Innovationspolitische Missionen jetzt agil und noch ambitionierter umsetzen
In ihrer aktuellen Analyse der deutschen Innovationspolitik macht sich die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) für eine effektivere Umsetzung missionsorientierter Maßnahmen stark. Dazu braucht es Agilität, Partizipation – und Mut zu tiefgreifenden Veränderungen.
Seit 2008 übergibt die Expertenkommission jährlich ihr Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands an die Bundeskanzlerin – so auch wieder Ende Februar. Die im Sinne einer wissenschaftlichen Politikberatung angefertigte Stärken- und Schwächenanalyse hat sich mittlerweile zu einem Fixpunkt im innovationspolitischen Geschehen in Deutschland entwickelt, und gerade in Krisenzeiten bietet das Gutachten einen willkommenen Anlass, über dieses essenzielle Politikfeld zu reflektieren und neue Schwerpunktsetzungen zu diskutieren.
Bereits die Übergabe an die Bundeskanzlerin sendet ein erfreuliches Signal, denn will man innovationspolitisch etwas ändern, bedarf es einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit. Während in Ländern wie Schweden der Regierungschef höchstpersönlich dem nationalen Innovationsrat vorsteht und Innovationspolitik damit zur Chefsache macht (hier eine Analyse), leidet das Politikfeld in Deutschland laut dem EFI-Gutachten weiterhin an „bürokratische[n] Strukturen mit langen Entscheidungswegen“ und „unzureichende[n] übergeordnete[n] Koordinationsstrukturen“ (S. 36), deren Überarbeitung man anrät. Doch dazu später mehr.
Missionsorientierung als starker Akzent
Zunächst stellt sich die Frage: Was kann und soll Innovationspolitik heutzutage bewirken? Schon der Blick auf das erste „Kernthema“ der Publikation lässt die Antwort der EFI-Gutachter:innen erahnen: Es geht um „Neue Missionsorientierung und Agilität in der F&I-Politik“ – also um die Frage, wie sich Innovationsaktivitäten auf gesellschaftlich wünschenswerte Ziele ausrichten lassen und welcher Strukturen und Abläufe es für eine erfolgreiche Zielerreichung bedarf. Angesichts der vielfältigen und weiträumigen aktuellen Debatten zu diesen Themen kommt diese Schwerpunktsetzung nicht überraschend.
Dennoch ist es nur zu begrüßen, dass sich die Kommission ausdrücklich dafür ausspricht, durch eine geeignete Innovationspolitik „die großen gesellschaftlichen Herausforderungen und dabei insbesondere die Nachhaltigkeitsziele [SDGs]“ (S. 15) zu fokussieren. Dabei setzt man auf eine „marktorientierte Version“ der Missionsorientierung: Innovation soll einerseits als „Katalysator für den Übergang zu neuen Technologien wirken und auf diese Weise die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verbessern“ (S. 14). Andererseits können und sollen Marktlösungen nur ein Mittel sein, um einen „gesellschaftlich erwünschten transformativen Wandel“ (S. 15) anzustoßen. Wie dieser gestaltet werden soll, gilt es gemeinschaftlich und partizipativ auszuhandeln.
Investieren, Technologien fördern – und Politikinstrumente anpassen
Aus den von der Kommission aufgeführten Empfehlungen stechen vor allem drei Aspekte heraus, derer sich die Entscheidungsträger:innen in der Praxis annehmen sollten. Zum Ersten die staatliche Ausgabenseite: Deutlich spricht sich das Gutachten für eine F&I-orientierte Ausgestaltung staatlicher Konjunkturprogramme aus und mahnt, dass eine krisenbedingte „kurzfristige Stabilisierung der Wirtschaft nicht zulasten der mittel- und langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen F&I-Systems gehen“ dürfe (24).
Dieser Punkt lässt sich nur unterstreichen; gerade hinsichtlich der Umsetzung des bereits im letzten Jahr beschlossenen Zukunftspakets gilt es sicherzustellen, dass in diesem auch wirklich genug „Zukunft“ steckt – sprich: investive Ausgaben in zukunftsträchtige Bereiche. Und dass – wie es im Gutachten weiter heißt – eine Reduzierung des deutschen Beitrags zum europäischen Innovationsprogramm Horizont vermieden werden solle, versteht sich in Zeiten grenzübergreifender Forschungs- und Innovationsaktivitäten eigentlich von selbst.
Vorschläge für die konkrete und langfristig vielversprechende Verwendung staatlicher Investitionsausgaben liefert das Papier – zum Zweiten – mehr als genug. Auf der Hand liegen Bereiche wie Wasserstoff, regenerative Energien, Quantentechnologie, E-Government, Robotik, KI – allesamt Hochtechnologiesektoren, in denen sich die deutsche (und europäische) Wirtschaft zuletzt oft eher innovationschwach gezeigt hat. Um die lahmende Digitalisierung „endlich energisch voranzutreiben“ (S. 33), regt das Gutachten gar die Einrichtung eines eigenen Ministeriums an.
Aus der aktuellen Krisenerfahrung erwächst der Vorschlag, die Resilienzforschung und die technologische Souveränität zu fördern. Interessant im Kontext der Hochtechnologien: Der Bereich der Sprunginnovationen – zuletzt durch die Gründung einer eigenen Bundesagentur zunehmend im Fokus – wird lediglich einmal am Rande erwähnt. Hier hätte man sich mehr Tiefgang gewünscht.
Und damit zur Umsetzung
Wie lässt sich nun eine Innovationspolitik formulieren und realisieren, die über die Phase der Krisenbewältigung hinaus die Weichen stellt für die Lösung der drängenden gesellschaftlichen Probleme? Hierzu urteilt das Gutachten richtigerweise, dass es – zum Dritten – neuer Formen der Aushandlung und Koordination bedürfe. Das deckt sich mit dem aktuellen Forschungsstand: Gerade die Bearbeitung gesellschaftlicher Missionen ist nicht mehr durch eine klassisch angelegte Forschungs- und Innovationspolitik möglich.
Zu komplex und unübersichtlich sind die Problemstellungen, zu divers die Akteurskonstellationen, zu schnell die technologischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, als dass man diesen mit althergebrachten Methoden Herr werden könnte. Vielmehr erfordert eine missionsorientierte Innovationspolitik politikfeldübergreifende Ansätze, Abstimmungen über horizontale Handlungsfelder und vertikale Ebenen hinweg, eine konstruktive Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Ministerien, proaktive Politikmaßnahmen und schließlich ein kontinuierliches Monitoring.
Zwar konstatiert die Kommission mit Blick auf die Umsetzung der in der Hightech-Strategie 2025 vereinbarten Missionen „moderate Fortschritte“, jedoch stünden „die angestoßenen Transformationsprozesse im Wesentlichen noch am Anfang“ (S. 32). Ein deutliches Urteil, mit dem verschiedene Forderungen einhergehen: Die horizontale, ressortübergreifende Koordination müsse man verbessern, zum Beispiel durch interministerielle Task Forces; Partizipationsmöglichkeiten sollten gestärkt, agiles Politikhandeln verankert, Reflexions- und Experimentierräume geschaffen werden. Zudem gelte es, die öffentliche Beschaffung im Sinne einer „Priorität für das innovative Angebot“ (S. 35) verstärkt innovationsorientiert auszurichten.
Die Zeichen der Zeit richtig deuten
All diese Vorschläge sind im Grunde nur zu begrüßen, auch wenn sie im Gutachten zum Teil nur vage formuliert sind, beispielsweise hinsichtlich der Frage, wie tiefgreifend die institutionellen Anpassungen sein sollten. Erstaunlich wenig liest man zudem von der europäischen Handlungsdimension. Ebenfalls unscharf wird das Papier, wenn vom nötigen „transformativen Wandel“ die Rede ist.
Zwar ist es nicht Aufgabe der EFI, hier Geschwindigkeit, Umfang und Richtung vorzugeben. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, noch klarer an die Entscheidungsträger:innen zu appellieren, eben diese Transformation anzustreben – und zwar durch eine beherzte, ambitionierte und zielgerichtete Innovationspolitik, die sich mehr trauen muss, als lediglich das Bestehende inkrementell zu verbessern. Mögliche normative Leitlinien wie die SDGs klingen im Gutachten zwar an, doch könnte man die verantwortlichen Stellen noch stärker dazu ermuntern, innovationspolitische Maßnahmen eindeutig in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen.
Die Zeichen dafür stehen günstig: Wie auch das Gutachten durchscheinen lässt, machen viele andere Länder bereits erfolgreich vor, wie eine moderne missionsorientierte Innovationspolitik gestaltet werden kann. Auch in unserem Projekt „Innovationskraft stärken. Potenziale erschließen.“ analysieren wir derzeit vielversprechende Good Practices, an denen sich Deutschland orientieren sollte. Das Rad muss also nicht neu erfunden werden.
Zudem verfolgt die EU mit dem Green Deal ein wegweisendes Transformationsprogramm, und das Verständnis dafür steigt, dass sich die Bekämpfung des Klimawandels und wirtschaftlicher Fortschritt nicht widersprechen müssen. Darüber hinaus wünschen sich die Menschen in Deutschland und Europa mehr Innovation, vor allem in gesellschaftlich relevanten Bereichen. Zusammengenommen ergeben sich also nicht nur drängende Notwendigkeiten, sondern auch große Spielräume und Handlungsempfehlungen für Veränderungsprozesse – die man nun mutig und zukunftsgerichtet angehen sollte.
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