber auch Teilhabe an der Wirtschaftskraft und deren Wertschöpfung. Deutschland scheint hier noch im spät-marxistischen Paradigma – „Kapitalisten“ auf der einen, „Proletarier“ (als Lohnempfänger) auf der anderen Seite. Obwohl Ludwig Erhard schon 1957 die Stärkung der Kapitalbeteiligung auch als Maßnahme zur „Dekonzentration“ des Kapitals gefordert hat, ist bei der Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand wenig passiert.
Das Deutsche Aktieninstitut, welches Jahr für Jahr den Anteil der Aktionäre erhebt, kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland nur ca. jeder zehnte Bürger Aktien oder Aktienfonds besitzt. Auch die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist nur schwach ausgeprägt. Der Bundesverband für Mitarbeiterbeteiligung schätzt die Quote aller Unternehmen in Deutschland, die Mitarbeiterbeteiligungsprogramme anbieten, auf etwa 2 Prozent – darunter ca. 3.500 mittelständische Unternehmen mit etwa 1,2 Millionen Mitarbeitern, die daran teilnehmen. Der geringe Verbreitungsgrad dürfte vor allem an der geringen Förderung liegen. Das wird im europäischen Vergleich umso deutlicher. Liegt der steuerliche Freibetrag in Deutschland bei 360 Euro (demnächst bei 720 Euro), so ist dieser Betrag allein im Vergleich zu Österreich dort mehr als 12-mal so hoch.
Geringe Kapitalbeteiligung = geringe Inklusion = in Zukunft noch geringere Kapitaleinkommen, so lautet die einfache Gleichsetzung. Dabei wird Kapitaleinkommen als Ergänzung zum Alters-, aber auch zum Arbeitseinkommen immer wichtiger. So hat doch u. a. die OECD über die letzten Jahrzehnte einen sinkenden Anteil des Arbeitseinkommens am volkswirtschaftlichen Einkommen zu Gunsten des Kapitaleinkommens festgestellt. Nicht auszuschließen, dass es im „2. Maschinenzeitalter“, wie Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee die „Industrie 4.0“ bezeichnen, weiter sinkt. Während die Produktivität der Maschinen steigt, so die beiden MIT-Forscher, ist es nicht ausgemacht, dass die Arbeitskraft auch in Zukunft von dieser Produktivität profitiert. „Lass die Roboter für dich arbeiten“ wäre die Losung für „inklusive Produktivität“.
Die Teilhabe am Produktivkapital wäre auch ein wichtiger Beitrag zur Verringerung der Ungleichheit. Denn die von der Kapitalinvestition zu erwartende Mehr-Rendite, die Risikoprämie, ist einer der wichtigsten Treiber der Ungleichheit. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die Sparfähigkeit in Abhängigkeit von Einkommen und Vermögen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist bzw. nicht allen Bürgern möglich ist.
Um mehr Menschen die Vermögensbildung durch Kapitalbeteiligung zu ermöglichen, müssen bestehende Durchführungswege verändert werden. Beispielsweise das „Riestern“, welches die Gelegenheit zu einer staatlichen Förderung bei geringster Eigenbeteiligung gibt. Rendite senkende Absicherungskomponenten, wie die Garantie der eingezahlten Beiträge, müssten entfallen. Auch das Sparen mit vermögenswirksamen Leistungen („VL“), das auf sieben Jahre angelegt ist, entspricht nicht den Erfordernissen einer immer älter werdenden Gesellschaft.
Kapitalaufbau fördern, Ungleichheit verringern
Neben der Reform von „Riester“ und „VL-Sparen“, sollte in einem nächsten Schritt Kapitalaufbau ermöglicht werden: indem Teile der Rentenversicherungsbeiträge gemäß der individuellen Präferenzen statt in die gesetzliche Rentenkasse in einen privaten Sparplan eingebracht werden können – in der Erwartung, dass sie dort auch höhere Erträge erwirtschaften.
Kapitalaufbau fördern, Ungleichheit verringern, gleichzeitig Kapitaleinkommen als Ergänzung zum Arbeitseinkommen ermöglichen – das wäre auch eine Rücklage für Krisenzeiten. Besonders dann, wenn das Arbeitseinkommen versiegt, wie es Millionen Menschen in der Pandemie als Folge des „Lockdowns“ erlebt haben bzw. noch erleben.
Über die Kapitalbeteiligung in Form von Aktien hinaus sollte das Genossenschaftswesen als bewährte Form des Eigentums und der Teilhabe gefördert werden. Dies gerade auch im Digitalisierungszeitalter, mit der „Daten-Genossenschaft“ als besonderer Form von Genossenschaft. Durch Dateneigentum der Nutzer und Wettbewerb der Internet-Plattformen untereinander mittels Konnektivität würde die Dominanz marktbeherrschender Plattformen beendet. Es könnten sich Daten-Genossenschaften als neue Form etablieren. Aus den eigenen Daten entstünde ein Einkommensstrom, der nicht ins ferne Silicon Valley fließt, sondern aufs eigene Konto.
Ungleichheit verringern und Inklusion erhöhen durch Vermögensbildung! Dezentralisieren durch Stärkung der Regionen, Resilienz für Krisenzeiten stärken, Klima schonen durch pendelnde Daten statt pendelnder Menschen. Ob Beteiligungsmodelle an Infrastruktur und Datenautobahnen, ob Reform von „Riester“ und „VL“, ob mehr Wahlfreiheit bei der gesetzlichen Rente. Oder Daten-Genossenschaften als Antwort auf die Plattform-Ökonomie wie auch neue Förderwege zur Bildung von Wohneigentum – der Vermögensbildung kommt eine große Aufgabe zu! Und das nicht nur, wenn es um die Inklusion, die Teilhabe an der Wertschöpfung, geht. Wann fangen wir damit an, es mit der Förderung der Vermögensbildung ernst zu meinen?
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